Mitochondrialer Diabetes mellitus: Von Diabetes bis Hörverlust
Ein Diabetes gepaart mit Schwerhörigkeit sollte hellhörig machen. Die Familienanamnese und Genetik geben Aufschluss darüber, ob nicht vielleicht ein mitochondrialer Diabetes (MIDD) vorliegt.
Dem mitochondrialen Diabetes mellitus (maternally inherited diabetes and deafness, MIDD) liegt eine verminderte ATP-Produktion in den Mitochondrien der Betazellen mit daraus resultierender Fehlfunktion zugrunde. Diese Form der Stoffwechselerkrankung findet sich bei bis zu 1 Prozent der Menschen mit Diabetes. Oft ist ein eingeschränktes Hörvermögen Teil des Syndroms.
Mitochondrien verfügen über ihr eigenes DNA-Molekül (mtDNA), das maternal vererbt wird, erläutern PD Dr. Gerlies Treiber von der Medizinischen Universität Graz und Kollegen in ihrem aktuellen Review (1).
Fehler im mitochondrialen Genom kommen vielgestaltig daher
Durch Mutationen hervorgerufene Mitochondriopathien sind vielgestaltig, was die Diagnosestellung oft gravierend erschwert. Denn das Verhältnis von gesunden zu pathogenetisch mutierten Zellkraftwerken kann sowohl zwischen einzelnen Personen als auch zwischen einzelnen Geweben stark variieren.
Beim mitochondrialen Diabetes kommt es am häufigsten zu einem Austausch von Adenosin durch Guanin (m.3243A>G) im mitochondrialen Gen der Leucin-Transportribonukleinsäure (tRNALeu,). Die Mutation verändert die Tertiärstruktur der tRNA und wirkt sich negativ auf zwei Proteinkomplexe der Atmungskette aus. Vor allem in metabolisch sehr aktiven Zellen wie denen des endokrinen Pankreas, aber auch im Innenohr, in den Nieren, der Netzhaut und im Gehirn kommt es in der Folge zu Energiedefiziten.
Bei Hörverlust und Diabetes an MIDD denken
Der mitochondriale Diabetes manifestiert sich meist in der vierten Lebensdekade. Die Patienten sind in der Regel normalgewichtig, die Insulinempfindlichkeit ist unauffällig. Der Hörverlust macht sich für gewöhnlich vor der Diabetesmanifestation bemerkbar und betrifft Männer stärker als Frauen. Er ist verbunden mit einer Atrophie der metabolisch hochaktiven Stria vascularis in der Cochlea. Wenn der Patient ein eingeschränktes Hörvermögen aufweist, Anhaltspunkte für eine Multisystemerkrankung bestehen und wenn mütterlicherseits eine positive Familienanamnese für Diabetes vorliegt sollte man also an diese spezielle Diabetesform denken.
Bei entsprechendem klinischem Verdacht sollte zunächst mittels PCR oder Sequenzanalyse nach der typischen m.3243A>G-Mutation gesucht werden. Lässt sich damit kein Basenaustausch nachweisen, sollte im nächsten Schritt eine Panelanalyse mittels Next Generation Sequencing (NGS) der mtDNA und einiger nukleärer Gene veranlasst werden.
Vorsicht mit Metformin und Statinen!
Eine kurative Therapie steht nicht zur Verfügung. Die Diabetesbehandlung sollte individualisiert erfolgen. Oft kommt es bereits innerhalb von zwei Jahren zum Sekundärversagen einer oralen antidiabetischen Therapie, was den Einsatz von Insulin erforderlich macht. Metformin wird wegen seines Risikos für Laktatazidose primär nicht empfohlen. Vorsicht ist mit Statinen geboten, insbesondere bei bestehenden muskulären Symptomen.
Meiden sollte man Medikamente, welche die mitochondriale Funktion beeinträchtigen, etwa Tetrazykline und bestimmte Antiepileptika. Bei manchen Patienten lassen sich die mutationsassoziierten Fehlfunktionen mit Coenzym Q10 mildern. In einer offenen Studie besserte diese spezifische Therapie das Hörvermögen und zögerte das Fortschreiten des Diabetes hinaus (2).
Multidisziplinäre Abklärung erforderlich
Für Patienten mit mitochondrialer Diabeteserkrankung und für Mutationsträger empfehlen die Autoren ein strukturiertes kardiologisches, ophthalmologisches, HNO-ärztliches und nephrologisches Vorsorgeprogramm. Abhängig von den Manifestationen der Mitochondriopathie können bei Hypakusis Cochleaimplantate oder Hörgeräte erforderlich sein, bei kardiologischen Symptomen Betablocker, ACE-Inhibitoren und implantierbare Defibrillatoren.
Referenzen
- Treiber G et al. Mitochondrialer Diabetes mellitus. Internistische praxis 2022; 64: 611–618.
- Suzuki S et al. The effects of coenzyme Q10 treatment on maternally inherited diabetes mellitus and deafness, and mitochondrial DNA 3243 (A to G) mutation. Diabetologia. 1998 May;41(5):584-8. doi: 10.1007/s001250050950.