Nitrat: Karzinogen oder Herz-Wundermittel?
Laut WHO steht Nitrat aus Fleisch und Wurstwaren im dringenden Verdacht, Krebs zu begünstigen. Andererseits sollen sich manche nitratreiche Lebensmittel positiv auf die Herzgesundheit sowie die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit auswirken. Entscheidend ist wohl, woher das Salz stammt.
Vor gut drei Jahren löste unter anderem die britische Boulevardzeitung Daily Mail Alarm bei Rucola aus: Der «Trendsalat» würde hinsichtlich der krebserregenden Nitrate in jedem zehnten Fall die sicheren Grenzwerte übersteigen.
Für ein australisches Wissenschaftler-Team um Dr. Catherine Bondonno, Edith Cowan University ist dies nur ein Beispiel von vielen für die einseitige Sichtweise, die auch Teile der Wissenschaft seit Mitte der 1970er-Jahre auf dieses Thema haben. Nitrate in Nahrungsmitteln oder im Trinkwasser gelten gemeinhin als Gefahr.
Ohne Nitrat kein Stickstoffmonoxid
Vor mittlerweile fast 50 Jahren hatten Forscher mit zwei Tierstudien belegt, dass Nitrate aus der Nahrung im Körper in karzinogene Nitrosamine, genauer in N-Nitrosamine, umgewandelt werden. Noch heute beeinflussen die Ergebnisse aus diesen lange zurückliegenden Arbeiten den Blick auf das Nitrat im Essen und die Empfehlungen zur gesunden Ernährung, schreiben Dr. Bondonno und Kollegen in einem Übersichtsartikel. Neue Erkenntnisse zu den positiven Effekten des Nitrats indes finden dagegen viel zu wenig Beachtung, meinen sie.
Denn inzwischen hat sich herausgestellt, dass der menschliche Körper aus den Nahrungsnitraten über Nitrit das gefässerweiternde Stickstoffmonoxid (NO) bildet. NO wiederum ist nicht nur in der Lage, den Blutdruck zu senken, als Regulatormolekül ist es auch für das Nerven- und Immunsystem von entscheidender Bedeutung.
Pflanzliche Polyphenole und Vitamin C verhindern eventuell Umwandlung in N-Nitrosamine
Dabei scheinen vor allem über pflanzliche Nahrung aufgenommene Nitrate gesundheitsfördernd zu wirken: Klinische Untersuchungen und Beobachtungsstudien sprechen dafür, dass sie kardiovaskulären Erkrankungen vorbeugen können. Möglicherweise verhindern die in der Pflanzenkost gleichfalls enthaltenen Polyphenole und Vitamin C die Umwandlung der Nitrate in die krebserregenden Nitrosamine.
Hart am Limit
Den Grenzwert für eine «akzeptable tägliche Aufnahme» von Nitrat über die Nahrung haben WHO-Experten bei 3,7 mg/kg festgelegt. Für einen rund 70 kg schweren Erwachsenen sind das ca. 260 mg/d. Dieser Wert markiert zugleich den Bereich, für den in klinischen Studien ein Nutzen für Blutdruck und Gefässfunktion festgestellt worden ist. Erreichen bzw. überschreiten lässt sich diese Marke schon mit einer einzigen ordentlichen Portion Rucola: 80 g der aromatisch-bitteren Salatpflanze enthalten 360 mg Nitrate.
Bis zu 80 Prozent der Nitrate, die ein Mensch gemeinhin mit der Nahrung aufnimmt, stammen aus Pflanzen, bis zu 20 Prozent kommen aus dem Trinkwasser, fünf bis zehn Prozent werden über fleischliche Kost aufgenommen. Laut den Ergebnissen einer Metaanalyse kann der Verzehr von viel nitratreichem Gemüse den Blutdruck signifikant senken. Auch Endothelfunktion, Gefässsteifigkeit der Arterien und die Plättchenaggregation bessern sich.
Bisher fehlt Evidenz für viele positive Wirkungen
Theoretisch liesse sich durch die Nitrate eine Verbesserung der zerebralen Duchblutung und damit ein Nutzen für die Hirnfunktion herleiten, führen Dr. Bondonno und Kollegen weiter aus. Belastbare Studiendaten gebe es aber keine. Auch für positive Effekte einer nitratreichen Kost auf Muskelkraft, sportliche Leistungsfähigkeit und körperliche Funktion fehlen klare Belege.
Verarbeitetes Fleisch scheint hingegen Tumor-Bildung zu fördern
Mit Blick auf das Krebs-Risiko, das sich durch nitratreiche Lebensmittel bei gängigen Essgewohnheiten womöglich erhöht, zitieren die Wissenschaftler eine Einschätzung der International Agency for Research on Cancer (IARC) aus dem Jahr 2006. Deren Experten hatten nur unzureichende Beweise für die generelle Karzinogenität von Nahrungsnitraten gefunden.
Zugleich führen die Autoren mehrere Studien an, die vergeblich nach einer Assoziation zwischen genereller Nitrat-Aufnahme und Tumoren gesucht hatten. Nur für das kolorektale Karzinom lässt sich demnach ein gewisser Zusammenhang zeigen, bei allerdings insgesamt widersprüchlicher Datenlage.
Verarbeitetes Fleisch für sich genommen scheint indes die Bildung einer ganzen Reihe an Tumoren zu fördern – laut weitverbreiteter Ansicht deshalb, weil sich die gerade in Schinken und bestimmten Fleisch- und Wurstwaren enthaltenen Nitrate in die karzinogenen Nitrosamine umwandeln. Ob aber tatsächlich das Nitrat aus dem Fleisch der Übeltäter ist oder ob andere Faktoren ursächlich sind, ist derzeit ungeklärt.
Nitrat in der Nahrung
Grundsätzlich ist in grünem Blattgemüse und in Salatpflanzen besonders viel Nitrat enthalten. Rucola liegt mit 4.500 mg Nitrat pro Kilogramm Blattgewicht mit Abstand an erster Stelle. Ebenfalls hervorzuheben sind: Kopfsalat, Spinat, Radieschen und Randen. Hülsenfrüchte, Wurzelgemüse und Obst weisen hingegen eher niedrige Werte auf.
- Bondonno CP et al. Trends in Food Science & Technology; 135: 57–73; doi: 10.1016/j.tifs.2023.03.014