Rekonstruktion und Transfer bei Kindern zahlen sich aus
Gerade im Kindesalter sollten Paresen zeitnah begutachtet werden. Denn bei früher Versorgung der Nervenschäden bestehen gute Chancen, Funktionen zumindest teilweise wiederherzustellen.
Nervenrekonstruktionen oder -transfers sind induziert, wenn keine spontane Reinnervation mehr stattfindet und die Läsionen noch nicht zur vollständigen Atrophie bzw. Kontraktur der Muskulatur geführt haben. Oft geht es vorrangig darum, Kennmuskeln, die man für Alltagsbewegungen braucht, wieder funktionsfähig zu machen. Mit Transfers lässt sich aber an den Händen auch eine Schutzsensibilität erreichen, schreibt Dr. Christian Hagemann von der Kinderneurochirurgie am Altonaer Kinderkrankenhaus in Hamburg.
Zeitfenster schliesst sich nach ca. 12–18 Monaten
Im Kindesalter auftretende Paresen haben die unterschiedlichsten Ursachen, z.B. (Geburts-)Traumata, Tumoren oder iatrogene Verletzungen. Bleiben die Lähmungen unbehandelt, folgen Kontrakturen, Atrophien und Wachstumsverlust. Doch Kinder eignen sich wegen ihrer Neuroplastizität besonders gut für Nervenrekonstruktionen und -transfers, die Geschwindigkeit der Axon-Aussprossung liegt meist über 1 mm/d. Voraussetzung ist aber ein rasches Handeln: Ist die Atrophie fortgeschritten, lässt sie sich kaum noch durch eine Nervenverpflanzung beheben. Das Zeitfenster schliesst sich nach etwa 12–18 Monaten. Danach bleibt die Lähmung irreversibel.
Dr. Hagemann schildert mögliche Erfolge an verschiedenen Beispielen.
Radialisparese
Eine 8-Jährige hatte sich den linken Humerus gebrochen. Nach osteosynthetischer Versorgung bestand eine Parese des N. ulnaris und N. radialis. Beim N. ulnaris kommt es zur Reinnervation, der N. radialis erholt sich dagegen nicht. Zehn Monate später, als das Mädchen ans Kinderspital überwiesen wird, besteht eine Fallhand mit weit fortgeschrittener Muskelatrophie. Die Neurochirurgen transferieren Nerven vom N. medianus zum N. radialis und Sehnen vom M. pronator teres auf die Streckseite und können damit die Fallhand unmittelbar beheben. Nach acht Monaten zeigen sich erste Zeichen einer Reinnervation, die sich den Erwartungen nach fortsetzen dürfte.
St. n. Sarkom
Im Zuge der R0-Resektion eines extraossären Sarkoms unter dem Leistenband werden bei einem 10-Jährigen der N. femoralis und der N. saphenus mittels der Suralnerven rekonstruiert. Fünf Jahre nach dem Eingriff ist die Sensibilität im Gebiet des N. saphenus komplett vorhanden und der Quadrizeps weist einen fast normalen Kraftgrad auf.
Verletzung des N. ulnaris
Ein 8-Jähriger war durch eine Glasscheibe gestürzt, dabei wurden sowohl N. ulnaris als auch N. cutaneus antebrachii medialis (CABM) 40 cm proximal des Handgelenkes durchtrennt. Zwar erfolgte primär eine Nervennaht, doch zwei Monate später kommt der Junge mit einem Komplettausfall des Ulnaris und Denervations-Schmerzen zu Dr. Hagemann und seinen Kollegen.
Die Untersuchung ergibt ein Konglomeratneurom, die Nerven waren über Kreuz vernäht worden. Die Chirurgen exstirpieren das Neurom, nähen den CABM als Interponat in den Ulnaris und anastomosieren seinen distalen Teil an den sensiblen N. medianus. Zehn Monate später hat der Junge seine volle Ulnarisfunktion zurück und eine Schutzsensibilität im CABM-Gebiet.
Erb-Lähmung
Nach geburtstraumatischer oberer Plexusparese lässt sich bei einem Säugling keine Reinnervation der Wurzeln C5 und C6 feststellen. Die Exploration ergibt einen traumatischen Abriss von C6 und eine weitgehende Durchtrennung von C5. Interponate aus dem Plexus cervicalis in C5 sowie zwei weitere Transfers aus Fasern des N. ulnaris zum N. musculocutaneus sowie vom N. accessorius zum N. suprascapularis sorgen für eine fast seitengleiche Schulterfunktion nach einem Jahr.
Angeborene Kontraktur (Arthrogrypose)
Das neugeborene Mädchen zeigt auf beiden Seiten keine aktive Beugung der Ellenbogen. Im Alter von drei Monaten erhält es einen Transfer vom N. medianus zum N. musculocutaneus. Ein Jahr später kann das Kind die Ellenbogen aktiv beugen und dadurch auch eigenständig essen.
Quelle Text und Abb.: Hagemann C. Hamburger Ärzteblatt 2020; 74: 24–25 © Hamburger Ärzteverlag, Hamburg