Erstes Kind, das mit CAR-T-Zellen behandelt wurde, ist 10 Jahre krebsfrei
Anfang Mai 2022 gab das Children’s Hospital of Philadelphia (CHOP) eine Jubelmeldung heraus: Emily Whitehead, das erste Kind, das weltweit mit einer CAR-T-Zell-Therapie behandelt wurde, ist nun seit zehn Jahren krebsfrei. Dem ging eine Geschichte mit vielen Höhen und Tiefen voraus.
Whitehead kam mit sechs Jahren mit einer fortgeschrittenen rezidivierenden akuten lymphoblastischen Leukämie (ALL) ans CHOP – sie und ihre Eltern erhofften sich von der für zelluläre Immunologie spezialisierten Klinik nicht weniger als ein Wunder. "In unserem alten Spital wurde uns gesagt, dass wir Emily mit nach Hause nehmen sollen und ihre letzten verbleibenden Tage mit ihr geniessen sollen," erinnert sich der Vater der heute 17-Jährigen.
Fast schicksalshaftes Glück
Am CHOP verabreichte Whitehead der dort tätige Onkologe Dr. Stephan Grupp ein CAR-T-Zell-Produkt. Whitehead war damit das erste Kind weltweit, das mit CAR-T-Zellen behandelt wurde, und die erste Patientin jeden Alters mit ALL, die eine solche Therapie erhielt. Whitehead war gleichzeitig auch die erste Patientin, die an der klinischen Studie zur CAR-T-Zell-Therapie bei der pädiatrischen ALL teilnahm.
Dass dies überhaupt möglich war, war einer Forschergruppe am Penn Medicine’s Abramson Cancer Center zu verdanken, mit der Dr. Grupp in enger Verbindung stand. Diese arbeitete zur gleichen Zeit daran, das Protokoll für die CAR-T-Zell-Therapie auf eine Anwendung bei Kindern anzupassen. Bei der damals noch höchst experimentellen Behandlung werden eigene T-Zellen des Patienten genetisch so verändert, dass sie gegen ein Oberflächenprotein auf den Krebszellen gerichtet sind, und im Anschluss dem Patienten wieder verabreicht.
Therapieversuch mit Höhen und Tiefen
Kurz nachdem sie die CAR-T-Zell-Infusion erhalten hatte, wurde Whitehead schwer krank. Sie landete schliesslich mit einem kritischen Blutdruckabfall, hohem Fieber und Atemnot auf der Intensivstation. Damals standen ihre Ärzte ratlos vor der schwer kranken Patientin, und arbeiteten Tag und Nacht daran, dem Grund ihres Zustandes auf die Spur zu kommen. Sie entdeckten, dass im Blut von Whitehead die Spiegel des Zytokins Interleukin-6 (IL-6) extrem erhöht waren. IL-6 war im Jahr 2012 eines der wenigen Zytokine, gegen das es ein zugelassenes Biologikum, Tocilizumab, existierte, das damals eigentlich eine Behandlung gegen Arthritis darstellte. Nach der Verabreichung von Tocilizumab erholte sich Whitehead innerhalb von Stunden.
Heute weiss man, dass Whitehead an einem schweren Zytokin-Release-Syndrom (CRS) litt, das nach einer Behandlung mit CAR-T-Zellen bei rund der Hälfte der mit CAR-T-Zellen behandelten Kindern auftritt. Es entsteht dadurch, dass die genetisch veränderten T-Zellen sich in den ersten Tagen nach der Transplantation exponentiell vermehren. Während dieser Zeit greifen sie den Tumor stark an – das löst auch eine massive Entzündungsreaktion aus – die auch zu einem systemischen Ausnahmezustand führen kann, wie es beim CRS passiert. Nach einem Peak der T-Zellen nach rund zehn Tagen schrumpft ihre Anzahl dann schlagartig wieder, und die Entzündung geht zurück. Die Behandlung mit Tocilizumab gehört auch heute noch nach wie vor zum Goldstandard der Therapie eines CRS.
50 Prozent bleiben langfristig tumorfrei
"Was wir am Fall von Emily gelernt haben, hat eigentlich das ganze Feld der CAR-T-Zell-Therapie definiert", erzählt Dr. Grupp. "Vor zehn Jahren hatten wir noch keine Ahnung, was wir zu erwarten haben. Würde die Behandlung funktionieren? Würde der Therapieerfolg anhalten?" Nun kann Dr. Grupp mit Sicherheit sagen, dass die T-Zellen persistiert haben – schliesslich ist die Patientin nun seit zehn Jahren tumorfrei. Am CHOP wurden seither mehr als 440 Patienten mit einer CAR-T-Zell-Therapie behandelt – weltweit dürften es bereits tausende pädiatrische Patienten sein.
Nicht bei allen Patienten geht die CAR-T-Zell-Behandlung so gut aus wie bei Emily. Die Rate der Patienten, die nach einer rezidivierenden ALL nach der noch immer sehr teuren und hochspezialisierten Behandlung in Remission gehen, beträgt zwar derzeit immerhin 90 Prozent. Langfristig tumorfrei bleiben von ihnen aber nur rund 50 Prozent. Aber auch das ist ein immenser Durchbruch, denn vor der Verfügbarkeit der CAR-T-Zellen waren es nur rund neun Prozent.
Dank Bedside-to-Bench-Forschung geheilt
"Alle reden immer von Bench-to-Bedside-Forschung" sagt Dr. Grupp. "Die ist auch unglaublich wichtig, aber es gibt auch die Möglichkeit der Bedside-to-Bench-Forschung." Aktuell versucht er anhand der Zellen von Patienten, die eine CAR-T-Zell-Behandlung erhalten haben, herauszufinden, wie man die Effektivität der Therapie verbessern kann.
Und Emily? In einem Interview mit einem amerikanischen Fernsehsender bringt die 17-Jährige ihr Leben so auf den Punkt: "Mir geht es gut. Ich habe gerade meinen Führerschein gemacht." Sie sei den Ärzten und Krankenpflegern dankbar dafür, dass sie eine Zukunft planen kann.
Referenzen
- Pressemeldung "Emily Whitehead, First Pediatric Patient to Receive CAR T-Cell Therapy, Celebrates Cure 10 Years Later", Children’s Hospital of Philadelphia, am 11. Mai 2022 (abgerufen am 19. Mai 2022)
- Video: First child to receive CAR T-cell therapy is 10 years cancer-free. Today.com, am 11. Mai 2022 (abgerufen am 19. Mai 2022)
Bild: Mit freundlicher Genehmigung der Emily Whitehead Foundation