Hat mit den breitneutralisierenden Antikörpern das Endspiel begonnen?
Obwohl die antiretrovirale Therapie gut wirksam ist, gibt es bisher weder eine Impfung noch eine kurative Therapie für HIV-Infektionen. Nun zeigt der Stand der Forschung am AIDS2022-Kongress: Dank einer Kombination aus Durchbrüchen in der Antikörperforschung und der mRNA-Technologie ist es vielleicht nicht mehr weit.
Der Kampf gegen das humane Immundefizienz-Virus beschäftigt Wissenschaftler nun bereits seit mehr als vier Jahrzehnten. Und auch ein Update am diesjährigen internationalen AIDS-Kongress zeigt, dass es die Impfstoffforschung trotz massiver technologischer Weiterentwicklungen noch immer nicht leicht hat.
Aus den vergangenen klinischen Impfstoffstudien konnte man bisher nur lernen
«Von der SARS-CoV-2-Forschung wissen wir, dass es 50-100 Mal mehr neutralisierende Antikörper braucht, um HIV zu verhindern, als bei SARS-CoV-2», berichtet etwa Prof. Dr. Glenda Gray, Präsidentin des South African Research Council und stellvertretende Leiterin des HIV Vaccine Trials Network des NIH (1). Das ist aber nur einer der Gründe für die immer wiederkehrenden Rückschläge.
Die bisher einzige teilweise positive klinische Impfstoffstudie gegen HIV, RV144 (der «Thai Trial») testete eine Kombination aus einem Vektor- und einem rekombinanten Impfstoff bei mehr als 16.000 Teilnehmern. Immerhin zeigte die Studie eine um 31 Prozent niedrigere Ansteckungsrate als mit Placebo – «diese Wirksamkeit war aber zu gering, um den experimentellen Impfstoff weiterzuverfolgen», erklärt Prof. Gray. Drei weitere klinische Studien (HVTN 505, 702 und 705) verliefen vollständig negativ. «Aus den Ergebnissen der bisherigen Impfstudien können wir also momentan nur lernen, und versuchen, künftige Impfstoffe besser zu designen», so die Referentin.
Update Januar 2023: Eine der letzten grossen klassischen Impfstoff-Studien eingestellt
Am 18. Januar 2023 kündigte der Sponsor der Phase-III-Studie Mosaico, Janssen, an, dass die Studie nicht fortgeführt wird. Die Impfung konnte bei rund 3.900 Probanden mit erhöhtem Infektionsrisiko keinen Effekt über Placebo darin zeigen, HIV-Infektionen zu verhindern. Ob einzelne Subgruppen einen Benefit von der Impfung hatten, wird aktuell noch untersucht.
Zeit also, etwas neues zu probieren? Die in den bisherigen Studien getesteten Vakzinen entsprachen dem, was man aus der konventionellen Impfstoffforschung gegen andere virale Erkrankungen kennt. Am aussichtsreichsten ist aber im Moment eine andere Herangehensweise: Sogenannte breitneutralisierende Antikörper (bnAbs) könnten in der Lage sein, eine HIV-Infektion zu vermeiden.
Breitneutralisierende Antikörper sind die aussichtsreichsten Impfstoffkandidaten
bnAbs wurden aus Personen mit bekannter HIV-Infektion isoliert. Ihre Besonderheit ist, dass sie das Virus auch neutralisieren können – im Gegensatz zu den meisten Antikörpern, die nach einer HIV-Infektion gebildet werden. Meist sind bnAbs gegen konservierte Regionen des Envelope(env)-Proteins auf der Oberfläche des Virus gerichtet. Das env-Protein enthält die Bindestelle gegen den Virusrezeptor CD4, und ist für das Fortbestehen des Virus notwendig. Aus diesem Grund ist es von Mutationen nur sehr selten betroffen; dadurch sind viele bnAbs auch gegen unterschiedliche Kladen des sich ständig wandelnden HI-Virus wirksam.
Anfang 2021 gab es erste Daten der AMP-Studien, die bnAbs als HIV-Prophylaxe bei vulnerablen Teilnehmern in Subsahara-Afrika und Europa testete (2). Die Untersuchungen zeigten, dass Gaben des monoklonalen bnAb «VRC01» zu 75 Prozent gegen eine Ansteckung mit einem VRC01-sensitiven HI-Virus schützten. Am besten wirksam waren die Vakzine bei Menschen, bei denen ein hoher bnAb-Titer festgestellt werden konnte. In den Gegenden, in denen die Studie durchgeführt wurde, waren allerdings über 60 Prozent der zirkulierenden HIV-Stämme resistent gegen VRC01. Insgesamt gab es daher keine signifikante Reduktion der Ansteckungen.
Nichtsdestotrotz ist die Wirksamkeit der bnAbs durch die AMP-Studie nun eindeutig belegt. Prof. Gray ist überzeugt, dass die breitneutralisierenden Antikörper aktuell die beste Herangehensweise darstellen.
Jetzt ist die mRNA-Technologie am Zug
Einen zusätzlichen Anschub könnten die bnAbs auch durch die von SARS-CoV-2 bekannte mRNA-Technologie erhalten. Hier untersuchte eine Ende 2021 veröffentlichte Primatenstudie eine mRNA-Vakzine, die zur Herstellung von Viruspartikeln und in weiterer Folge zur Erzeugung breitneutralisierender Antikörper durch die körpereigene Immunabwehr der Affen führte (3).
Sie konnte zeigen, dass die Impfung das Ansteckungsrisiko der Affen pro Exposition um 79 Prozent verringern konnte. In den nächsten zwei Jahren werden weitere Ergebnisse von insgesamt 20 Studien zur mRNA-Technologie erwartet, von denen neun bereits überprüft sind.
Ist die Impfung auch die Heilung?
Aber auch die HIV-Therapie benötigt dringend neue Konzepte, um von der kostenintensiven und mit Nebenwirkungen behafteten Dauertherapie der antiretroviralen Therapie (ART) wegzukommen. «Obwohl die ART sehr effektiv ist, kommt es zu einem schnellen Rezidiv, sobald die Therapie gestoppt wird», erklärt Prof. Dr. Thomas Rasmussen vom Aarhus University Hospital, Dänemark, der seit 2014 an HIV-Therapien forscht. Der Grund dafür sind latent infizierte Körperzellen, die als Virusreservoirs dienen, und so immer neue Ausbrüche provozieren.
«Um eine vollständige Remission zu erreichen, müsste eine Therapie entweder alle infizierten Zellen eliminieren, um den HIV-Pool auszulöschen. Der wesentlich erfolgversprechendere kurative Ansatz besteht aber darin, den Pool infizierter Zellen zu reduzieren und dann eine wirksame Immunantwort auszulösen, die die restlichen HIV-infizierten Zellen in Schach hält», so Prof. Rasmussen. Die grösste Hoffnung liegt daher aktuell in der Immuntherapie, die eine effektive und langanhaltende Antwort gegen das HIV bewirken soll.
Und auch da stellen breitneutralisierende Antikörper den aktuellen Hoffnungsträger dar. Bereits im Jahr 2018 konnte die erste Studie zeigen, dass die Gabe von zwei bnAbs die Suppression des Virustiters für 15-30 Wochen nach Aussetzen der ART aufrechterhalten konnte, wenn die Viren gegen die verwendeten bnAbs sensitiv waren (4). Hörte man aber mit den bnAb-Gaben auf, kam es bei allen Patienten zu einem Rückfall.
Die bnAbs richtig anwenden lernen
Einer so gestalteten bnAb-basierten Herangehensweise steht Prof. Rasmussen kritisch gegenüber. «Man muss schon sagen: Wenn man dauerhaft einen monoklonalen Antikörper geben muss, um eine Remission zu erreichen, stellt das künftig eine ökonomische und soziale Herausforderung dar.»
Sinnvoller wäre es, die bnAbs so einzusetzen, dass sie das latente Virus-Pool modifizeren, und damit eine nachhaltige Therapie darstellen. Auch dafür gibt es bereits mehrere Ansätze. In einer Studie sah man etwa, dass ein Wiederaufflackern des Virus bei zwei von neun Studienteilnehmern auch nach Absetzen der ART und der bnAbs ausblieb – auch über die Zeit hinaus, in der die bnAbs schon längst wieder abgebaut sind (5). Das könnte darauf hindeuten, dass bnAbs einen Einfluss auf das intakte HIV-Reservoir ausübten. Dazu passt auch, dass in den Wochen nach Anwendungsbeginn der bnAbs die HIV-spezifischen T-Zellen anstiegen. «bnAbs haben also möglicherweise bei Infizierten einen Impfungs-ähnlichen Effekt», so Prof. Rasmussen.
Um diesen Effekt voll auszuschöpfen, stellen unter anderem Variationen der zeitlichen Abfolge der Therapien eine Option dar. «Bisher begannen die meisten kurativen Studien mit den bnAbs, nachdem die ART gestoppt wurde. Es gibt aber gute Hinweise darauf, dass sich das Virusreservoir in dem Moment ‹einfriert›, in dem die ART begonnen wird», führt der Referent aus. «Setzt man die bnAbs ein, bevor man eine ART beginnt, kann man den Impfungs-Effekt möglicherweise maximieren.»
Das Timing ist möglicherweise alles
Eine kleine Studie, die dieses Jahr auf der Konferenz für Retroviren und opportunistische Infektionen (CROI) vorgestellt wurde, weist auf genau das hin (6). Teilnehmer, die den bnAb «3BNC117» erhielten und danach für ein Jahr mit einer ART behandelt wurden, zeigten eine gewisse virologische Kontrolle, auch wenn sowohl ART als auch bnAbs danach abgesetzt wurden. Bei einem der Teilnehmer ist das HI-Virus seit über vier Jahren nicht mehr nachweisbar.
Referenzen
- Approaches for HIV cure and vaccine research. AIDS2022-Kongress, 29. Juli - 2.August 2022
- Corey L et al. Two Randomized Trials of Neutralizing Antibodies to Prevent HIV-1 Acquisition. N Engl J Med. 2021 Mar 18;384(11):1003-1014. doi: 10.1056/NEJMoa2031738.
- Zhang P et al. A multiclade env-gag VLP mRNA vaccine elicits tier-2 HIV-1-neutralizing antibodies and reduces the risk of heterologous SHIV infection in macaques. Nat Med. 2021 Dec;27(12):2234-2245. doi: 10.1038/s41591-021-01574-5.
- Mendoza P et al. Combination therapy with anti-HIV-1 antibodies maintains viral suppression. Nature. 2018 Sep;561(7724):479-484. doi: 10.1038/s41586-018-0531-2.
- Gaebler C et al. Prolonged viral suppression with anti-HIV-1 antibody therapy. Nature. 2022 Jun;606(7913):368-374. doi: 10.1038/s41586-022-04597-1
- Søgaard O et al. The impact of 3BNC117 and Romidepsin treatment at ART initiation on HIV-1 persistance. Abstract 62, CROI 2022