Medical Tribune
1. Apr. 2022Onkologische Primärprävention

HPV-Impfung der letzten Jahrzehnte senkt die Zervixkarzinomrate drastisch

Eine der häufigsten sexuell übertragenen Infektionen kann zu Krebs führen: das humane Papillomavirus. Dagegen existiert seit 16 Jahren eine Impfung. Aktuelle Daten bestätigen die Wirksamkeit auf individueller Basis sowie für die öffentliche Gesundheit. Dennoch zeigen Experten auf, dass mehr und verbesserte Aufklärung dringend notwendig sind.

Eine HPV-Impfung als Teenager verhindert bereits die Ansteckung mit den onkogenen Papillomaviren
iStock/FotoDuets

Bei rund 250 Frauen jährlich wird in der Schweiz ein Zervixkarzinom diagnostiziert - hinzu kommen rund 5.000 Frauen, bei denen Krebsvorstufen entdeckt werden. Bei Frauen zwischen 20 und 49 Jahren ist das Zervixkarzinom in der Schweiz die fünfthäufigste Krebsart. Die humanen Papillomaviren (HPV), die die Krankheit verursachen, sind weit verbreitet: Schätzungsweise 70 bis 80 Prozent der sexuell aktiven Frauen und Männer infizieren sich irgendwann mit HPV (1).

Dabei kann HPV nicht nur Zervixkarzinome, sondern generell anogenitale sowie oropharyngeale Tumore auslösen: Dazu zählen gewöhnliche Hautwarzen (Papillome) sowie gutartige Genitalwarzen (Feigwarzen, Kondylome). Aber auch das Plattenepithelkarzinom des Afters (Analkarzinom) ist in neun von zehn Fällen auf HPV zurückzuführen. Zudem gehen Experten davon aus, dass in Deutschland etwa 50 Prozent aller Oropharynxkarzinome durch HP-Viren verursacht werden; in über 90 Prozent handelt es sich beim Verursacher um den Hochrisikotyp HPV 16 (2).

Von vier- bis neun-valent

Als erster HPV-Impfstoff wurde Ende 2006 ein vier-valenter Impfstoff in der Schweiz zugelassen, der gegen die tumorerzeugenden HPV-Serotypen 16 und 18 schützt, sowie gegen Typ 6 und 11, die für rund 90 Prozent der Genitalwarzen verantwortlich sind. 2010 folgte eine zweite Vakzine, die gegen die Hochrisiko-Typen 16 und 18 gerichtet ist (3). Seit 2019 ist schliesslich auch der neun-valente HPV-Impfstoff verfügbar, der neben den Typen 6, 11, 16 und 18 zusätzlich gegen die Hochrisiko-Typen 31, 33, 45, 52 und 58 schützt.

BAG empfiehlt Impfung für beide Geschlechter

Das BAG empfiehlt die Impfung frühzeitig bei allen Jugendlichen im Alter zwischen 11 und 14 Jahren durchzuführen - sie sollte am besten vor Beginn der sexuellen Aktivität abgeschlossen sein. Der Impfschutz hält erwiesenermassen mindestens zehn Jahre an. Für Mädchen ist sie dabei als Basisimpfung empfohlen, für Jungen wird sie als Ergänzungsimpfung angesehen; das BAG argumentiert, dass dies aufgrund der wesentlich grösseren Betroffenheit von Frauen von HPV-assoziierten Erkrankungen beschlossen wurde (4) Basisimpfungen werden definiert als für die individuelle und öffentliche Gesundheit unerlässlich, wohingegen Ergänzungsimpfungen für Personen bestimmt sind, die sich gegen klar definierte Risiken schützen wollen.

In Deutschland empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) die HPV-Impfung seit 2018 für Mädchen und Jungen gleichermassen. Zudem definierte die STIKO auch das HPV-Impfziel neu: War es bis 2017 allein die Verminderung der Krankheitslast durch Zervixkarzinome, wurde es 2018 auf die Reduktion der Krankheitslast durch HPV-assoziierte Tumoren (also nicht nur der malignen, sondern auch der benignen Genitalwarzen) ausgeweitet (5).

Aktuelle Studien belegen signifikante Reduktion der Zervixkarziomrate dank Impfung

In einer 2019 veröffentlichten kanadischen Metaanalyse wurden 1.702 Studien im Zeitraum von 2014 bis 2018 ausgewertet. 65 wurden als hochqualitativ beurteilt, und daher in die Analyse einbezogen. Dabei zeigte sich, dass die Impfung die Prävalenz genitaler HPV-Infektionen eindeutig reduziert hat (6).

In Ländern mit hoher Durchimpfungsrate (wie zum Beispiel Dänemark), welche über staatliche Impfprogramme sowie über ein zentral geführtes Krebsregister verfügen, zeigte sich, dass bei der mit dem 4‑valenten Impfstoff geimpften Kohorte eine Infektion mit dem HPV-Typ 16 und 18 nahezu ausgeschlossen werden konnte. Eine Analyse von über 6.000 Zervix-Abstrichen von im Jahr 1994 geborenen Däninnen zeigte etwa, dass die Prävalenz der Hochrisiko-Varianten 16 und 28 gegenüber den Zeiträumen vor der Impfung um 95 Prozent gesunken war (7). Die Prävalenz von Hochrisiko-Varianten, gegen die nicht geimpft werden konnte, hatte sich in diesem Zeitraum hingegen kaum verändert.

Das hat auch signifikante Auswirkungen auf die Zervixkarzinomrate: Bei britischen Frauen, die im Alter von 12 bis 13 Jahren mit dem bivalenten Impfstoff gegen HPV geimpft wurden, war diese im Alter von 20 bis 30 Jahren etwa um 87 Prozent geringer als die nicht geimpfte Referenzkohorte, wie eine aktuelle britische Studie bestätigt (8).

Eine schwedische Kohortenstudie beurteilte den Zusammenhang zwischen dem 4‑valenten Impfstoff und dem Risiko für invasive zervikale Karzinome. Diese Analyse, die zwischen 2006–2017 durchgeführt wurde, schloss 1,6 Millionen Mädchen und Frauen im Alter von 10 bis 30 Jahren ein: Sie zeigte erstmalig auch einen Rückgang invasiver Zervixkarzinome bei 10- bis 30-jährigen geimpften Mädchen und Frauen. Das Risiko für ein Zervixkarzinom war umso geringer, je jünger die Mädchen/Frauen zum Zeitpunkt der Impfung waren. Bei Frauen, die unter einem Alter von 17 Jahren geimpft wurden, war das Risiko für ein Zervixkarzinom um 88 Prozent geringer als bei ungeimpften Frauen (9).

Aufklärung ist entscheidend

Die WHO hat im November 2020 die Strategie zur Eliminierung von Zervixkarzinomen aktualisiert (10): Bis im Jahr 2030 sollen 90 Prozent der Mädchen bis zum 15. Lebensjahr vollständig mit einem HPV-Impfstoff geimpft sein, 70 Prozent der Frauen bis zum 35. Lebensjahr sollen ein hochqualitatives Screening unterlaufen haben, und 90 Prozent der diagnostizierten zervikalen Erkrankungen sollen behandelt werden.

Das BAG strebt aktuell eine Durchimpfungsrate bei 16-jährigen Mädchen von mindestens 80 Prozent an (11). Im Jahr 2018 lag die schweizerische Durchimpfungsrate bei dieser Gruppe jedoch lediglich bei 56 Prozent (für zwei Impfdosen, 62 Prozent für eine Dosis und bei 7 Prozent für die dritte Dosis) (12). Es ist also noch viel zu tun, vor allem im Bereich Aufklärung und Sensibilisierung. Hausärzte, Gynäkologen, aber auch Kinderärzte sind gefragt.

Eine cluster-randomisierte Studie («Die Wirkung einer vielschichtigen Intervention für Ärzte und Ärztinnen auf die Impfrate gegen HPV in der Schweizer Grundversorgung») prüft aktuell, ob eine gezielte, Fortbildung für Hausärzte zu einer Erhöhung der Impfquote führen kann: Diese soll detaillierte Informationen über HPV und HPV-Impfungen sowie zu einer guten Patientenkommunikation vermitteln. Ärzte der Kontrollgruppe nehmen hingegen an einer allgemeinen Fortbildung zu Impfungen teil (13). Die Resultate werden 2022 erwartet.

Kleine Geschichte der Zervixkarzinom-Vorsorge

Nach den ersten Hysterektomien entwickelten sich bereits im 19. Jahrhundert weitere mehr oder weniger radikale Verfahren zur Behandlung eines Krebses an der Gebärmutter. Im Jahr 1925 wurde die Kolposkopie und der Zellabstrich von der Zervix nach Papanicolaou etabliert (13,14). In den 1970er-Jahren wurde dieser dann definitiv in die standardisierte Krebsfrüherkennungsuntersuchung in den frauenärztlichen Praxen eingeführt. In der Schweiz übernimmt die Grundversicherung der Krankenkasse den Krebsabstrich im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung, jedes dritte Jahr.

Zusätzlich zur Vorsorge bestehen mehr oder weniger diffuse Symptome, welche auf ein Zervixkarzinom hinweisen können, wie zum Beispiel Blutungen nach dem Geschlechtsverkehr oder unregelmässige Monatsblutungen, oder auch ein unerklärlicher Gewichtsverlust. Diese Symptome sind jedoch unspezifisch und können oft auch andere Ursachen haben.

Referenzen
  1. Gebärmutterhalskrebs. (abgerufen am 28.03.2022).
  2. Reuschenbach M et al. A systematic review of the HPV-attributable fraction of oropharyngeal squamous cell carcinomas in Germany. Cancer Med. 8(4):1908-1918. doi: 10.1002/cam4.2039.
  3. Die HPV-Impfprogramme in der Schweiz. Stand 25.10.2010 (abgerufen am 28.03.2022).
  4. Humane Papillomaviren (HPV). Stand 7.10.2021 (abgerufen am 28.03.2022).
  5. Robert Koch Institut. Wissenschaftliche Begründung für die Empfehlung der HPV-Impfung für Jungen im Alter von 9 bis 14 Jahren. Epidemiologisches Bullettin 2018 (Nr. 26)
  6. Drolet M, et al. Population-level impact and herd effects following the introduction of human papillomavirus vaccination programmes: updated systematic review and meta-analysis. Lancet. 2019; 394:497–509. doi: 10.1016/S0140-6736(19)30298-3.
  7. Lynge E, et al. Prevalence of high‐risk human papillomavirus after HPV‐vaccination in Denmark. Int J Cancer. 2020;147:3446–3452. doi: 10.1002/ijc.33157.
  8. Falcaro M et al. The effects of the national HPV vaccination programme in England, UK, on cervical cancer and grade 3 cervical intraepithelial neoplasia incidence: a register-based observational study. Lancet. 2021 Dec 4; 398 (10316): 2084-2092. doi: 10.1016/S0140-6736(21)02178-4.
  9. Lei J, et al. HPV vaccination and the risk of invasive cervical cancer. N Engl J Med. 2020; 383 (14): 1340–1348. doi: 10.1056/NEJMoa1917338.
  10. World Health Organization. Global strategy to accelerate the elimination of cervical cancer as a public health problem. Stand 17.11.2020 (abgerufen am 28.03.2022).
  11. Bundesamt für Gesundheit (BAG). «Aktionsplan Nationale Strategie zu Impfungen» Stand 9.11.2020 (abgerufen am 28.03.2022).
  12. Bundesamt für Gesundheit (BAG), Durchimpfung von 2-, 8- und 16-jährigen Kindern in der Schweiz, 1999-2018 (13.06.2019), abgerufen am 28.3.2022.
  13. Koordinationsstelle Forschung am Menschen. Studienregister SNCTP: Die Wirkung einer vielschichtigen Intervention für Ärzte und Ärztinnen auf die Impfrate gegen HPV in der Schweizer Grundversorgung: Eine cluster-randomisierte klinische Studie. Stand 4.2.2022 (abgerufen am 28.03.2022).
  14. Papanicolaou GN. New cancer diagnosis. Proceedings of the Third Race Betterment Conference, Battle Creek, Michigan, 1928
  15. Hinselmann H. Verbesserung der Inspektionsmöglichkeit von Vulva, Vagina und Portio. Münchner Medizinische Wochenschrift. 1925; 77: 1733.