Asymptomatische Bakteriurie nicht behandeln!
In Pflegeeinrichtungen führt eine asymptomatische Bakteriurie häufig zu einem unnötigen Einsatz von Antibiotika. Das lenkt den Blick von relevanten Diagnosen ab, die überflüssige Antibiotikabehandlung birgt zudem weitere Risiken. Welche Massnahmen können dagegen ergriffen werden?
Ein drastischer Fall verdeutlicht das Problem: Eine moderat demente Bewohnerin eines Pflegeheims zeigt plötzlich Anzeichen von Verwirrtheit und Sprachstörungen.
Asymptomatische Bakteriurie lenkt von eigentlicher Diagnose ab
Die Pflegekräfte bemerken zudem einen ungewöhnlichen Geruch des Urins und nehmen eine Urinprobe, die im Labor positiv auf E.-coli-Bakterien getestet wird. Daraufhin verschreibt der Arzt ein Antibiotikum.
Als sich die Symptome der Frau innerhalb von fünf Tagen deutlich verschlechtern und sie zusätzlich eine Schwäche auf der rechten Körperseite entwickelt, wird sie ins Krankenhaus überwiesen. Dort wird die Diagnose Schlaganfall gestellt. Kanadische Autoren einer aktuellen Übersichtsarbeit zum Thema (1) sind der Meinung, dass man bereits früher auf diese Möglichkeit hätte kommen können.
Sie kritisieren die Fixierung auf den positiven Urinkultur-Befund, insbesondere da die Patientin keinerlei Anzeichen einer Infektion zeigte.
Unnötige Antibiotika bergen zahlreiche Risiken
Die antibiotische Behandlung einer asymptomatischen Bakteriurie setzt Patienten unnötigerweise potenziellen Nebenwirkungen aus. Diese reichen von leichten Hautausschlägen bis hin zu schweren allergischen Reaktionen, Nierenschäden und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Zudem besteht immer die Gefahr einer Resistenzentwicklung und einer Schädigung des schützenden Mikrobioms der Harnwege.
Studien zufolge sind etwa 30-50 Prozent aller Heimbewohner ohne Blasenkatheter von einer asymptomatischen Bakteriurie betroffen. In 30-80 Prozent dieser Fälle werden Antibiotika verschrieben. Die Prävalenz von Harnwegsinfektionen liegt dagegen bei weniger als zwei Prozent. Die antibiotische Behandlung einer asymptomatischen Bakteriurie zur Verhinderung einer symptomatischen Infektion ist daher wenig erfolgversprechend.
Eine der Hauptursachen für die Übertherapie liegt in dem grosszügigen Einsatz von Urinteststreifen und -analysen im Labor. Diese werden sogar bei Stürzen, mangelnder Nahrungsaufnahme, Lethargie oder Delirium durchgeführt, kritisieren die Autoren. Sie schlagen daher vor, den Zugang zu Teststreifen und Urinkultur-Anforderungsbögen in Pflegeheimen zu erschweren und die Loeb-Minimum-Kriterien (siehe Kasten) für die Diagnose einer Harnwegsinfektion in Pflegeeinrichtungen zu berücksichtigen. Zudem sollte das Personal in den Heimen besser aufgeklärt werden.
Loeb-Minimum-Kriterien
Folgende Kriterien sollten bei Pflegeheimbewohnern erfüllt sein, um die Suche nach einem Harnwegsinfekt zu rechtfertigen:
bei Personen ohne Blasenkatheter:
- akute Dysurie
oder - Fieber > 37,9 °C bzw. Anstieg um > 1,5 °C plus Vorliegen einer der folgenden Bedingungen: frisch aufgetretener oder zunehmender Harndrang, suprapubische Schmerzen, ausgeprägte Hämaturie, Inkontinenz oder klopfempfindliches Nierenlager
bei Personen mit Blasenkatheter: mindestens eines der folgenden Kriterien ist erfüllt
- Fieber (> 37,9 °C bzw. Anstieg um 1,5 °C) ohne anderen erkennbaren Grund
- neu aufgetretenes klopfempfindliches Nierenlager
- Delir
- Rigor
- Piggott KL et al. Reducing unnecessary urine culture testing in residents of long term care facilities. BMJ. 2023 Aug 9;382:e075566. doi: 10.1136/bmj-2023-075566