Medical Tribune
27. Nov. 2023Den kleinen Fasern auf der Spur

Small-Fiber-Neuropathie: Hilfen bei der Diagnose

Eine Neuropathie der dünnen Nervenfasern (Small-Fiber-Neuropathie) zu erkennen, kann schwierig sein. Viele Patienten werden erst einmal zum Psychiater weitergeschickt. Das liegt auch daran, dass die Symptome oft uneindeutig sind, und auch die Histologie häufig in die Irre führt. Zwei Expertinnen erläutern, wie man die Nervenerkrankung trotzdem diagnostizieren kann und was es bei der Therapie zu beachten gilt.

Bei vielen Patienten dauert die Diagnosestellung ihrer Small-Fiber-Neuropathie Jahre.
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Bei vielen Patienten dauert die Diagnosestellung ihrer Small-Fiber-Neuropathie Jahre.

Als Leitsymptom der Small-Fiber-Neuropathie (SFN) gilt ein fokussierter und brennender Schmerz an den Füssen oder Händen. Allerdings reicht es nicht aus, sich allein darauf zu konzentrieren, betont Professor Dr. Nurcan Üçeyler vom Universitätsklinikum Würzburg.

Denn der klinische Phänotyp der Small-Fiber-Neuropathie ist äusserst vielfältig, was die Diagnose erschwert. Aufgrund der unklaren Symptome schicken viele Ärzte die Patienten zunächst zum Psychiater, so Prof. Üçeyler. Dies sei jedoch unnötig, wenn man Warnhinweise ernst nimmt und eine breitere Palette von Untersuchungsmethoden nutzt.

Sensorische Testung ergibt nur bei der Hälfte pathologische Befunde

Bei der Small-Fiber-Neuropathie sind die kleinen, wenig oder nicht myelinisierten sensorischen Nervenfasern in der Haut geschädigt. Die Erkrankung kann verschiedene Körperregionen betreffen und zu generalisierten Beschwerden führen. Anstelle typischer Nervenschmerzen verspüren einige Betroffene Verspannungen oder ein Druckgefühl. Die Schmerzen und anderen Empfindungen halten oft lange an, und auch Exazerbationen sind möglich. Sofern den Patienten Trigger bekannt sind, handelt es sich dabei meistens um Hitze oder körperliche Aktivität, erklärt Prof. Üçeyler.

Die Untersuchung beginnt mit einer Schmerzanamnese, bei der vor allem auf Anzeichen von neuropathischen Schmerzen geachtet wird. Die sensorische Testung zeigt jedoch nur bei etwa der Hälfte der Patienten pathologische Befunde wie eine Thermhypästhesie, Allodynie, Hypo- oder Hyperalgesie und Dysästhesie bei Berührung. Typischerweise nehmen die Betroffenen Hitze- und Kältereize schlechter wahr, reagieren jedoch empfindlicher auf schmerzhafte Reize als gesunde Personen.

Hautstanzbiopsie liefert keine Sicherheit

Die Hautstanzbiopsie wird oft als wegweisend für die Diagnose angesehen, erklärt die Expertin. Dabei werden dünnere Nervenfasern in der Epidermis mit Antikörpern gegen PGP9.5 markiert und quantifiziert. Bei einer Small-Fiber-Neuropathie sollte die Dichte der Nervenfasern reduziert sein –zumindest laut Lehrbuchwissen, wie die Referentin einschränkt.

Ihren eigenen Untersuchungen zufolge zeigt die Stanzbiopsie bei etwa 40 Prozent der Betroffenen keine Auffälligkeiten. Bei fünf Prozent der Patienten ist die Nervenfaserdichte nur proximal reduziert, bei 25 Prozent nur distal. Zudem hatten in einer gesunden Kontrollgruppe immerhin 13 Prozent der Probanden ebenfalls eine reduzierte distale intraepidermale Nervenfaserdichte.«Eine verringerte Hautinnervation kommt auch bei gesunden Menschen vor», meint die Expertin. «So etwas wie eine histologisch bestätigte Small-Fiber-Neuropathie gibt es deshalb nicht!»

Die frühere Einteilung der Diagnose in eine «definitive», «wahrscheinliche» oder «mögliche» Small-Fiber-Neuropathie wurde ebenfalls aufgegeben, erklärt die Referentin. Es gibt jedoch eine Reihe von Ausschlusskriterien, die auf eine Neuropathie der grossen Nervenfasern hinweisen, wie

  • gestörte Propriozeption an den Zehen
  • Taubheitsgefühl an den Knöcheln
  • Muskelschwund oder Lähmungen
  • fehlende Reflexe sowie Auffälligkeiten in der Elektromyografie oder bei der Messung der Nervenleitfähigkeit.

11 von 55 Small-Fiber-Neuropathie-Betroffenen hatten «nur» Schmerzen

Ein eindeutiger Goldstandard für die Diagnosestellung existiert noch nicht. Viele Experten verwenden derzeit die «Zwei-Kriterien-Regel»: Es werden zwei oder mehr pathologische Befunde aus den Bereichen neurologische Untersuchung, funktionale Testung und/oder Morphologie benötigt.

Das Problem ist jedoch, dass viele Patienten dieses Kriterium nicht erfüllen, so Prof. Üçeyler. In einer eigenen Studie mit 55 Patienten erfüllten nur 29 Betroffene dieses Kriterium. 15 hatten neben den Schmerzen nur ein weiteres Kriterium erfüllt, und bei elf Patienten bestanden zunächst «nur» Schmerzen.

Die Referentin plädiert daher dafür, bei Verdacht auf Small-Fiber-Neuropathie auch selten genutzte, aber aussagekräftige Diagnoseverfahren einzubeziehen. Dafür müssen die Patienten häufig an spezialisierte Zentren überwiesen werden.

PREP, korneale Mikroskopie und Gentests

Zu diesen Verfahren gehören die Ableitung schmerzassoziierter evozierter Potenziale (pain related evoked potentials, PREP), bei denen reduzierte Amplituden und verzögerte Latenzen festgestellt werden sollten.

Auch die konfokale korneale Mikroskopie zur Untersuchung der dünnen Nervenfasern in der Hornhaut sowie die Mikroneurografie eignen sich gut zur Diagnosestellung der Small-Fiber-Neuropathie. In der Studie von Prof. Üçeyler und ihren Kollegen erfüllten 22 weitere Patienten das Kriterium der zwei oder mehr diagnostischen Auffälligkeiten, nachdem diese Verfahren hinzugezogen wurden. Nur vier der insgesamt 55 Betroffenen blieben weiterhin unklar. Wenn spezifischere Verfahren nicht verfügbar sind oder keine Ergebnisse liefern, kann auch eine reguläre klinische Nachuntersuchung zwei oder drei Jahre später positive Ergebnisse liefern, so Prof. Üçeyler.

Auch Gentests sollten unbedingt in Betracht gezogen werden, so die Referentin. Sie berichtet von einer Patientin, die mit ungewöhnlichen brennenden und stechenden Schmerzen, Kribbeln und Druckgefühlen am ganzen Körper vorstellig wurde. Die Beschwerden bestanden seit vier Jahren und kein Schmerzmittel brachte Linderung. Alle Standardtests waren unauffällig.

Erst ein Gentest ergab eine Mutation im Natriumkanal NaV 1.8, die offenbar zur Hyperexzitabilität der Neuronen führte. Eine Mikroneurografie lieferte dann Hinweise auf spontane elektrische Aktivität der dünnen Nervenfasern. Allerdings ist nicht jeder Polymorphismus ist von Bedeutung, betont die Referentin. Nur Mutationen, die bekanntermassen mit dem Schmerzempfinden zusammenhängen, sollten aufhorchen lassen.

Therapie orientiert sich an anderen Neuropathien

Eine der wenigen guten Nachrichten laut Prof. Üçeyler: Die Small-Fiber-Neuropathie bleibt in den meisten Fällen stabil oder schreitet nur langsam voran. Der Übergang zu einer vollständig ausgeprägten Polyneuropathie ist eher selten. Manchmal findet man eine zugrunde liegende Ursache, die behandelt werden kann (siehe Kasten).

Die symptomatische Behandlung der Small-Fiber-Neuropathie orientiert sich an der Therapie anderer schmerzhafter Neuropathien oder neuropathischer Schmerzen anderer Ursache, erklärt Professor Dr. Nadine Attal vom Hôpital Ambroise-Par in Boulogne-Billancourt, Frankreich.

Ursachen der Small-Fiber-Neuropathie

Die genaue Ursache einer Small-Fiber-Neuropathie (SFN) bleibt in vielen Fällen unbekannt. Bei einigen Patienten finden sich jedoch Grunderkrankungn, die sich teilweise behandeln lassen, was potenziell auch die SFN-Symptome besser. Relevante Ursachen der SFN sind unter anderem:

  • Diabetes mellitus
  • Dyslipidämie
  • Autoimmun- und inflammatorische Erkrankungen (z.B. Sjögren-Syndrom, rheumatoide Arthritis, Zöliakie, Lupus erythematodes)
  • Infektionen (z.B. HIV)
  • Vitamin-B12-Mangel
  • Genmutationen
  • Einnahme von Antibiotika, Statinen oder Chemotherapie

Pharmakologisch können Antidepressiva wie SNRI, insbesondere Duloxetin, eingesetzt werden. Es gibt jedoch nur wenige Studien zur Wirksamkeit bei Small-Fiber-Neuropathie. Das Gleiche gilt für antiepileptische Medikamente wie Gabapentin oder Pregabalin. Lacosamid hingegen war lediglich bei einer Untergruppe von Small-Fiber-Neuropathie-Patienten mit einer Natriumkanalmutation wirksam.

Stark wirksame Opioide haben ebenfalls ihren Platz in der Behandlung, sollten jedoch nur als letztes Mittel eingesetzt werden. Auch eine Kombination dieser Medikamente scheint die Wirksamkeit der Therapie zu erhöhen. Cannabinoide dagegen haben laut Prof. Attal in jüngsten Studien enttäuschende Ergebnisse gezeigt. Topische Behandlungen eignen sich für Patienten, die nicht auf systemische Therapien ansprechen und bei lokalisierten Schmerzen, insbesondere an den Füssen. Lidocainpflaster (5 %) oder Capsaicinpflaster (8 %) können einigen Patienten helfen und können wiederholt angewendet werden.

Neuromodulation beim ersten Therapieversuch

Prof. Attal plädiert zudem dafür, bereits im ersten Therapieversuch zusätzlich zur übrigen Behandlung Verfahren der Neuromodulation einzusetzen, sofern die Patienten dies tolerieren. Als Möglichkeiten nannte sie die transkutane elektrische Nervenstimulation und die transkranielle Magnetstimulation.