Fallstricke rund um Leber und Pankreas erkennen
Pankreatitis, Ikterus und alkoholische Leberkrankheit gehören in der gastroenterologischen Praxis zum täglich Brot. Und doch bleiben Fehler in Diagnostik und Therapie nicht aus. Drei Kollegen erklären, war es zu beachten gilt.
Der erste Fehler in der Behandlung von Patienten mit Pankreatitis ist, sie nicht adäquat zu hydrieren, erklärte Professor Dr. Julia Mayerle von der Medizinischen Klinik II am Klinikum der Universität München. In einer Studie wurde bei milder Pankreatitis die forcierte Hydratation mit 20 ml/kgKG als Bolus, gefolgt von 3 ml/kgKG/h, mit dem Standardprozedere (10 ml/kgKG initial, danach 1,5 mg/kgKG/h) verglichen. Durch das aggressive Vorgehen liess sich die Erholung der Patienten messbar beschleunigen. Man sollte aber immer klinisch evaluieren, ob man den Patienten überlädt, das heisst, auf Warnsignale wie Dyspnoe und Ödeme achten.
Als zweiten Fehler, den es zu vermeiden gilt, nannte Prof. Mayer den regelhaften Gebrauch von Salzlösungen für den Volumenersatz. Denn tatsächlich zeigte sich in Studien, dass eine Ringer-Laktat-Lösung günstiger wirkt.
Dritter Lapsus: direkt bei der stationären Aufnahme eine Querschnittsbildgebung bei Patienten mit milder Pankreatitis durchzuführen, da daraus keine therapeutischen Konsequenzen resultieren. Dennoch erhält jeder Zehnte nach der Bildgebung ein Antibiotikum – obwohl die Gabe nicht klar indiziert ist. Prof. Mayerle sprach sich nur dann für bildgebende Verfahren aus, wenn die Diagnose unklar ist, eine moderate bis schwere Pankreatitis vorliegt oder sich der klinische Zustand verschlechtert. Was das richtige Timing betrifft, sollten die Aufnahmen nicht vor Ablauf von 96 Stunden erfolgen. «Je später, desto besser», so der Rat der Referentin.
Als nächsten Fehler nannte die Referentin den unangemessenen Einsatz von Breitbandantibiotika. «Zu 90 % sind sie überflüssig», kritisierte die Internistin. Einen wahrscheinlichen Benefit gibt es nur bei der schweren akuten und bei der nekrotisierenden Pankreatitis. Dann sollten Antibiotika prophylaktisch innerhalb von 72 Stunden nach Symptombeginn gegeben werden.
Bei jedem Dritten reicht eine perkutane Drainage
Vielfach propagiert, aber ebenfalls falsch, ist die routinemässige endoskopische retrograde Cholangiopankreatikografie bei biliärer Pankreatitis. Gemäss Leitlinien brauchen Patienten mit absehbar mildem Verlauf diese Untersuchung im Frühstadium nicht. Auch bei vermuteter schwerer Inflammation liessen sich bislang keine Vorteile durch die ERCP nachweisen. Anders sieht das aus, wenn gleichzeitig eine Cholangitis vorliegt. Sie stellt eine klare Indikation dar, eine koexistente biliäre Obstruktion eine mögliche.
Die Cholezystektomie nach biliärer Pankreatitis für sechs Monate aufzuschieben, nannte Prof. Mayerle als sechsten Fehler. Die Operation sollte ohne jeden Zweifel noch während des ersten Spitalaufenthaltes durchgeführt werden.
Die frühe Chirurgie als Standardtherapie gehört dagegen auf die Negativliste. Denn bei etwa jedem dritten Patienten reicht bereits eine perkutane Drainage.
Und dieser Punkt führt gleich zur nächsten und letzten Mär, dass eine minimalinvasive OP der Endoskopie überlegen sei. Hinsichtlich schwerer Komplikationen und Tod unterscheiden sich die Interventionen nicht, erklärte Prof. Mayerle. Nach endoskopischer Versorgung gibt es aber sehr viel seltener Fistelungen, ausserdem verkürzt sich der Spitalaufenthalt und die Kosten liegen niedriger.
Mit dem akuten Ikterus befasste sich Professor Dr. George Papatheodoridis, Medical School of National and Kapodistrian University of Athens. Er führte zunächst ein paar einfache diagnostische Fehler auf:
- keine Unterscheidung zwischen Ikterus und Pseudoikterus,
- Übersehen des Ikterus bei der Untersuchung,
- keine gründliche Anamnese und
- unzureichende Labordiagnostik.
Das Labor muss neben direktem/Gesamt-Bilirubin und allen Leberwerten das Gesamteiweiss, ein grosses Blutbild, alkalische Phosphatase sowie Prothrombinzeit (INR) umfassen.
Häufig wird die Ursache des Ikterus zu spät erkannt, erklärte der Referent – vor allem, wenn es sich um eine weniger gängige handelt. Als Beispiel dafür nannte er isolierte Störungen des Bilirubinmetabolismus, wie sie u.a. beim Gilbert-, Crigler-Najar-, Rotor- oder Dubin-Johnson-Syndrom vorliegen.
Steroide können trotz Infektion indiziert sein
Zu den Tücken bei alkoholbedingter Lebererkrankung präsentierte Professor Dr. Helena Cortez-Pinto, Universitätsklinik für Gastroenterologie Lissabon, einen Fall. Ein 52-Jähriger gab einen seit 20 Jahren bestehenden Alkoholkonsum von 120 g pro Tag an. Er kam mit einem Ikterus in die Klinik, Bilirubin und Transaminasen waren erhöht, die Prothrombinzeit verlängert. Klinisch wies der Mann Stigmata eines chronischen Leberschadens auf. Die weiterführende Diagnostik ergab eine pulmonale Infektion und einen positiven Pneumokokken-Antigen-Urintest. Der Patient bekam Antibiotika, aber keine Steroide.
Nach einer Woche war das Bilirubin weiter gestiegen, die Prothrombinzeit noch länger und es gab Anzeichen einer Enzephalopathie. Der Röntgenthorax war unauffällig, aber es lag noch immer eine Leukozytose vor. «Höchste Zeit, endlich Steroide einzusetzen», sagte Prof. Cortez-Pinto. Diese sind bei schwerer alkoholischer Hepatitis mit begleitender Infektion direkt nach Einleiten der antibakteriellen Therapie indiziert. Viele glauben irrtümlicherweise, dass die Infektion eine Kontraindikation darstelle.
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