Medical Tribune
25. Okt. 2024Viele Frauen leiden still

Diagnostik und Therapieoptionen bei sexueller Dysfunktion

Eine schwache Libido oder geringe sexuelle Erregbarkeit sind an sich nicht krankhaft. Problematisch wird es erst, wenn Betroffene darunter leiden. Dann gilt es, die Ursachen zu erforschen und, falls nötig, multimodal zu behandeln.

Sexuelle Probleme. Junger Mann und seine Freundin liegen mit dem Rücken zueinander im Bett, Nahaufnahme der Füße
Prostock-studio/stock.adobe.com
Es kann sinnvoll sein, auch den Partner bzw. die Partnerin in die Behandlung mitein­zubeziehen.

Die sexuelle Reaktionsfähigkeit von Frauen und Männern hängt von einem komplexen Zusammenspiel biologischer, psychologischer und sozialer Faktoren ab. Klagen Patientinnen über mangelnde Libido oder Erregbarkeit, können viele Ursachen dahinterstecken.

Bei einer sexuellen Dysfunktion sollte man daher möglichst viele relevante Faktoren untersuchen und therapeutisch angehen, schreibt Prof. Dr. Susan Davis von der Monash University in Melbourne (1).

Weniger als die Hälfte der Frauen spricht die Probleme an

Doch weniger als die Hälfte der Frauen spricht von sich aus über sexuelle Probleme. Daher müssen Ärztinnen und Ärzte aktiv nachfragen. Offene Fragen helfen, einer möglichen sexuellen Dysfunktion auf die Spur zu kommen. Für die weitere Abklärung empfiehlt die Kollegin eine Checkliste, die folgende Punkte umfasst:

  • Gibt es einen Mangel an Sexualhormonen oder organische Erkrankungen?
  • Wie steht es um die Kontinenz?
  • Gibt es Anzeichen für Depression, Fatigue, Alkohol- oder Drogensucht?
  • Welche Medikamente nimmt die Frau ein?

Welche Faktoren eine Rolle spielen können

Biologische und hormonelle Faktoren

Intrapersonelle Entwicklung

Auch Sexuelle, physische, emotionale, aber auch medizinische Traumata können zu einer sexuellen Dysfunktion beitragen.

Gleiches gilt für negative Emotionen wie Angst, Furcht, Scham und Schuldgefühle sowie ein negatives Körperbild. Geschlechtsidentität und Bildungsgrad spielen ebenfalls eine Rolle.

Negative Erwartungshaltung

Erlebter schmerzhafter oder enttäuschender Sex sind weitere Faktoren, die potenziell zu Störungen im Sexualleben führen.

Interpersonelle Aspekte

Besteht eine Partnerschaft? Gibt es Streit in der Beziehung oder mangelt es an emotionaler Nähe?

Kontextuelle Faktoren

Zu diesen gehören u. a. das Nichtvorhandensein von Privatsphäre, Sicherheitsbedenken, kulturelle Normen und religiöse Überzeugungen.

Fehlen adäquater Stimuli

Ist die bessere Hälfte erkrankt oder liegt dort ebenfalls eine sexuelle Dysfunktion vor? Und weiss die Patientin überhaupt, auf welche Weise sexuelle Stimulation gelingen kann?

Sexuelle Dysfunktion der Frau nach ICD-11

Die ICD-11-Diagnoseleitlinien unterteilen die sexuelle Dysfunktion der Frau in vier Gruppen:

  • Dysfunktion des sexuellen Verlangens (hypoactive sexual ­desire dysfunction, HSDD)
  • Dysfunktion der sexuellen ­Erregung
  • Dysfunktion des Orgasmus
  • andere oder nichtspezifizierte Dysfunktionen

Damit eine Diagnose gestellt werden kann, müssen die Symptome episodisch oder persistierend über mehrere Monate auftreten und für die Frau belastend sein.
Störungen wie die sexuelle Schmerz-Penetrationsstörung und die persistierende genitale Erregung sind im ICD-11 separat klassifiziert.

Therapie der sexuellen Dysfunktion

Sind die Ursachen der sexuellen Dysfunktion identifiziert, richtet sich die Therapie nach den Wünschen und Bedenken der Patientin sowie ihrer körperlichen und mentalen Gesundheit. Es kann sinnvoll sein, den Partner in die Behandlung einzubeziehen, schreibt Prof. Davis.

Falls möglich, sollte man Medikamente, die die Sexualfunktion beeinträchtigen, absetzen oder umstellen. Lebensstiländerungen haben sich bei Patientinnen mit Diabetes und Adipositas als hilfreich erwiesen. Psychosoziale Interventionen umfassen Sexual- und Paarberatung, Förderung der Körperwahrnehmung und kognitive Therapien. Gegebenenfalls ist eine Überweisung zu einem Psychologen nötig.

Manche Frauen profitieren von einem Entspannungstraining für den Beckenboden, vaginalen Dilatatoren (bei Vaginismus), Klitorisstimulatoren bzw. -vibratoren (bei Arousalstörungen).

Bei trockener Scheide, Juckreiz und Schmerzen bietet sich die Anwendung von Feuchtigkeitscremes für die Vagina an. Bei postmenopausalen Frauen bessert sich eine durch Östrogenmangel bedingte Dyspareunie unter der topischen Applikation von Estradiol bzw. Estriol via Creme, Vaginaltablette oder Ring.

Prasteron wird in Form von Vaginalzäpfchen zur Behandlung vulvärer und vaginaler Atrophie bei postmenopausalen Frauen mit mittelschweren bis schweren Symptomen eingesetzt. Oral kann man in solchen Fällen den selektiven Estrogenrezeptor-Modulator Ospemifen verordnen.

Frauen in den Wechseljahren, die neben heftigen typischen Symptomen über eine sexuelle Dysfunktion klagen, können von einer Hormonersatztherapie in doppelter Hinsicht profitieren.

Auch eine Frage des Alters

Wie häufig eine sexuelle Dysfunktion bei Frauen auftritt, ist nicht genau bekannt. Die in Studien gewonnenen Prävalenzdaten unterscheiden sich in Abhängigkeit von Störungsdefinition und Fragestellung. Eine deutsche Arbeit von 2020 (n = 2059) ermittelte auf Basis des ICD-11 bei 19,4 % der befragten 18- bis 24-Jährigen eine geringe Libido. In der Altersgruppe 46–55 Jahre lag die Rate bei 31,5 %.

Eine hypoaktive Sexualfunktionsstörung (Hypoactive Sexual Desire Disorder, HSDD) mit schwerem Leidensdruck in den vorangegangenen zwölf Monaten gaben 6,2 % bzw. 7,3 % der Frauen an. Eine deutlich grössere populationsbasierte Studie aus Australien (n = 10 554) ermittelte in den o.g. Altersgruppen in puncto geringe Libido eine Prävalenz von 27,4 % bzw. 58,9 %. Für eine HSDD betrug die Häufigkeit 12,2 % sowie 31,6 %. Wie Prof. Davis darlegt, stieg in beiden Studien die Prävalenz des Libidomangels mit dem Älterwerden weiter an. Die der HSDD nahm dagegen in den höheren Altersgruppen ab 65 Jahren wieder ab.

Hypoaktive Sexualfunktionsstörung

Eine hypoaktive Sexualfunktionsstörung (Hypoactive Sexual Desire Disorder, HSDD) kann bei prämenopausalen Frauen mit Flibanserin oder Bremelanotid behandelt werden.

Postmenopausale Frauen mit HSDD erhalten zumindest in den USA häufig transdermal Testosteron (1 %) in einer Tagesdosis von 0,5 – 1 ml Creme pro Tag. Allerdings ist diese Therapie nicht unumstritten und off label. Die so behandelten Frauen müssen im Hinblick auf Akne, vermehrtes Haarwachstum und Gewichtszunahme kontrolliert werden.

Noch wenig Evidenz gibt es zur medikamentösen Therapie der genitalen Arousalstörung mit Sildenafil (Einnahme von 50 mg vor dem Verkehr) bei rückenmarkgeschädigten Patientinnen sowie Frauen mit antidepressivaassoziierter Störung. Gleiches gilt für die regelmässige Einnahme von Tadalafil (5 mg/d) bei einer genitalen Arousalstörung im Rahmen eines Typ-1-Diabetes.