Stressinkontinenz primär mit Beckenbodentraining behandeln
Die Belastungs-Harninkontinenz wird häufig als typisches Frauenproblem angesehen. Doch auch Männer sind in relevantem Ausmass betroffen. Inzwischen gibt es auch für sie vielfältige therapeutische Möglichkeiten.
Ursache einer Stressinkontinenz bei Männern ist fast immer eine OP an der Prostata: eine radikale Prostatektomie wegen eines Malignoms oder eine Verkleinerung bei benigner Hypertrophie. Ausnahmen stellen schwere Beckentraumata oder neurologische Erkrankungen dar.
Dabei schädigt die radikale OP meist die autonomen Nerven der glatten Blasensphinktermuskulatur, bei transurethraler Resektion, Laserung etc. dagegen ist meist der Sphinkter selbst lädiert, erklären Professor Dr. Ricarda Bauer von der Urologischen Klinik und Poliklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München, Campus Grosshadern, und ihre Kollegen.
Bevor eine sinnvolle Therapie möglich wird, muss der Patient allerdings erst einmal gründlich durch die diagnostische Mühle gedreht werden, denn nur so kann man die für ihn am besten passende Therapie herausfinden.
Die Mühle beginnt mit der Anamnese. In diesem Fall fragt man den Kranken am besten zunächst, wie lange die verursachende OP zurückliegt – eine postoperative Stressinkontinenz kann sich noch bis zu zwölf Monate nach dem Eingriff mithilfe konservativer Mittel bessern. Von Bedeutung sind auch der Schweregrad der Inkontinenz (s. Kasten) und die unwillkürlich abgehende Urinmenge. Dazu fragt man besser nicht, wie viele Einlagen der Patient pro Tag braucht – die Antworten sind wenig zielführend. Sinnvoller ist ein 24-Stunden-Pad-Test: Dabei legt der Betroffene z.B. am Morgen ein frisches Pad mit definiertem Gewicht ein, 24 Stunden später entfernt er es und lässt es erneut wiegen.
Wie schwer ist die Inkontinenz?
Eine Belastungsinkontinenz lässt sich nach ihrem Auftreten klassifizieren:
- Grad I liegt bei unwillkürlichem Urinverlust nur bei körperlicher Anstrengung vor.
- Bei Grad II tritt der Harnverlust schon bei leichteren Aktivitäten auf.
- Bei Grad III kommt es im Liegen zum unkontrollierten Verlust.
Der Leidensdruck des Patienten kann unabhängig vom Grad der Inkontinenz erheblich sein. Er lässt sich mit standardisierten Fragebögen, beispielsweise dem I-QOL (Incontinence Quality of Life), ermitteln.
Kann der Betroffene den Harnstrahl unterbrechen?
Allerdings ist auch das nur eine Momentaufnahme, betonten die Experten: Alltagsaktivitäten, etwa Sport und Trinkmenge, können das Ergebnis beeinflussen. Deshalb sollte der Patient zusätzlich zweimal über je 24 Stunden ein Miktionsprotokoll führen und darin dokumentieren, wie oft er zur Toilette muss, ob er auch nachts raus muss, wie viel er trinkt etc. Ganz explizit sollte man auch fragen, ob er das Gefühl hat, dass seine Blase nach dem Urinieren vollständig entleert ist, ob er den Harnstrahl willkürlich unterbrechen kann und ob der Harnverlust im Laufe des Tages zunimmt.
Bei der körperlichen Untersuchung inspiziert man das äussere Genital und erhebt einen grob orientierenden neurologischen Befund. Ggf. können auch die Harnwege geschallt werden, aber das wird vermutlich der Kollege aus der Urologie ebenfalls tun, an den man überweisen sollte. Dort erfolgen dann ggf. Zystoskopie, urodynamische Messungen und eventuell weiterführende Tests wie eine Urethrozystografie.
Schritt 1 der Therapie umfasst konservative Verfahren. Dazu gehört ein Beckenbodentraining, eventuell mit Biofeedback. Das kann die Kontraktionsfähigkeit der Muskeln, auch des Blasensphinkters, bessern. An Medikamenten kommen nicht so viele infrage. Der selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer Duloxetin kann laut einiger Untersuchungen helfen. Allerdings ist der Gebrauch off label.
Urinieren auf Knopfdruck mit Pumpe im Hoden
Für Schritt 2 kommen verschiedene invasive Methoden infrage, z.B. ein künstlicher Harnröhrensphinkter (s. Tabelle und Link am Textende). Für die Wahl des Verfahrens sind das Ausmass der Inkontinenz, die verbliebene Dynamik und Funktion des Sphinkters sowie die Kontraindikationen wichtig, schreiben die Kollegen. Dazu kommen die Präferenzen des Patienten. Die Erfolgsraten sind ähnlich.
Invasive Verfahren zur Therapie der Belastungsinkontinenz von Männern | |||
Methode | Wirkprinzip | Erfolg | Komplikationen/Kontraindikationen |
künstlicher Harnröhrensphinkter | Eine Manschette umschliesst fest die Harnröhre, der Patient bedient manuell eine Pumpe im Skrotum, wenn er Wasser lassen will. | derzeit Methode der Wahl (Kontinenz bei 61–100 %), auch nach Radiatio, bei schwerem Befund und nach Versagen anderer Methoden geeignet | Patient muss manuell und geistig so fit sein, dass er das System versteht und adäquat einsetzen kann |
paraurethrale
Injektionen
(Bulking Agents) | submuköse Injektion verschiedener Substanzen im Sphinkterbereich, die den Widerstand in der Harnröhre erhöhen sollen, z.B. Kollagen, polymere Hydrogele | ja, aber zeitlich begrenzt | |
Schlingensysteme (fixiert, adjustierbar) | Urethrakompression, Repositionierung der bulbären Harnröhre | Kontinenz bei 65–70 %, geringer bei vorheriger Bestrahlung des Beckens | Infektionen, Dislokationen
der Schlinge, Schmerzen |
adjustierbare
Silikonballons | Zwei Ballons am Blasenhals werden mit Kontrastmittel gefüllt und komprimieren die bulbäre Harnröhre; Ports zur Adjustierung werden im Skrotum eingelegt. | bei speziell ausgewählten Patienten sinnvoll als weniger invasive Methode | langfristig hohe Revisionsraten,
kontraindiziert bei Vorbestrahlung |
Bauer RM et al. Urologe 2021; 60: 109–118; doi: 10.1007/s00120-020-01395-3.
Video zum künstlichen Sphinkter: bit.ly/InkontinenzMann