Adrenalin: Für wen der Lebensretter im Notfall sinnvoll ist
Bei akuter Anaphylaxie ist internationalen Leitlinien zufolge Adrenalin intramuskulär das Mittel der ersten Wahl. Autoinjektoren haben das Notfallmedikament auch für Laien anwendbar gemacht. Da entsprechende Studien fehlen, besteht jedoch Unsicherheit darüber, wer solche Devices bekommen soll und was sie genau bringen.
Aus Registerdaten geht hervor, dass etwa 80 Prozent aller anaphylaktischen Ereignisse ohne Adrenalin von selbst wieder abklingen. Meist wäre also eine notfallmässige Injektion unnötig. In Einzelfällen allerdings rettet sie Leben, betonen Autoren einer aktuellen Übersichtsarbeit (1).
Adrenalin auch prophylaktisch für Asthmatiker ohne vorangegangene Anaphylaxie
Die meisten Leitlinien empfehlen die Verschreibung eines Autoinjektors für Patienten mit Anaphylaxie-Anamnese, sofern sich ein erneuter Kontakt mit dem auslösenden Allergen nicht sicher vermeiden lässt. Zudem sollen auch für ein Anaphylaxie gefährdete Patienten mit bestimmten Risikofaktoren, aber noch ohne akutes Ereignis das Device bekommen.
Zu den relevanten Risikofaktoren zählen beispielsweise Asthma oder eine vorangegangene Reaktion auf eine winzige Allergenmenge. Zwar konnte bislang nicht bestätigt werden, dass diese Faktoren das Anaphylaxie-Risiko tatsächlich erhöhen, für schlecht kontrolliertes Asthma erscheint es aber zumindest sehr wahrscheinlich.
In jedem Fall bietet eine leere Anaphylaxie-Anamnese keine Sicherheit vor derartigen Reaktionen in der Zukunft. Denn dass es bisher nicht zum Notfall kam, könnte auch schlicht daran liegen, dass noch keine Exposition stattgefunden hat. Auch lässt sich das Risiko für zukünftige Zwischenfälle kaum vorhersagen: So können beispielsweise Allergiker schwere Reaktionen zeigen, die zuvor noch keine derartigen Vorfälle hatten. Umgekehrt ist es möglich, dass nach einer ersten Anaphylaxie nie wieder ähnliche Probleme auftreten.
Verordnung kann auch Ängste schüren
Mit einer eher grosszügigen Verschreibung von Adrenalin-Autoinjektoren für alle Risikopatienten ist man zwar nach Meinung mancher Mediziner auf der sicheren Seite. Doch bringt dies insbesondere bei Patienten mit niedrigem Anaphylaxie-Risiko nicht selten mehr Nach- als Vorteile. So kann die Verordnung unter anderem Ängste schüren, was die Lebensqualität der Betroffenen mitunter stark beeinträchtigt – von den Kosten ganz zu schweigen.
Dazu kommt, dass es vor allem für Laien gar nicht so einfach ist, den richtigen Zeitpunkt für die Adrenalin-Injektion zu erkennen. Schliesslich reicht das Spektrum systemisch-allergischer Symptome von leichter Atemnot bis zum Kreislaufschock. Konsens herrscht darin, dass Patienten mit kardiovaskulären und/oder respiratorischen Symptomen Adrenalin erhalten sollten.
Weniger eindeutig ist die Lage bei Heiserkeit (Larynxödem) oder leichtem Giemen ohne Beeinträchtigung der Atmung. Häufig wird in solchen Fällen erst abgewartet, ob sich die Situation des Patienten verschlechtert. Noch unklarer schaut es im Hinblick auf gastrointestinale und/oder kutane Symptome aus.
Die meisten Ärzte raten davon ab, Adrenalin bereits bei leichten, nicht anaphylaktischen allergischen Symptomen einzusetzen. Es gibt nämlich keine Evidenz dafür, dass das Medikament den Progress zur Anaphylaxie verhindert. Anders verhält es sich, wenn ein Patient bereits eine beinahe tödliche Reaktion erlitten hat. Dann erscheint es sinnvoll, die Injektionsschwelle eher niedrig anzusetzen.
Keine hundertprozentige Sicherheit mit Autoinjektor
Lange Zeit wurde Patienten empfohlen, nach der Anwendung des Autoinjektors den Notfalldienst zu kontaktieren – unabhängig davon, ob noch Symptome bestehen. Da fatale anaphylaktische Ereignisse extrem selten auftreten, stellt man dieses Procedere inzwischen infrage.
Sofern keine schweren Symptome vorliegen und auf eine erste Adrenalin-Dosis rasch und gut angesprochen wurde, erscheint der Besuch auf der Notfallstation also verzichtbar. Dagegen sollten Patienten, die nur einen einzigen Autoinjektor zur Verfügung haben und schwere Symptome aufweisen (bzw. Symptome, die nicht innerhalb von fünf Minuten abklingen), unverzüglich den Notfalldienst kontaktieren.
Ein schlechtes Ansprechen auf Adrenalin, vor allem auf eine zweite Dosis, ist Anzeichen einer schweren Anaphylaxie. Diese erfordert dringend eine Therapieeskalation in der Klinik, das heisst eine intravenöse Adrenalin-Infusion mit Flüssigkeitszufuhr.
In jedem Fall müssen Patienten, die einen Autoinjektor verschrieben bekommen, gut im Umgang mit dem Device und im Erkennen von Anaphylaxie-Zeichen geschult werden. Und sie müssen wissen, dass das Gerät keine hundertprozentige Sicherheit garantieren kann.
Ein Device oder besser gleich zwei?
Unter den Autoren der verschiedenen Leitlinien herrscht kein Konsens darüber, wie viele Autoinjektoren man den Patienten verschreiben soll. Tatsache ist, dass etwa 90 Prozent aller Anaphylaxien auf eine einzige Dosis gut ansprechen. Nur in zehn Prozent der Fälle wird eine zweite benötigt. Mit Blick auf die Kosteneffizienz scheint die Verordnung von zwei Devices nur für Patienten sinnvoll zu sein, die bereits eine Anaphylaxie erlitten haben.
- Dribin TE et al. Who Needs Epinephrine? Anaphylaxis, Autoinjectors, and Parachutes. J Allergy Clin Immunol Pract 2023; doi: 10.1016/j.jaip.2023.02.002