Medical Tribune
30. Nov. 2022Vorsorge fürs Herz

Wann ist ein kardiologischer Check-up sinnvoll?

Vorsorgeuntersuchungen erfreuen sich hoher Beliebtheit. Dabei nehmen aber auch viele gesunde und um ihre Gesundheit besorgte Personen Check-ups in Anspruch. Wann eine kardiologische Vorsorgeuntersuchung Sinn ergibt, erklärt Dr. Simon Stämpfli, Leitender Arzt Kardiologie am Luzerner Kantonsspital. Die kardiologische Vorsorge sollte sich für ihn eher auf Lifestyle als auf apparative Untersuchungen konzentrieren.

Die kardiologische Vorsorge sollte sich eher auf Lifestyle als auf apparative Untersuchungen konzentrieren.
udra/gettyimages

«Eine Vorsorge kann in bestimmten Fällen wichtig sein», betont Dr. Stämpfli. Für ihn gehören kardiologische Check-ups jedoch eindeutig kritisch hinterfragt.

«Check-up-Untersuchungen sollten stets auf ihren Nutzen und Schaden geprüft und hinterfragt und die Patienten entsprechend und seriös beraten werden» fasst er zusammen. «Im Spannungsfeld Check-up stehen dabei immerhin nicht nur Bedürfnisse des Patienten, sondern auch die medizinische Evidenz und das Geschäftsinteresse des Arztes.»

Lifestyle statt Maschine

Der Fokus sollte für den Kardiologen auf Lifestyle und Risikofaktoren statt auf apparative Untersuchungen gelegt werden.

Zu den Themen, die vom Kardiologen sinnvollerweise abgedeckt werden sollten, gehören laut Dr. Stämpfli in erster Linie die Themen Rauchen und Gewichtsreduktion, die unbedingt mit dem Patienten besprochen werden sollten. «Hier reichen oft schon kleine Interventionen für deutliche Verbesserungen.» Ähnlich verhält es sich mit Sport, Bewegung, Lifestyle und der Ernährung und ihren Einfluss auf das kardiovaskuläre Risiko. Auch eine allfällige Adipositas sollte angesprochen werden, empfiehlt der Experte

Was eine Vorsorgeuntersuchung bei asymptomatischen Patienten verraten kann

Zu den Erkrankungen, die relativ häufig im Zuge einer kardiologischen Vorsorgeuntersuchung entdeckt werden, gehört die arterielle Hypertonie. Diese ist eine der Hauptrisikofaktoren für kardiovaskuläre Ereignisse. Daher gilt bei ihr die Empfehlung, Patienten unter 40 alle drei Jahre, und Patienten über 40 einmal jährlich auf eine eventuelle arterielle Hypertonie zu untersuchen. 

Interessant und etwas komplizierter wird es beim Diabetes: Hier existieren diverse komplizierte Entscheidungshilfen, ob bei einem Patienten nach einem Diabetes gefahndet werden sollte. «Das ist für mich nicht zielführend», räumt Dr. Stämpfli ein. Stattdessen empfiehlt er, einfach bei der Vorsorge den HbA1c-Wert mitzubestimmen.

Deutlich einfacher gestaltet sich für ihn dagegen die Empfehlung, wann aktiv nach einem Bauchaortenaneurysma gesucht werden sollte: «Es gibt eine gewisse Evidenz für Männer, die rauchen oder in der Vergangenheit viel geraucht haben, und 65 bis 75 Jahre alt sind». Nicht empfohlen ist hingegen die Suche nach einer koronaren Herzkrankheit oder einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit bei asymptomatischen Patienten. «Auch ein Ruhe- oder Belastungs-EKG oder ein Carotisultraschall sind bei Asymptomatischen in aller Regel nicht indiziert», so der Experte.

Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Aktuelle Leitlinien

Die Empfehlungen der European Society of Cardiology (ESC) zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in der klinischen Praxis von 2021 (1) konzentrieren sich hauptsächlich auf Risikofaktoren und die Risikoklassifizierung. Besonders anschaulich ist für Dr. Stämpfli, dass in der Leitlinie die Risikostratifizierung in Form einer schrittweisen Systematik dargestellt ist, die mittels Flussdiagrammen veranschaulicht wird. Auch die Primärprävention wird darin behandelt.

Zusätzliche Risikomodifikationen, die unter anderem berücksichtigt werden können, sind psychologische Stressoren, der koronare Calciumscore (Messung des Verkalkungsgrades der Koronarien, Computertomografie ohne Kontrastmittel) und die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Subgruppe.

Eine klare Wandlung hat in den Leitlinien Aspirin in der Primärprävention gemacht, erinnert Dr. Stämpfli. Bei Patienten mit tiefem oder moderatem kardiovaskulärem Risiko wird diese nicht mehr empfohlen. Einzig bei Patienten mit Diabetes mellitus und sehr hohem kardiovaskulärem Risiko kann eine Prophylaxe mit ASS noch erwogen werden.

Darstellung von Calcium in den Herzkranzgefässen: Das Calcium-Scoring

Auch für apparative Untersuchungen zur Prävention gibt es sehr wenig Evidenz so der Experte. «Eine invasive Koronarangiografie für ein Screening zu benutzen ist zum Beispiel eindeutig falsch.» Auch nuklearmedizinische Untersuchungen, die Magnetresonanztomografie, sowie die Echokardiografie bei Asymptomatischen haben sich als Screening nicht bewährt und sollte nicht in dieser Art angewandt werden. Auch

 Ein Computertomogramm ohne Kontrastmittel hingegen, bei dem das Calcium im Koronarsystem gemessen wird (Calcium-Scoring), ann sehr wohl zur Risikoabklärung und Anpassung der präventiven Massnahmen beitragen, sagt Dr. Stämpfli. «Der Calcium-Score ist ein starker Risk Modifier und die einzig sinnvolle apparative Diagnostik beim Check-up.»

Auch kardiale Biomarker wie Troponin oder NT-proBNP sind – zumindest im Moment noch – nicht empfohlen als Screening, resümiert Dr. Stämpfli. «Das könnte sich aber ändern; in Zukunft könnten möglicherweise für die Prävention sinnvolle Biomarker hinzukommen.»

Problematische Evidenz aus Beobachtungsstudien

Viele Empfehlungen in der Präventionsmedizin stützen sich auf Resultate aus Beobachtungsstudien. Mittels Beobachtungsstudien kann aber nur festgestellt werden, ob zwei Konstellationen besonders häufig gemeinsam auftreten – aus einem solchen Zusammentreffen lässt sich kein ursächlicher Zusammenhang ableiten.

Grosse methodische Probleme begleiten auch vor allem Ernährungsstudien: Im Normalfall korreliert die jeweilige Ernährung auch mit anderen Verhaltensweisen. Darüber hinaus werden Probanden in Ernährungsstudien zumeist nach ihrem Essverhalten in der Vergangenheit befragt, was eine genaue Erinnerung voraussetzt. «Beobachtungsstudien zum Thema Ernährung sollten aus diesen Gründen mit Vorbehalt genossen werden», empfiehlt Dr. Stämpfli. Bezüglich der physischen Aktivität gibt es jedoch klare Empfehlungen auf Basis von guten Studiendaten, so der Experte. Die Leitlinien empfehlen zweieinhalb bis fünf Stunden pro Woche moderates oder eine bis drei Stunden pro Woche hochintensives Training.

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