Geschlecht und Gender in der Onkologie
Eine Medizin, die sich an genetischen und soziokulturellen Unterschieden zwischen Männern und Frauen ausrichtet, ist alles andere als ein «Frauenthema». Drei Vortragende am deutschen Krebskongress zeigen: Sie kommt beiden Geschlechtern zugute. Das gilt auch und gerade in der Onkologie.
Prof. Dr. Anne Letsch vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel erklärt zunächst die Unterschiede zwischen den Begriffen «Geschlecht» und «Gender» (1).
«Geschlecht» bezieht sich auf die biologischen Merkmale wie Chromosomen, Genexpression, Hormone, physiologische Funktionen und Anatomie. Dagegen umfasst «Gender» zusätzlich die strukturellen und sozialen Determinanten von Gesundheit.
Die geschlechts- und gendersensible Medizin berücksichtigt, dass Körpersysteme bei Männern und Frauen unterschiedlich funktionieren können und dass es Unterschiede in Verhaltensweisen, Präferenzen und Einflüssen zwischen den Geschlechtern gibt. Dies erfordert angepasste Strategien für Prävention, Screening, Diagnose, Behandlung und Nachsorge – zum Wohle beider Geschlechter, wie die Referentin betont.
Gut 20 Prozentpunkte Differenz im Ansprechen
Dr. Kathrin Heinrich vom LMU Klinikum München unterstreicht dabei die Relevanz geschlechtsspezifischer Unterschiede im Immunsystem, insbesondere in Bezug auf die Zusammensetzung der Immunzellpopulationen (2). In Kombination mit geschlechtschromosomgebundenen epigenetischen Signalen beeinflusst dies die Reaktion auf CPI (Checkpoint-Inhibitor)-Therapien, die bei Männern deutlich besser ausfällt.
PD Dr. Ute Seeland von der Charité - Universitätsmedizin Berlin ergänzt, dass die Ansprechrate auf eine PD(-L)1-basierte Therapie bei Männern im Durchschnitt 54,6 % beträgt, während sie bei Frauen nur 33,1 % beträgt (3).
Dies spiegelt sich auch in deutlichen Unterschieden im mittleren progressionsfreien Überleben wider (18 Monate vs. 5,5 Monate). Eine Metaanalyse mit über 11.000 Patienten mit Melanom und Lungenkrebs bestätigt zudem, dass Frauen weniger von einer Immuntherapie profitieren als Männer (HR Männer vs. Frauen: 0,72 vs. 0,86). Im Gegensatz dazu sprechen weibliche Personen besser auf eine neoadjuvante Chemotherapie an.
Hoffnung KI
Künstliche Intelligenz soll dazu eingesetzt werden, in den bereits vorliegenden riesigen Datenmengen aus klinischen und Real-World-Studien Muster zu erkennen, die auf Unterschiede zwischen den Geschlechtern und auf Gender-Einflüsse schliessen lassen.
Letztlich sollen dadurch eine bessere und frühere Diagnose von Erkrankungen und eine Therapieoptimierung für beide Geschlechter möglich werden.
Basierend auf diesen Erkenntnissen fordert Dr. Seeland die Entwicklung alternativer Immuntherapiestrategien, die vom Geschlecht abhängig sind. Sie betont auch die Notwendigkeit, eine ausreichende Repräsentanz von Frauen in Studien sicherzustellen und falsche Schlussfolgerungen aus Ergebnissen zu vermeiden, die hauptsächlich mit Männern oder gemischten Gruppen erzielt wurden.
- Letsch A. 36. Deutscher Krebskongress; Vortrag «Keynote Lecture: Geschlechterunterschiede bei Krebs: Trennung von alten Denkmustern».
- Heinrich K. 36. Deutscher Krebskongress; Vortrag «Genderunterschiede in der Immunologie – spielt das Geschlecht eine Rolle bei der ICI-Therapie (Immun-Checkpoint-Inhibitoren)?».
- Seeland U. 36. Deutscher Krebskongress; Vortrag «Gender- bzw. geschlechterspezifische Medizin».