Folgen, Diagnostik und Therapie der orthostatischen Hypotonie
Innerhalb von 3 Minuten nach dem Aufstehen sackt bei einer klassischen orthostatischen Hypotonie der systolische Blutdruck um mindestens 20 mmHg ab, der diastolische um mindestens 10 mmHg. Das kann kurz-, aber auch langfristige Folgen haben.
Eine orthostatische Hypotonie erhöht das Risiko für Stürze, kardiovaskuläre Erkrankungen, Depression, Demenz und Tod. Symptomatische Patienten sind zudem in ihrer Lebensqualität erheblich eingeschränkt, weil alltägliche Aktivitäten deutlich schwerer fallen. Etwa ein Drittel der Patienten bleibt asymptomatisch: Ihre posturale Hypotonie wird zufällig entdeckt. Welche klinische Signifikanz dies besitzt, ist unbekannt.
Höheres Lebensalter (> 60 Jahre), Diabetes, Morbus Parkinson und bestimmte Medikamente (z.B. Antihypertensiva, Nitrate, SSRI oder trizyklische Antidepressiva) erhöhen das Risiko für eine orthostatische Hypotonie. Von den über 60-Jährigen sind 20 % davon betroffen, von Personen mit Diabetes leidet ein Viertel daran und von den Parkinson-Patienten ein Drittel.
Autonomes Nervensystem ist noch nicht ganz wach
Pathophysiologisch handelt es sich bei der posturalen Hypotonie um eine verzögerte Response des autonomen Nervensystems auf Volumenverschiebungen im Körper beim Aufstehen. Der Baroreflex soll normalerweise den Blutdruck in dieser Situation aufrechterhalten. Funktioniert dies nicht sofort, versackt das Blut in den Beinen, der venöse Rückstrom nimmt ab, folglich auch die kardiale Auswurfleistung und der Blutdruck. Es kommt u.a. zu Symptomen wie Schwindel, Ohnmachtsgefühl, Bewusstseinsverlust, Sehstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, Atemstörungen oder Schwäche.
Ein Screening auf Orthostase ist anzuraten in gefährdeten Patientengruppen bzw. wenn der Patient bei Lageveränderungen typische Symptome entwickelt. Anamnestisch lässt sich ermitteln, wie häufig und zu welcher Tageszeit die Symptome auftreten, ob ein Zusammenhang mit Nahrungsaufnahme, Hydratation, Umgebungstemperatur, längerem Liegen oder einer Dekonditionierung besteht und welche Medikamente der Patient einnimmt, schreiben Dr. Artaza Gilani von der University College London Medical School und Kollegen.
Teil der Untersuchung ist, den Blutdruck im Liegen und nach dem Aufstehen zu messen, vor allem bei Patienten, die beim Aufstehen Schwindel empfinden oder auch schon einmal ohne bekannte Ursache kollabiert sind. Die Wahrscheinlichkeit, eine Orthostase zu erfassen, ist höher, wenn man Liegen und Stehen vergleicht, als wenn man Sitzen und Stehen vergleicht. Empfohlen werden zudem mehrere Messungen sowie eine Kontrolle im Abstand von mehr als drei Minuten, um verzögerte Reaktionen nicht zu übersehen.
Der Puls kann ebenfalls ein wichtiges Indiz sein. Nimmt er während der orthostatischen Reaktion um < 15 Schläge zu, spricht dies für eine neurogene Ursache. Ein EKG kann evtl. den Verdacht auf eine Arrhythmie abklären, ein Herzecho ggf. die Vermutung eines strukturellen Herzproblems bestätigen. Ein Blutbild (Anämie?) mit Kontrolle der Harnstoff- und Elektrolytwerte wird zur Erfassung möglicher Differenzialdiagnosen je nach Situation ebenfalls empfohlen.
Den posturalen Abfall des Blutdrucks kann man nicht verhindern. Umso wichtiger ist es, herauszufinden, was das zugrunde liegende Problem ist. Reversible Ursachen wie Anämie, Infektionen, Dehydratation und Medikamente lassen sich beheben bzw. reduzieren.
Der Patient kann langes Stehen, grosse Mahlzeiten, heisses Duschen oder hohe Umgebungstemperaturen vermeiden, ausreichend trinken und körperlich trainieren. Vielen hilft auch schon, wenn sie daran denken, aus dem Liegen nicht zu schnell aufzustehen. Die Evidenzbasis für alle diese nichtpharmakologischen Massnahmen ist allerdings sehr dürftig. Doch viel besser sieht es mit Medikamenten auch nicht aus.
Wenn allgemeine Massnahmen nicht ausreichend waren, sollte man den Patienten zum Spezialisten schicken, je nach vermutetem Problem zum Kardiologen, Neurologen oder Geriater. Diesem fällt auch die Entscheidung über eine pharmakologische Off-Label-Therapie zu. Optionen wären Fludrocortison (synthetisches Steroid, welches das Plasmavolumen steigert), Midodrin (sympatikomimetisches Prodrug) und Droxidopa (Prodrug von Noradrenalin). Sie können wohl einige Symptome der posturalen Hypotension bessern, sind aber nur in kleinen Studien untersucht.
Davon bei Patienten mit posturaler Hypertonie von einer leitliniengerechten Einstellung des Blutdrucks abzuweichen, raten die Autoren ab. Das schadet dem Patienten eher als es ihm nutzt. Denn damit schmälert man nicht nur den kardioprotektiven Effekt der antihypertensiven Medikation. Das Risiko der Orthostase ist bei einer gut kontrollierten Hypertonie sogar geringer.
Gilani A et al. BMJ 2021; 373: n922; doi: 10.1136/bmj.n922.