Medical Tribune
25. Aug. 2024Der Kampf mit dem Spiegelbild

Körperdysmorphe Störung: Die Angst, hässlich zu sein

Körperdysmorphe Störungen beeinträchtigen das Leben der Betroffenen massiv. Für Patienten führt der erste Weg zum Hausarzt, der zweite zum Spezialisten.

Menschen mit körperdysmorpher Störung haben Probleme mit mindestens einem Aspekt ihres Aussehens.
MAK/stock.adobe.com
Nach Beseitigung eines vermeintlichen Makels kreisen die Gedanken meist um einen anderen Körperteil.

Nahezu jeder hat einen Körper­teil, den er an sich nicht so gerne mag. Bei der körperdysmorphen Störung – auch «Entstellungsangst» genannt – ist diese Empfindung jedoch ins Extreme gesteigert.

Die körperdysmorphe Störung bei Frauen und Männern

Ständig kreisen die Gedanken um den vermeintlichen Makel, die Betroffenen beschäftigen sich stundenlang damit und versuchen, fragliche Stellen zu verstecken.

Selbstzweifel betreffen bei beiden Geschlechtern oft die Haut oder die Nase. Frauen mit körperdysmorpher Störung hadern zudem häufig mit der Brust oder dem Bauch, während Männer sich eher exzessiv Sorgen um ihre Körpergrösse, ihre Muskelmasse, die Kieferpartie oder die Genitalien machen.

Früherkennung und Behandlungsmöglichkeiten

Eine psychische Erkrankung liegt vor, wenn die Betroffenen im Alltag starken Leidensdruck verspüren, erklärt Dr. Marie Drüge von der Universität Zürich im Podcast O-Ton Allgemeinmedizin (1). Manche Patienten nutzen exzessiv Make-up, verlassen ihre Wohnung erst nach aufwendigen Ritualen, nur bei bestimmten Lichtverhältnissen oder gar nicht. Einige können deshalb nicht mehr zur Schule oder zur Arbeit gehen.

Wird die Störung früh erkannt, ist sie oft gut therapierbar. Die erste Wahl der Behandlung ist eine kognitive Verhaltenstherapie. Aus Angst und Scham vertrauen sich die Betroffenen jedoch oft lange niemandem an. Es drohen Chronifizierung und schwerwiegende Krankheitsfolgen. Hausärzten kommt dabei eine wichtige Rolle zu, stellt Dr. Drüge fest: Eine langjährige Vertrauensbasis ermöglicht es ihnen, Veränderungen, starken Leidensdruck oder eine komorbide Depression zu bemerken.

Wie sich die körperdysmorphe Störung zu erkennen gibt

Manchmal fragen Betroffene direkt, ob «das eigentlich noch normal ist», wie ihre Nase oder ihr Kiefer aussieht. Umgekehrt lassen sich einfache Screeningfragen einsetzen, etwa:

  • Machen Sie sich Sorgen um Ihr Aussehen?
  • Haben Sie diese Sorgen zu irgendeiner Zeit beunruhigt?
  • Beeinträchtigen Sie diese Sorgen in Ihrem Alltag?

Einige Betroffene fallen durch den Wunsch nach vielen Schönheits-OPs auf. In der ästhetischen Chirurgie finden sich laut Dr. Drüge Prävalenzen von 10 bis 20 Prozent.

«Rekordhalterin» in ihrer Praxis war eine Patientin mit 28 Operationen an der Nase. Weigern sich Ärzte am Wohnort, einen Eingriff durchzuführen, gehen viele ins Ausland. Zufriedenheit mit dem Resultat einer Schönheits-OP stellt sich jedoch selten ein. Wenn doch, wechselt die Störung oft nur den Ort: Die Sorgen kreisen dann um einen anderen Körperteil.

Risiken durch Schönheitsoperationen und Selbstverletzung

Die körperdysmorphe Störung bringt handfeste gesundheitliche Risiken mit sich. Neben unerwünschten Effekten von Schönheits-OPs – die Patientin mit der häufigen Nasenkorrektur hatte etwa starke Knorpelschäden davongetragen – sind auch Selbstoperationen ein Thema. Die Betroffenen versuchen, sich mit Schmirgelpapier die Zähne weiss zu schleifen, oder sie wollen Knubbel auf der Haut mit einer Schere abschneiden. Auch die Suizidalität ist stark erhöht.

Häufig wird ein gesteigerter Druck durch die Medien, bestimmten ästhetischen Normen zu entsprechen, mit der körperdysmorphen Störung in Verbindung gebracht. Zwar ist das Krankheitsbild deutlich älter als Instagram & Co., erstmals beschrieben wurde es 1886. Dennoch bemerkt auch Dr. Drüge einen wachsenden Einfluss des Internets. Ihre Patientinnen berichten häufig, dass sie viel Zeit mit Social Media verbringen, dies aber negative Gefühle verursache.

Medialer Einfluss und die Rolle von Social Media

Wie gross genau der Einfluss sozialer Medien auf die Störung ist, wird noch diskutiert, erklärte die Forscherin. Metaanalysen belegen zumindest eine negative Korrelation zwischen der Social-Media-Nutzung und dem psychischen Wohlbefinden.

KI-Filter, die Falten und Makel retuschieren, verschärfen das Problem. Wollten Patienten früher wie Models in Magazinen oder auf Plakaten aussehen, haben viele heute ein mit Filtern verändertes Selfie als Idealbild dabei. Aufklärungskampagnen in Schulen könnten der Expertin zufolge ebenso helfen wie eine Pflicht, bearbeitete Bilder im Netz zu kennzeichnen – in Norwegen besteht diese seit 2021.