Medical Tribune
24. Mai 2024Dr. Reta Tschopp prüft Flugpersonal auf Herz und Nieren

«Der Faktor Sicherheit hat immer oberste Priorität»

Die gesundheitlichen Anforderungen an das Flugpersonal sind hoch, denn Pilotinnen und Piloten tragen eine besonders grosse Verantwortung. Ebenso arbeiten sie unter speziellen Bedingungen und sind mit physikalischen Eigenheiten in der Luft konfrontiert, die eine hohe Belastung für den Körper darstellen können. Die Allgemeinmedizinerin Dr. Reta Tschopp, selbst eine begeisterte Hobbyfliegerin, prüft in ihrer Hausarztpraxis in Muttenz Flugpersonal nach einem strengen Kriterienkatalog. Dieser differiert je nach Funktion.

Dr. Reta Tschopp
zVg
Dr. Reta Tschopp untersucht in ihrer Hausarztpraxis Flugpersonal und ist selbst Hobbyfliegerin.

«Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein», sang einst der deutsche Balladensänger Reinhard Mey. Wer als Pilotin oder Pilot in der dritten Dimension tätig sein möchte, hat allerdings besonders strenge gesundheitliche Voraussetzungen zu erfüllen. Kein Wunder: Diese Berufskategorie trägt nicht nur eine Verantwortung für sich selbst, sondern je nachdem auch für Hunderte von Passagieren.

Wer in der Höhe arbeitet, hat es nicht mit gleichen Verhältnissen wie am Boden zu tun. In einem Flugzeug wirken andere Beschleunigungskräfte, auch die Druckverhältnisse ändern sich kontinuierlich. Hinzu kommen aussergewöhnlich lange und unregelmässige Arbeitszeiten. Akut auftretende gesundheitliche Probleme während eines Fluges könnten ferner grosse Folgen haben. Auf den Punkt gebracht: Um ihren Job pflichtbewusst Tag für Tag ausfüllen zu können, müssen diese Berufsleute über eine speziell robuste Gesundheit sowohl physischer wie auch psychischer Art verfügen.

Ein Drittel der Arbeitszeit entfällt aufs Flugpersonal

«Die Sicherheit steht über allem», sagt Dr. Tschopp. Seit rund einem Jahrzehnt untersucht die Allgemeinmedizinerin, die zusätzlich über einen pharmazeutischen Abschluss verfügt, verschiedenste Kategorien von Flugpersonal; von Segelfliegern über Privatpiloten bis zu solchen, die ein Linienflugzeug steuern, ebenso seit Kurzem das Kabinen­personal der Fluggesellschaft Easy­jet Basel. «Rund ein Drittel meiner Arbeitszeit entfällt inzwischen auf die Abklärung dieser Arbeitskräfte», erzählt die Ärztin in ihrer Praxis in Muttenz.

Die fliegerärztliche Untersuchung ist ein wichtiger Bestandteil der Luftfahrtmedizin und hat eine Kernaufgabe: Sie soll die Flugtauglichkeit von Piloten sowie Flugverkehrsleitern sicherstellen. Die Abklärungen erfolgen gemäss den Richtlinien der European Aviation Safety Agency (EASA) und beinhalten die Mindestanforderungen für die Flugtauglichkeit. Eine wichtige Rolle spielt auch das BAZL, das Bundesamt für Zivilluftfahrt bzw. die Aeromedical Section (AMS), ein Teil des BAZL. «Als Fliegerärztin bin ich quasi der verlängerte Arm dieser Behörde», sagt Dr. Tschopp.

Sie zählt zu denjenigen Fliegerärztinnen und -ärzten, welche selbst über eine Fluglizenz verfügen. «Ich gelte in der Flugschule sogar als Vielfliegerin», sagt sie und lacht. Rund 80 bis 100 Stunden pro Jahr verbringt sie in luftiger Höhe. Als junge Frau wollte sie bereits in der Armee das Fliegen lernen, erzählt sie. Daraus wurde dann aber noch nichts, weil damals noch keine Frauen Militärjets fliegen durften. Erst vor rund zehn Jahren absolvierte sie schliesslich die Ausbildung zur Privatpiloptin, machte sich mit Fächern wie dem Wetter, Navigation oder Aero­dynamik vertraut und besuchte in der Folge auch diverse Fort- und Weiterbildungskurse.

Die Sehfähigkeit ist von grosser Bedeutung

In ihrer Hausarztpraxis sticht gleich eine Sehtesttafel ins Auge, die eigentlich zum Inventar eines Augenarztes, nicht einer Allgemeinmedizinerin gehört. «Als Fliegerärztin führe ich nicht die gleichen Abklärungen wie als Hausärztin durch», hält sie fest. Die Prüfung der Sehfähigkeit beispielsweise sei ein zentrales Element bei einer Untersuchung von Pilotinnen und Piloten jeglicher Couleur, so Dr. Tschopp. Ein gewisses Limit bezüglich Sehkraft müsse erreicht, eine Sehschwäche mit einer Brille oder einer Linse korrigiert werden können.

Sie zeigt als Beispiel eine Tabelle mit zahlenmässigen Vorgaben der AMS des BAZL. Von Berufspiloten (Klasse 1) wird eine Sehschärfe von 0,7 auf einem Auge und 1,0 auf beiden Augen korrigiert oder unkorrigiert verlangt. Vonnöten ist ebenso ein normales Farbsehvermögen, wenn man bei Nacht auf Sicht fliegen möchte. Auch gibt es Vorgaben für Kontaktlinsen- und Brillenträger. An Linienpiloten würden grundsätzlich überall strengere Massstäbe gesetzt als etwa an Segel- oder Hobby­flieger. Dass ein modernes Flugzeug heutzutage auch blind landen könnte, spiele keine Rolle, so Dr. Tschopp. Gelandet und gestartet werde immer noch vorwiegend manuell.

Gesundheitliche Risiken sind auszuschliessen

Die fliegerärztliche Untersuchung umfasst aber weit mehr als nur die Augen, sondern auch das Herz-Kreislauf-System, neurologische Funktionen und das Hörvermögen: «Ich untersuche den ganzen Körper, erfrage die medizinische Vorgeschichte und achte natürlich jeweils auf die vorgegebenen Richtlinien und Vorschriften», so Dr. Tschopp.

Und wie bereits erwähnt: Oberste Priorität hat immer der Sicherheitsaspekt. Es gilt alle möglichen gesundheitlichen Risiken auszuschliessen, die während eines Fluges zu einer rasch auftretenden Flugunfähigkeit führen könnten. «Ein Pilot, der zum Beispiel Nierensteine hat und eine Kolik erleiden könnte, muss diese Steine entfernen lassen. Man kann ja nicht wie beim Auto kurz den Blinker stellen und am Strassenrand anhalten, wenn ein Problem auftritt». Oder: Ein Pilot, der früher einmal einen Herzinfarkt erlitten hat, kann unter Umständen durchaus wieder fliegen.

Grundbedingung ist aber, dass sein Herz noch genügend Leistung erbringen kann und dass die Risikofaktoren (u.a. hoher Blutdruck) behandelt, respektive medikamentös unter Kontrolle sind. Wer einen Risikofaktor wie zum Beispiel einen hohen Body-Mass-Index von über 30 kg/m2 hat, muss sich noch weiteren Untersuchungen unterziehen.

Um als Pilot oder Pilotin zugelassen zu werden, sind einige Arzneimittel tabu, so etwa Medikamente gegen Epilepsie. Bei Personen mit Diabetes muss differenziert werden. «Medikamente dürfen keine Unterzuckerung zur Folge haben, und Insulin ist im Gegensatz zum Strassenverkehr nicht erlaubt.»

Um die flugärztliche Lizenz behalten zu können, müssen sich die rund 12 000 Pilotinnen und Piloten mit einer Schweizer Fluglizenz periodisch einer fliegerärztlichen Untersuchung unterziehen; je höher die Verantwortung, desto kürzer die Abstände. Die AMS führt dabei die Aufsicht über die rund 80 Fliegerärztinnen und Fliegerärzte (Aeromedical Examiners, AME) wie Dr. Tschopp. Den AME stehen flugmedizinische Experten in bestimmten Fächern zur Seite, um unklare Situationen zu beurteilen.

Wenn die medizinischen Abklärungen einen negativen Entscheid ergeben, kann dies für Piloten gravierende Folgen haben, zumal wenn sie diese Tätigkeit nicht bloss hobby-, sondern berufsmässig ausüben. «Fliegerärztinnen und Fliegerärzte haben aber nicht das letzte Wort», betont Dr. Tschopp. Gegen einen negativen Entscheid kann Rekurs eingereicht werden. In diesem Falle kommt es zu einer Re-Evaluation durch die AMS.

Zwischenlösungen statt Flugverbot

Anstelle eines Flugverbots kommen auch Zwischenlösungen in Betracht, respektive eine Lizenzverlängerung mit Auflagen. Einem leicht herzkranken Privatpiloten kann zum Beispiel vorgeschrieben werden, dass er sich immer wieder in kurzen Zeiträumen kardiologisch untersuchen lässt, oder dass er nicht alleine oder nicht mit Passagieren fliegen darf; oder einer hörgeschädigten Person wird das Fliegen nur mit Tragen eines Hörgeräts gestattet. «Das Hauptziel ist immer die Flugsicherheit, nicht ein Flugverbot», macht Dr. Tschopp klar. Man sucht nach Möglichkeit eine vernünftige und verantwortbare Lösung.

Seit dem Germanwings-Unfall vor fast zehn Jahren (24. März 2015), bei dem ein Co-Pilot eine Passagier-Maschine vorsätzlich gegen einen Berg steuerte und damit einen erweiterten Suizid beging, werde der psychische Zustand von Piloten noch genauer als bislang unter die Lupe genommen, klärt Dr. Tschopp auf. Eine absolute Sicherheit gäbe es allerdings trotz aller Bemühungen und zusätzlicher Abklärungen nicht.

Militärpiloten ausgeklammert

Zwei Aspekte einer flugärztlichen Untersuchung gehören übrigens nicht zum Pflichtenfeld einer Fliegerärztin. So werden erstens Neueinsteigerinnen und Neueinsteiger der Klasse 1 (Linienpiloten und kommerziell tätige Piloten) immer vom fliegerärztlichen Institut in Dübendorf oder von der Swiss erst­abgeklärt. Das Gleiche gilt für Militärpiloten, die besonders strengen gesundheitlichen Kriterien genügen müssen. «Hier nimmt man nur die Besten und Gesündesten». Die Fliehkräfte, die diese Piloten auszuhalten haben, sind enorm.

Dr. Tschopp ist heute 68 Jahre alt. Wenn es nach Plan verläuft, soll die Tochter in vier bis fünf Jahren den Facharzttitel erhalten und danach ihre Praxis übernehmen. «Das Flugpersonal möchte ich aber über diesen Zeitpunkt hinaus noch weiter betreuen», hat sie sich vorgenommen.