Narkolepsie erkennen und behandeln
Nach dem Auftreten der ersten Symptome dauert es im Durchschnitt fünf bis sieben Jahre, bis Ärzte Narkolepsie diagnostizieren. Seit letztem Jahr existiert ein neues Klassifikationssystem, und es stehen mehrere Medikamente zur Therapie bereit. Dennoch sollte man die Grenzen der Diagnostik und Behandlungsmöglichkeiten kennen.
Zu den zentralen Störungen mit übermässiger Tagesschläfrigkeit gehören
- Narkolepsie Typ 1,
- Narkolepsie Typ 2 und
- idiopathische Hypersomnie (IH).
Diagnostische Kriterien und Herausforderungen
Da sich die Symptome ähneln, gestaltet sich die Diagnose oft schwierig. Die American Academy of Sleep Medicine hat 2023 die Kriterien aktualisiert (International Classification of Sleep Disorders [ICSD]-3-TR).
Doch das System bleibt unzureichend, erklärt Dr. Lucie Barateau vom Universitätshospital Montpellier*.
Für die Diagnose berücksichtigt man Symptome sowie biologische und elektrophysiologische Kriterien. Erste Symptome treten meist im Kindes- oder Jugendalter auf (siehe Kasten).
Alle drei Kriterien müssen für die jeweilige Diagnose erfüllt sein. ** Sleep-Onset-REM-Periode *** Multipler Schlaflatenztest
Alle drei Formen zeigen übermässige Tagesschläfrigkeit. Bei Narkolepsie Typ 2 und IH muss diese mindestens drei Monate bestehen. Bei Typ 1 entfällt dieser Zeitrahmen seit der Aktualisierung.
Unterschiede zwischen den Störungen
Kataplexie ist ein Hauptsymptom bei Narkolepsie Typ 1. Betroffene erleben oft fragmentierten Nachtschlaf, Schlafparalysen und Halluzinationen. Bei Typ 2 fehlt Kataplexie, die übrigen Symptome ähneln Typ 1. Personen mit IH leiden an langem Nachtschlaf und Schlaftrunkenheit.
Das Orexin-A-Level dient als biologisches Kriterium. Ein Defizit deutet auf Narkolepsie Typ 1 hin, während bei Typ 2 und IH die Orexin-Neuronen intakt bleiben. Man vermutet, dass bei Typ 1 eine Autoimmunerkrankung die Neuronen zerstört. Gen-Silencing-Prozesse könnten ebenfalls eine Rolle spielen.
Diagnostik im Schlaflabor
Elektrophysiologische Parameter ermittelt man durch nächtliche Polysomnografie und den multiplen Schlaflatenztest (MSLT). Teilnehmer sollen im Schlaflabor fünfmal täglich ein Nickerchen machen. Schlafen sie innerhalb von acht Minuten ein und erreichen schnell die REM-Phase (SOREMP), spricht dies für übermässige Tagesschläfrigkeit. Seit den Neuerungen ist ein MSLT für die Diagnose von Narkolepsie Typ 1 nicht mehr zwingend.
Eine Kataplexie plus eine einmalig dokumentierte nächtliche SOREMP genügt. Dieser Aspekt wird diskutiert, so Dr. Barateau. Ohne andere Schlafstörung gilt die nächtliche SOREMP als spezifisch, jedoch mit geringer Sensitivität.
Für die IH-Diagnose misst man die Schlafzeit, doch fehlen standardisierte Protokolle zur Analyse, bemerkt die Referentin. Die Klassifikation weist weiterhin Mängel auf, da sich die Formen nicht eindeutig abgrenzen lassen. Die Diagnosestellung stützt sich stark auf den MSLT, der bei Narkolepsie Typ 2 und IH wenig zuverlässig ist.
Die Konsistenz liegt für Typ 2 zwischen 18 und 47 Prozent, bei IH bei rund 25 Prozent. Auch das Alter wird nicht berücksichtigt, obwohl es wichtig ist, da mit höherem Alter weniger SOREMP auftritt und die Schlaflatenz steigt.
Behandlungsmöglichkeiten
Für die Behandlung sind Hauptsymptome, Alter und Komorbiditäten entscheidend, erklärt Prof. Dr. Claudio Bassetti vom Inselspital Bern*. Narkolepsie-Betroffene haben ein erhöhtes Risiko für Begleiterkrankungen wie Angststörungen, Depressionen und Schlafapnoe. Auch das Risiko für Adipositas, das Restless-Legs-Syndrom und die REM-Schlaf-Verhaltensstörung ist erhöht.
Die europäischen Empfehlungen von 2021 (1) umfassen pharmakologische und nichtpharmakologische Strategien. Letztere sind noch nicht ausreichend evidenzbasiert, ausser für geplante Nickerchen tagsüber. Weitere Strategien umfassen feste Schlafzeiten und das Vermeiden von Kaffee und Alkohol vor dem Schlafengehen (2).
Es gibt keine krankheitsmodifizierenden Medikamente, nur symptomlindernde. Für die Behandlung der Tagesschläfrigkeit stehen Modafinil, Pitolisant und Natriumoxybat zur Verfügung. Solriamfetol, ein neues Medikament, erfordert weitere Studien.
Bei Kataplexie hilft Modafinil meist nicht, kann aber bei milder Kataplexie mit schwerer Tagesschläfrigkeit sinnvoll sein. Natriumoxybat wird stark empfohlen, Pitolisant und Venlafaxin/Clomipramin haben sich ebenfalls bewährt. Bei fragmentiertem Nachtschlaf ist Natriumoxybat die einzige Empfehlung. Reicht eine Monotherapie nicht aus, folgt eine Kombitherapie.
Die Empfehlungen für Kinder ähneln denen für Erwachsene. Tagesschläfrigkeit und ggf. Kataplexie behandelt man mit Pitolisant oder Natriumoxybat. Bei zusätzlichem fragmentiertem Nachtschlaf empfiehlt sich Natriumoxybat.
Die Adhärenz ist oft schlecht, was weitere Studien erfordert, so Prof. Bassetti. Zudem gibt es Bestrebungen, einen Orexin-2-Rezeptoragonisten zu entwickeln. Ein Kandidat in Phase-I-Studien erwies sich jedoch als hepatotoxisch, weshalb weitere Forschung nötig ist.
Narkolepsie bei Kindern
Kinder mit Narkolepsie Typ 1 zeigen oft umfassende Symptome. Die Tagesschläfrigkeit tritt meist zuerst auf und führt zu Hyperaktivität, Aggression und Depression. Die jungen Patienten sind oft unaufmerksam, vergesslich und ziehen sich sozial zurück. Rund 70 Prozent leiden an Kataplexie. Es kann zu Halluzinationen, unterbrochenem Nachtschlaf und Schlafparalysen kommen.
Kataplexie äussert sich bei Kindern anders als bei Erwachsenen. Sie laufen schwankend und zeigen ein hyperkinetisches Bewegungsmuster. Ptosis, starke Grimassen mit offenem Mund und Zungenprotrusion sind häufig. Kataplexie kann spontan beim Essen oder Laufen auftreten. Bei manchen Kindern kommt es zu starkem Muskeltonusverlust, sodass sie hinfallen.
Teilweise zeigen die kleinen Patienten automatisches Verhalten. Bewegungen werden stereotypisch fortgesetzt, ohne dass sie es bemerken. Sie können dabei wach sein oder sich in der REM-Phase befinden.
- Chung I-H et al. Pediatric Narcolepsy-A Practical Review. Children (Basel). 2022 Jun 29;9(7):974. doi: 10.3390/children9070974
- Bassetti C et al. European guideline and expert statements on the management of narcolepsy in adults and children. J Sleep Res. 2021 Dec;30(6):e13387. doi: 10.1111/jsr.13387
- Varallo G et al. Navigating narcolepsy: exploring coping strategies and their association with quality of life in patients with narcolepsy type 1. Sci Rep. 2024 May 23;14(1):11837. doi: 10.1038/s41598-024-62698-5
European Academy of Neurology (EAN) Congress 2024