Eine Neurodermitis ist keine Lebensmittelallergie
Sogar in der Ärzteschaft halten sich einige Mythen um die Neurodermitis hartnäckig. Ein Experte erklärt, warum Patienten, die an der Hautkrankheit leiden, in der Regel alles essen und täglich duschen dürfen. In Schach halten kann die Neurodermitis nur eine konsequente und gute Therapie.
Längst hat die Neurodermitis (atopische Dermatitis) in Europa den Status einer Volkskrankheit. «Unterschiedliche epidemiologische Daten weisen auf eine Häufigkeit von zehn bis 15 Prozent bei Kindern und von drei bis acht Prozent bei Erwachsenen hin», erklärt PD Dr. Martin Glatz, Facharzt für Allergologie und klinische Immunologie sowie Dermatologie und Venerologie und Leiter der Facharztklinik allergie + haut2 in Uster (1). Bei rund 80 Prozent der Patienten mit Neurodermitis treten die Ekzeme dabei das erste Mal vor dem zweiten Geburtstag auf. «Bei 20 Prozent aber nicht», erinnert PD Dr. Glatz. «Hin und wieder haben auch Erwachsene – mitunter sogar im Seniorenalter – zum ersten Mal eine Manifestation.»
In den letzten Jahrzehnten hat die Häufigkeit der Neurodermitis insgesamt noch zugenommen. Warum, ist aber nach wie vor unklar.
Neurodermitis kommt selten allein
Hauptmerkmal der Neurodermitis sind eine sehr trockene Haut und Ekzeme, die typischerweise an den grossen Beugen und Kniekehlen auftreten, aber auch an jeder anderen Körperstelle zu finden sein können.
Neben der durch die Trockenheit kompromittierten Hautbarriere stecken auch Th2-gewichtete Veränderungen im Immunsystem hinter der Erkrankung. Durch Letztere leiden Menschen mit Neurodermitis häufig auch an anderen Erkrankungen des atopischen Formenkreises. Dazu zählen die chronische Urtikaria (OR 9,15), die allergische Rhinitis (OR 4,31) oder Asthma (OR 2,09) (2). Weniger bekannt ist, dass auch andere Erkrankungen bei Neurodermitikern wesentlich häufiger auftreten als in der Normalbevölkerung. Beispiele dafür sind das Eczema herpeticum (OR 11,7–67,93) – eine der schwersten Komplikationen der Erkrankung – oder die Depression (OR 1,2–9,9).
Miserable Lebensqualität
Für eine eher schlechte psychische Verfassung von Patienten mit der Hautkrankheit sprechen auch zwei deutsche Studien, die zeigten, wie extrem die Neurodermitis die Lebensqualität der Betroffenen im Schnitt einschränkt. In einer der Studien kam die Neurodermitis bei den Krankheiten, die die Lebensqualität am stärksten einschränken, auf Platz zwei – direkt hinter der Parkinson-Erkrankung (3). In einer anderen Studie hatten Menschen mit Neurodermitis eine schlechtere Lebensqualität als Patienten mit Krebserkrankungen (4).
Am meisten belasten die Patienten bei der Neurodermitis nicht die Ekzeme oder ihr Aussehen, sondern der starke Juckreiz. Ist er besonders ausgeprägt, kann er bis zur Schlaflosigkeit führen.
Nicht unnötig einschränken
PD Dr. Glatz gibt seinen Patienten mit, dass sie – abgesehen vom Verfolgen einer konsequenten und guten Therapie – den Verlauf der Neurodermitis selbst nur recht wenig beeinflussen können. "Viele Patienten denken, dass die Neurodermitis mit ihrem Lebensstil zusammenhängt, und schränken sich dadurch unnötig ein. In den meisten Fällen ist das aber auszuschliessen.» So hängt die Neurodermitis weder mit dem Verzehr bestimmter Lebensmittel zusammen noch mit dem Waschmittel, das die Patienten verwenden.
Auch das Duschen, dem früher eine besonders austrocknende Wirkung nachgesagt wurde, empfehlen Experten heute sogar täglich. «Durch das Duschen werden Verschmutzungen wie Salbenreste, Bakterien und Hautschüppchen entfernt.» Die Wassertemperatur ist dabei egal – wichtiger ist, dass nach jedem Duschen die Basistherapie durchgeführt wird – also die gesamte Hautoberfläche eingecremt wird (siehe Kasten). Sie soll bei allen Patienten gleichermassen durchgeführt werden, denn durch eine Rückfettung der Haut bekämpft man wirksam das Grundübel der erhöhten Hauttrockenheit.
So sollte die Basistherapie durchgeführt werden
- Hände waschen (Bakterien auf der Hand wirken proinflammatorisch)
- Eincremen der gesamten Hautoberfläche inklusive betroffenen und nicht betroffenen Arealen
- Einmal täglich, in ruhiger und entspannter Atmosphäre, oder nach jedem Duschen
- So viel Creme verwenden, dass die Haut nach zehn Minuten nicht mehr zu fettig zum Anziehen ist, aber nach einer Stunde noch nicht trocken ist
- Eventuell im Sommer und im Winter unterschiedliche Präparate verwenden
Nach Abheilung der betroffenen Stellen nicht mit der Therapie aufhören
«Die Neurodermitis ist zwar eine chronische Erkrankung, kann aber dank klassischer und moderner Therapien mittlerweile in der Regel gut in Schach gehalten werden» so der Experte. Dabei sollten dem Patienten aber keine falschen Versprechungen gemacht werden, denn es können unabhängig von der Therapie immer wieder Rezidive vorkommen: «Schübe gehören zum normalen Verlauf der Neurodermitis. Wie oft diese auftreten, ist individuell unterschiedlich – manche Patienten leiden dauerhaft unter Ekzemen, andere leben jahrzehntelang unbehelligt von der Erkrankung.» Treten Schübe unter der Therapie auf, heisst das also auch nicht, dass die Therapie versagt hat.
Treten unter der Basistherapie weiterhin immer wieder Schübe auf, ist eventuell eine topische antientzündliche Therapie notwendig. Dazu beginnt man mit einer Akuttherapie, bei der täglich topische Steroide bis zur kompletten Abheilung der Ekzeme angewendet werden. Danach sollte die Therapie keinesfalls eingestellt werden! Im Zuge der Erhaltungstherapie kommen dann Steroide oder topische Calcineurininhibitoren auf bekannten Ekzemstellen zur Anwendung. Diese Maintenance-Behandlung sollte in der Frequenz durchgeführt werden, die nötig ist, um Ekzeme zu unterdrücken.
Eine zielgerichtete Systemtherapie ist nur bei zwei Prozent nötig
Treten auch unter der topischen antientzündlichen Behandlung immer wieder schwere Schübe auf, kann eine zielgerichtete Systemtherapie angezeigt sein. «Das betrifft aber nur rund zwei Prozent der Patienten mit Neurodermitis.»
An zielgerichteten Systemtherapeutika stehen in der Schweiz aktuell der gegen Interleukin(IL)-4 und IL-13 gerichtete Antikörper Dupilumab zur Verfügung, sowie der IL-13-Rezeptor-Antikörper Tralokinumab. Darüber hinaus sind zwei orale JAK-Inhibitoren, Baricitinib und Upadacitinib, zugelassen.
Davor muss ein Kostengutsprachegesuch gestellt werden. Die Hersteller der verfügbaren Präparate stellen dafür bereits eigene Formulare zur Verfügung. In manchen Fällen gibt es im Verlauf Rückfragen von Seiten der Versicherer, die sich nach dem Therapiefortschritt erkundigen. «Die Therapie ist grundsätzlich lebenslang» erklärt PDDr. Glatz. «Es gibt bisher keine Hinweise darauf, dass man die Therapie beenden kann. Eine Verlängerung der Kostengutsprache ist also immer notwendig.» Auf seine Erklärung hin wurde die Kostengutsprache dann immer verlängert.
Für eine zielgerichtete Therapie müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
- Schwere Neurodermitis (SCORAD >50)
- Vorangegangene fehlgeschlagene intensivierte Lokaltherapie und Lichttherapie und Systemtherapie mit konventionellem Immunsuppressivum (z.B. Cyclosporin oder Methotrexat) für mindestens 1 Monat (Ausnahme: Unverträglichkeit)
Referenzen
- WebUp Experten-Forum «Update Dermatologie» Neurodermitis, 12.April 2022
- Silverberg JI et al. Comorbidities and the impact of atopic dermatitis. Ann Allergy Asthma Immunol. 2019 Aug;123(2):144-151. doi: 10.1016/j.anai.2019.04.020.
- Langenbruch A et al. Quality of health care of atopic eczema in Germany: results of the national health care study Atopic Health. J Eur Acad Dermatol Venereol. 2014 Jun;28(6):719-26. doi: 10.1111/jdv.12154.
- König HH et al. Gesundheitszustand der deutschen Bevölkerung: Ergebnisse einer repräsentativen Befragung mit dem EuroQol-Instrument [Health Status of the German population: results of a representative survey using the EuroQol questionnaire]. Gesundheitswesen. 2005 Mar;67(3):173-82.