Medical Tribune
27. Aug. 2024Arbeitsfähig oder nicht?

Schlaganfall und Arbeit: Von Wiedereingliederung bis Berufsunfähigkeit

Ein Schlaganfall kann das Leben eines Menschen grundlegend verändern. Neben den körperlichen und kognitiven Beeinträchtigungen stellt sich oft die Frage, ob und in welchem Umfang eine Rückkehr ins Berufsleben möglich ist.

Ob und wann Menschen nach einem Schlaganfall wieder arbeiten können, hängt von vielen Faktoren ab.
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PD Dr. Dr. David Winkler, Leiter der Neurologie am Kantonsspital Baselland, befasst sich häufig mit Fragen zur Arbeitsfähigkeit.

Am Frühjahrskongress der SGAIM berichtet er über die Herausforderungen, denen Schlaganfallpatientinnen und -patienten in diesem Zusammenhang begegnen.

Schlaganfall: Ein Drittel betrifft Menschen im erwerbsfähigen Alter

Schlaganfälle zählen zu den häufigsten Ursachen für langfristige Behinderungen. Ein beträchtlicher Anteil der Betroffenen ist im erwerbsfähigen Alter. Rund ein Viertel der Schlaganfallpatienten ist unter 65 Jahre alt.

«Dank moderner medizinischer Verfahren wie der Thrombendarteriektomie hat sich die Überlebensrate nach einem schweren Schlaganfall deutlich verbessert», so PD Dr. Dr. Winkler. Dies führt jedoch dazu, dass immer mehr Menschen nach einem Schlaganfall mit den Herausforderungen der beruflichen Wiedereingliederung konfrontiert sind.

Wer nach einem Schlaganfall wieder arbeiten kann

Ob und wann Patienten nach einem Schlaganfall wieder arbeiten können, variiert stark. Studien zeigen, dass etwa die Hälfte der Betroffenen nach 30 Monaten wieder arbeitet – oft in reduziertem Umfang oder mit angepassten Aufgaben. Die Rückkehr erfolgt schrittweise und ist häufig von Einschränkungen begleitet. Eine kanadische Studie belegt, dass etwa 41 Prozent der Patienten nach sechs Monaten wieder arbeiteten. Nach zwei bis vier Jahren stieg diese Zahl auf zwei Drittel.

Diese Studien verdeutlichen, dass die Arbeitsfähigkeit nach einem Schlaganfall stark von individuellen Faktoren abhängt. Dabei spielen nicht nur die Schwere des Schlaganfalls und die betroffenen Gehirnareale eine Rolle, sondern auch psychosoziale Rahmenbedingungen und das Arbeitsumfeld.

Ein Schlaganfall kann sich sehr unterschiedlich auswirken

Das Gehirn ist ein hochkomplexes Organ, und ein Schlaganfall kann in verschiedenen Bereichen unterschiedliche Schäden verursachen. Je nachdem, welche Region des Gehirns betroffen ist, zeigen sich unterschiedliche Symptome, die die Arbeitsfähigkeit beeinflussen können. Schäden im vorderen Bereich des Gehirns können etwa zu Antriebsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten führen. Bei Schäden in der linken Hemisphäre hingegen können Sprachstörungen mit Lähmungen auftreten. Diese kognitiven und physischen Beeinträchtigungen erschweren die Rückkehr in den Arbeitsalltag erheblich.

Besonders problematisch sind laut PD Dr. Dr. Winkler die «unsichtbaren» Symptome, die für Aussenstehende schwer erkennbar sind, die Betroffenen jedoch im Alltag stark belasten. Patienten, die äusserlich keine sichtbaren Einschränkungen aufweisen, können im beruflichen Kontext dennoch grosse Schwierigkeiten erfahren – insbesondere in Berufen, die höhere kognitive Leistungen und soziale Interaktionen erfordern.

Häufiges Problem Fatigue

Ein häufiges und oft unterschätztes Symptom nach einem Schlaganfall ist die Fatigue – eine extreme Form der Erschöpfung, die sowohl physisch als auch psychisch auftreten kann. Diese sogenannte Post-Stroke-Fatigue kann die berufliche Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigen, da die Betroffenen oft nicht in der Lage sind, die erforderliche Ausdauer für ihre Arbeit aufzubringen. Studien zeigen, dass zwischen 40 und 80 Prozent der Schlaganfallpatienten von Fatigue betroffen sind, wobei die genaue Zahl je nach Definition und Messmethode variiert.

Die Behandlung der Fatigue gestaltet sich schwierig. Besonders bei organischen Läsionen wie Thalamusschäden zeigt sich, dass therapeutische Massnahmen oft nur wenig Besserung bringen. Es ist daher wichtig, dieses Symptom in der medizinischen und beruflichen Rehabilitation ernst zu nehmen und bei der Wiedereingliederung zu berücksichten, erinnert der Experte.

Medizinische Diagnose und Ressourcen entscheiden

Die Begutachtung der Arbeitsfähigkeit nach einem Schlaganfall erfordert ein strukturiertes Vorgehen, bei dem sowohl die Einschränkungen als auch die vorhandenen Ressourcen des Patienten berücksichtigt werden.

Dabei spielt nicht nur die medizinische Diagnose eine Rolle, sondern auch psychosoziale Aspekte wie das familiäre Umfeld und die Freizeitgestaltung.

Eine sorgfältige Erfassung aller relevanten Faktoren ist entscheidend, um eine realistische Einschätzung der Chancen auf berufliche Wiedereingliederung zu ermöglichen. «Es ist für die Lebensqualität besser, arbeiten zu können. Man hat eine Tagesstruktur, bleibt sozial integriert und es ist meist auch finanziell vorteilhaft», sagt PD Dr. Dr. Winkler.

Die Rückkehr in den Beruf nach einem Schlaganfall ist jedoch oft mit Herausforderungen verbunden. In vielen Fällen ist eine vollständige Rückkehr in den vorherigen Beruf nicht möglich, sodass alternative Arbeitsmöglichkeiten in Betracht gezogen werden müssen. Eine angepasste Arbeitsumgebung, reduzierte Arbeitszeiten und spezielle Unterstützungssysteme können dazu beitragen, die Wiedereingliederung zu erleichtern.

Versicherungsrechtlich keine Fehler machen

Für den Fall, dass ein Patient teilweise oder vollständig arbeitsunfähig wird, ist es entscheidend, dass Ärzte die Symptome und deren Verlauf von Anfang an korrekt und präzise dokumentieren, betont PD Dr. Dr. Winkler. Besonders wichtig sind neurologische Verlaufsdokumentationen, die regelmässig von Neurologinnen und Neurologen durchgeführt werden sollten.

In der Schweiz ist für die berufliche Reintegration sowie die finanzielle Unterstützung von Schlaganfallpatienten primär die Invalidenversicherung (IV) zuständig. Die IV bietet neben finanziellen Leistungen auch sehr hilfreiche Beratungsleistungen zur Reintegration von Patienten an.

Zur Bewältigung unter anderem von administrativen Herausforderungen auf dem Weg der beruflichen Reintegration können den juristisch meist unerfahrenen Patienten zudem Sozialberatungsdienste des Kantons sowie Stiftungen wie die Schweizerische Herzstiftung oder Fragile Suisse behilflich sein.