Extremer Vitamin-D-Mangel geht mit Entzündungszeichen einher
Personen mit starkem Vitamin-D-Mangel haben eine erhöhte Neigung für chronische Entzündungen. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie, die damit etwas Licht in die widersprüchliche Studienlandschaft bringt. Sinnvoll und sicher ist eine Vitamin-D-Ergänzung jedoch nach wie vor nur für Personen mit nachgewiesenem Mangel, sagen Experten.
Der Zusammenhang zwischen Vitamin D und dem Immunsystem ist nicht neu. Viele Immunzellen exprimieren Vitamin-D-Rezeptoren. In Zell-Experimenten hemmt Vitamin D die Produktion von entzündungsfördernden Zytokinen, und fördert diejenige von entzündungshemmenden Botenstoffen.
Die bei Menschen durchgeführten Studien liessen jedoch bislang noch keinen klaren Schluss auf eine antientzündliche Funktion von Vitamin-D zu.
Spezieller genetischer und statistischer Ansatz brachte Licht ins Dunkel
In der vorliegenden Beobachtungsstudie wendeten Forscher ein spezielles Verfahren an, das auch die Genetik von Probanden berücksichtigt (1). Darüber hinaus war ihr statistischer Ansatz in der Lage, auch nichtlineare Zusammenhänge zwischen Vitamin D und dem untersuchten Entzündungsmarker CRP aufzuklären.
Die Autoren untersuchten eine Kohorte von 294.970 Teilnehmern der UK Biobank, für die Messungen des 25-OH-Vitamin D3 (Calcidiol) vorlagen. Bei 11,7 Prozent der Teilnehmer lag der Calcidiol-Wert unter 25 nmol/L (10 ng/mL), was als Defizit angesehen wurde. Zusätzlich wurden genetische Polymorphismen bei den Teilnehmern bestimmt, die mit niedrigeren Vitamin-D-Spiegeln im Zusammenhang stehen. Dieses Verfahren reduziert Störfaktoren und Verzerrungen.
In der Analyse fiel auf, dass die Vitamin-D- und CRP-Spiegel in einer L-förmigen Beziehung zueinanderstanden. Die CRP-Werte waren bei Probanden mit niedrigen Vitamin-D-Spiegeln hoch, fielen aber mit steigernder 25(OH)D-Konzentration abrupt in den Normalbereich ab. Ab rund 50 nmol/L bestand fast keine Assoziation zwischen Vitamin-D- und CRP-Spiegeln mehr – das entspricht in etwa dem empfohlenen Normalbereich.
Umgekehrt hatten hohe oder tiefe CRP-Spiegel keinen Einfluss auf die Vitamin-D-Werte – das deutet also nicht darauf hin, dass Entzündungen einen Vitamin-D-Mangel begünstigen.
Vor allem Menschen mit deutlichem Mangel betroffen
Der Zusammenhang zwischen niedrigen Vitamin-D- und hohen CRP-Werten belief sich dabei fast ausschliesslich auf Personen mit genetisch bedingtem Risiko für Vitamin-D-Mangel – die oft extrem niedrige 25(OH)D-Werte aufwiesen. «Bei ihnen könnte eine Verbesserung des Vitamin-D-Status eine mögliche Tendenz für chronische Entzündungen verringern», resümieren die Autoren.
Dem stimmt auch Professor Dr. David Fäh vom Departement Gesundheit, Ernährung und Diätetik der Berner Fachhochschule, zu. Gleichzeitig erinnert er: «Selbst, wenn die Studie bei Menschen mit tiefen Spiegeln einen kausalen Zusammenhang von CRP mit Vitamin D nachweist, heisst das noch lange nicht, dass eine Supplementierung klinisch relevante Gesundheitsvorteile bietet.»
Im Gegenteil: Studien mit härteren Endpunkten (z.B. Fraktur oder Mortalität) haben keine Vorteile gezeigt. Zudem birgt die Vitamin-D-Supplementierung Risiken. «Bei sehr hohen Dosen oder der Verabreichung im Intervall, z.B. als Monats- oder Jahresbolus, steigt sogar das Risiko für Stürze, Frakturen und möglicherweise weitere unerwünschte Nebenwirkungen (2-5)». Eine Ergänzung bei Menschen mit Werten im Normalbereich ist überflüssig, und könnte im Extremfall also sogar schaden.
Trotz mangelndem Nachweis der Sinnhaftigkeit erfreut sich Vitamin D allgemeiner Beliebtheit
In den vergangenen Jahren gab es einen regelrechten Hype um Vitamin D, der durch Covid-19 noch verstärkt wurde. Mittlerweile finden sich Vitamin-D-Zusätze in einer Vielzahl von Präparaten und Produkten – von Pillen bis Fruchtsäften.
Doch nicht für jeden ist eine zusätzliche Versorgung mit Vitamin D empfohlen. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) lehnt etwa sogar das breit angelegte Screening der Allgemeinbevölkerung auf einen Vitamin-D-Mangel ab (6). Eine Supplementierung mit Vitamin D empfiehlt etwa das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV aktuell ausschliesslich ausgewählten Personengruppen, darunter Kinder bis zum dritten Geburtstag, Personen ab 60 Jahren, oder Schwangere und Stillende (7).
Referenz
- Zhou A, Hyppönen E. Vitamin D deficiency and C-reactive protein: a bidirectional Mendelian randomization study. Int J Epidemiol. 2022 May 17:dyac087. doi: 10.1093/ije/dyac087.
- Zhang Y et al. Association between vitamin D supplementation and mortality: systematic review and meta-analysis. BMJ. 2019 Aug 12;366:l4673. doi: 10.1136/bmj.l4673.
- Bolland MJ et al. Effects of vitamin D supplementation on musculoskeletal health: a systematic review, meta-analysis, and trial sequential analysis. Lancet Diabetes Endocrinol. 2018 Nov;6(11):847-858. doi: 10.1016/S2213-8587(18)30265-1
- Sanders KM et al. Annual high-dose oral vitamin D and falls and fractures in older women: a randomized controlled trial. JAMA. 2010 May 12;303(18):1815-22. doi: 10.1001/jama.2010.594.
- Ginde AA et al. High-Dose Monthly Vitamin D for Preventionratory Infection in Older Long-Term Care Residents: A Random of Acute Respi ized Clinical Trial. J Am Geriatr Soc. 2017 Mar;65(3):496-503. doi: 10.1111/jgs.14679.
- Bundesamt für Gesundheit (BAG). HTA-Projekte: Vitamin-D-Tests. 2.Oktober 2020, abgerufen am 29. August 2022
- Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV. Bedarf an Nährstoffen. Stand 16. März 2022, abgerufen am 29. August 2022