Wie KI bei der Bildanalyse helfen kann
Um einen Schlaganfall zuverlässig diagnostizieren und therapieren zu können, steht der Medizin eine ganze Palette von Möglichkeiten zur Verfügung. Die Erfolgschancen bei der Behandlung variieren allerdings von Patient zu Patient. In der klinischen Forschung entwickelt Professor Dr. Susanne Wegener vom Universitätsspital Zürich Algorithmen zur Vorhersage des Ergebnisses von Schlaganfall-Behandlungen. «Mensch gegen künstliche Intelligenz (KI)»: Die Neurologin hat bei einem Vergleich auf diesem Gebiet interessante Erkenntnisse gewonnen.
In Kürze
Prof. Susanne Wegener amtiert seit 2017 als Leitende Ärztin an der Klinik für Neurologie des Universitätsspitals Zürich und hat eine SNF-Professur an der Universität Zürich inne. Prof. Wegener (48) studierte in Hamburg Medizin und hat am Zentrum für Molekulare Neurobiologie in Hamburg ihre Dissertation verfasst. Ihre Spezialgebiete sind Schlaganfall und Kopfschmerz. Sie wirkt im Vorstand der Schweizerischen Kopfwehgesellschaft mit und engagiert sich standespolitisch auch als Gründungsmitglied der «Women in Neurology». Prof. Wegener ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Rund 16 000 Menschen jährlich erleiden in der Schweiz einen Schlaganfall. Es ist die dritthäufigste Todesursache und die wichtigste Ursache einer Langzeitbehinderung bei Erwachsenen.
Neurologische Abklärungen dienen dazu, Symptome, die auf einen Schlaganfall hinweisen, festzustellen und richtig einzuordnen. Neben der unverzichtbaren klinischen Untersuchung und Anamnese verfügen Fachleute auf dem Gebiet der Neurologie wie Prof. Wegener heutzutage über ein breites Arsenal an technischen Möglichkeiten, um die Diagnose Schlaganfall mit grosser Sicherheit stellen zu können.
Die 48-Jährige ist seit 2017 Leitende Ärztin für Neurologie am Schlaganfall-Ambulanz/Ultraschall-Labor und der Kopfschmerzeinheit am Universitätsspital Zürich tätig. Rund die Hälfte ihrer Arbeitszeit besteht allerdings nicht aus einer klinischen Tätigkeit, sondern ist der Forschung gewidmet: Sie hat eine Förderprofessur inne, betreibt unter anderem Forschung auf dem Gebiet Schlaganfall. Das Stipendium stammt vom Schweizerischen Nationalfonds.
Klinik und Forschung bereiten grossen Spass
Klinik oder Forschung? Prof. Wegener, die noch zu Zeiten der ehemaligen DDR in Rostock geboren wurde, in Hamburg studierte und an der Berliner Charité mit der Ausbildung begann, stand einmal an diesem Scheideweg: «Das war nach meinem dreijährigen Forschungsaufenthalt in Kalifornien», erinnert sie sich. Sie wusste nicht, ob sie sich in der Folge voll auf die Forschung konzentrieren oder parallel dazu doch wieder einen Fuss in der Klinik drin haben wollte.
Sie entschied sich zu Letzterem, weil ihr auch der direkte Kontakt mit Patientinnen und Patienten sehr viel bedeutet – und dislozierte mit Ehemann sowie der Tochter von den Vereinigten Staaten nach Zürich. Am Universitätsspital Zürich (USZ), wo sie seit 2007 arbeitet, werden jährlich bis zu 1000 Schlaganfälle behandelt.
Beides, Klinik und Forschung, scheint ihr sehr grossen Spass zu bereiten. Im Gespräch blüht sie beim Erzählen richtiggehend auf, lobt nicht nur den tollen Teamgeist innerhalb ihres Fachbereichs, sondern auch die Kooperation mit zahlreichen anderen Kräften über die Fachbereiche hinaus.
Ebenso spricht sie von einem Traumberuf, kranken Menschen mit Rat und Tat zur Seite stehen zu können. Der vielbeklagte Druck bei der Arbeit im Alltag sei zwar vorhanden, spürbar grösser als früher sei wohl aber der ökonomische Druck im Gesundheitswesen.
Ein halbes Dutzend Forschungsprojekte
Prof. Wegener ist auf mehreren Forschungsfeldern aktiv, angefangen von der translationalen Schlaganfall-Forschung bis zur kardiovaskulären Gesundheit von Frauen. Der Schwerpunkt ihrer Forschung liegt «auf dem Verständnis der Mechanismen, welche die Erholung des Gewebes während des Schlaganfalls und der Reperfusion ermöglichen». Das Ziel der Therapie eines ischämischen Schlaganfalls besteht erstrangig darin, den gefässverschliessenden Thrombus so schnell wie möglich zu entfernen. Das gelingt oft, aber leider nicht immer erfolgreich.
Über die Hintergründe herrscht nur teilweise Klarheit. «Wir haben festgestellt, dass sich die ganz kleinen Kapillaren am Ende des Gefässbaums zusammenziehen oder wegen kleiner Entzündungsstellen verstopft sind», klärt sie auf. Wie das passiert, und was man dagegen unternehmen kann, ist ein Teil ihrer Forschung.
Im Labor lässt sich anhand eines Maus-Modells im Mikroskop inzwischen erkennen, was mit den Blutgefässen respektive der Durchblutung direkt bei einem Schlaganfall passiert. Die Erkenntnisse, die man daraus zieht, sollen eines Tages Betroffenen zugutekommen.
Wettbewerb Mensch gegen Maschine
Eine weitere Forschungsaktivität in diesem Zusammenhang dreht sich um direkt erhobene Daten bei Schlaganfall-Patienten. Dabei geht es um einen Vergleich zwischen kumuliertem menschlichem Wissen und künstlicher Intelligenz. So wurde von mehreren Dutzend Patienten neben der klinischen Untersuchung auch die Bildgebung ausgewertet. Diese bildgebenden Befunde stehen dem Behandlungsteam in der Akutphase des Schlaganfalls zur Verfügung.
«Aufgrund aller vorhandenen Informationen analysierte ein Expertenteam von neurologischen Fachkräften mit jahrelanger Erfahrung den individuellen Zustand und wagte eine Prognose über den Gesundheitszustand jedes Schlaganfall-Patienten in drei Monaten», zeigte Prof. Wegener den ersten Teil des Experiments auf.
In einem zweiten Teil wurde ein Computer mit denselben Daten und dem Bildmaterial gefüttert und mit der gleichen Aufgabe wie das Expertenteam beauftragt, also einer Prognose der Patienten in drei Monaten. Das Resultat: Im Vergleich Mensch gegen Maschine (Künstliche Intelligenz) war die Maschine mindestens gleichwertig und vermochte treffsichere Voraussagen zu machen, wie sich rückblickend feststellen liess.
«Die Maschine erkennt mehr als wir»
«Die Maschine war vor allem in der Bildanalyse überlegen», bilanziert Prof. Wegener. «Die Maschine erkennt mehr als wir. Wir schauen uns primär nur die Grösse eines Schlaganfalls an. Sie zieht etwas heran, das wir noch nicht verstehen», räumt die Neurologin ein.
Diese Erkenntnis mag auf den ersten Blick erstaunen, weil eine Maschine schliesslich von Menschen programmiert werden muss. Aber künstliche Intelligenz (KI) bedeutet eben auch, dass eine Maschine selber lernt und aus dem Gelernten Rückschlüsse ziehen kann. Die Maschine sei sogar in der Lage, die Zuverlässigkeit oder Ungenauigkeit ihrer Prognosen einzuschätzen, sagt Prof. Wegener und eine Spur Bewunderung schwingt durchaus mit.
Natürlich kann der Computer keine Ärzte ersetzen, ist sie überzeugt. Als vorteilhaft könnte sich aber eines Tages erweisen, wenn die untersuchende ärztliche Person einmal ein Tool besitzt, dank dem sich die Erfolgschancen einer Therapie bei einem Schlaganfall besser einordnen lasse. In dieser Hinsicht herrscht in der Neurologie immer noch viel Unsicherheit.
Zwei bedeutende Auszeichnungen
Ihre zahlreichen Forschungsaktivitäten sind der Fachwelt nicht verborgen geblieben. «Susanne Wegener hat in ihrer wissenschaftlichen Arbeit beeindruckende Fortschritte erzielt und ihre Forschungsgruppe mit klinischen und grundlagenwissenschaftlichen Teammitgliedern (z.B. Kliniker, Biologen, Biostatistiker) aufgebaut und konsolidiert», hiess es etwa anlässlich der Verleihung des Georg Friedrich Götz-Preises, mit dem sie 2021 ausgezeichnet wurde.
Über einen anderen Preis äusserst sie sich aber mindestens ebenso stolz: Die Rede ist vom Stern-Gattiker-Preis. Gewürdigt werden damit Frauen aus der akademischen Medizin, die Frauenförderung beim Nachwuchs gross schreiben. Prof. Wegener ist unter anderem Gründungsmitglied der «Women in Neurology» der Schweizerischen Neurologischen Gesellschaft.
«Ich möchte viele Frauen für diesen Beruf begeistern und ihnen aufzeigen, dass es die Mühe wert ist», betont sie. Voraussetzung für eine erfolgreiche Karriere sei allerdings, dass die äusseren Rahmenbedingungen stimmen.
Über Kopfschmerzen kommunizieren
Apropos Frauenförderung: In der Forschung interessiert sich Prof. Wegener auch für geschlechterspezifische Unterschiede, möchte ihnen näher auf den Grund gehen. So zum Beispiel bei ihrem zweiten medizinischen Standbein, beim Kopfschmerz. Sie arbeitet gegenwärtig an einem Projekt, in dem die Kommunikation von Kopfschmerz-Patientinnen und -Patienten untersucht wird.
«Wir möchten in Zusammenarbeit mit Linguisten wissen, wie unterschiedlich Betroffene ihren Schmerz kommunizieren und ob es Geschlechterunterschiede gibt», erzählt sie. Zielgrösse seien etwa 100 Teilnehmende. Auch bei einem Schlaganfall interessieren sie geschlechtsspezifische Unterschiede, und ob Frauen möglicherweise eine andere Behandlung als Männer benötigten. Die (Forschungs-)arbeit wird Prof. Wegener nicht so schnell ausgehen.