Medical Tribune
13. Feb. 2024Akustische und linguistische Biomarker zur Ferndiagnose von Krankheiten

Die Stimme als Diagnose-Tool

Noch steckt das Konzept in den Kinderschuhen: In Zukunft könnten simple Sprachaufnahmen von Patienten – ausgewertet mittels Künstlicher Intelligenz – allerdings Hinweise auf Erkrankungen geben.

Virtuelles Aufnahmezeichen mit Schallwellen über einem Handybildschirm
1st footage/stock.adobe.com
Ob kardiovaskuläre oder neurodegenerative Krankheit: Die Stimme soll es verraten.

Beim Sprechen erzeugen respiratorische und laryngeale Systeme einen Luftstrom. Im Stimmtrakt entsteht die Resonanz, die durch Artikulationsorgane (­Zunge, Kieferknochen, weicher Gaumen) moduliert wird.

US-amerikanische Autoren einer Übersichtsarbeit zufolge führen pathologische Prozesse in diesen Systemen zu charakteristischen Veränderungen in der Phonation (1). Diese Veränderungen können eigenständig auftreten oder auf systemische Erkrankungen hinweisen. Ärzte könnten in Zukunft mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) Hinweise auf diese Krankheiten aus den Tonaufnahmen der Patienten erhalten.

Wie kardiovaskuläre und neurologische Erkrankungen die Stimme beeinflussen

Beispielsweise können Lungenerkrankungen, kardiovaskuläre, endokrine oder psychische Störungen die Stimme beeinflussen.

Bei kardiovaskulären Erkrankungen könnte beispielsweise eine chronische Hypoperfusion zu krankhaften Veränderungen am Larynx oder anderen Teilen des phonatorischen Apparats führen, was sich auf den Klang der Stimme auswirkt.

Auch eine Minderdurchblutung der neurologischen Strukturen, die am Sprechen beteiligt sind, könnte nachweisbar sein. Dies betrifft hauptsächlich zerebrale Netzwerke im linken frontalen und temporalen Kortex sowie mehrere Hirnnerven und spinale Nerven. Der Vagusnerv spielt etwa eine besondere Rolle bei der Phonation.

Eine Depression schlägt auf die Stimme

Akustische und linguistische Merkmale können auch als Epiphänomen mentaler Krankheiten auftreten. Bereits psychischer Stress ist mit messbaren Veränderungen der Stimme verbunden. Er führt zu einer Überaktivität der Amygdala und des sympathischen Nervensystems und hat weitere physiologische Korrelate, die die Merkmale der Phonation beeinflussen können.

Auch linguistische Aspekte sind von Interesse. Untersuchungen zeigen, dass Menschen, die an einer Depression leiden, spezifische Sprachmuster aufweisen, die möglicherweise auf einen veränderten inneren Monolog zurückzuführen sind. Faktoren wie die Anzahl der Pausen, die Sprechgeschwindigkeit oder die Häufigkeit von Wortwiederholungen könnten ebenfalls auf psychische oder neurodegenerative Erkrankungen hinweisen.

Um Stimm-Biomarker zu identifizieren, müssen akustische und linguistische Merkmale aus einer grossen Anzahl von Aufzeichnungen extrahiert werden. In Kombination mit dem Wissen über bestehende Krankheiten der Sprecher können dann Zusammenhänge gefunden werden. Derzeit besteht noch kein Konsens darüber, welche Bedingungen Tonaufnahmen erfüllen müssen, um daraus Biomarker abzuleiten.

Nachholbedarf bei Evidenz und praktischen Aspekten

Laut Experten wird es jedoch wichtig sein, dass die Analyse auch mit einfachen digitalen Fernaufnahmen oder Telefongesprächen funktioniert. Dies reduziert den Aufwand und macht die Diagnostik unabhängig von der räumlichen Entfernung.

Ebenfalls beachtet muss der Datenschutz werden. So ist etwa eine sichere und verschlüsselte Identifizierung der Patienten erforderlich. Bis Stimm-Biomarker eine Rolle im Screening oder in der Bewertung von Therapieeffekten spielen, ist es jedoch noch ein weiter Weg. Dafür sind unter anderem grosse prospektive klinische Studien erforderlich.