Offen über Sex sprechen
Es gibt sicher Leichteres, als über Themen wie sexuell übertragbare Krankheiten zu reden. Zur Prävention und für eine sichere Diagnostik ist das jedoch unerlässlich. Wieso also nicht einfach mal direkt ansprechen? Viele Patienten werden es Ihnen danken.
Sprechen Sie mit jedem, der in Ihre Praxis kommt, offen über Sex? Es ist fast egal, wer da gerade vor Ihnen sitzt, Barrieren wird es in der Regel immer geben. Gerade, wenn es um Themen wie sexuell übertragbare Krankheiten geht. Doch liegen diese beim Patienten oder vielleicht eher bei Ihnen? Glaubt man den Ergebnissen einer Umfrage unter rund 1500 Erwachsenen, scheint Ersteres nicht der Fall zu sein.
Ärzten mangelt es an Wissen und Erfahrung
Demnach finden es 95 Prozent der Befragten völlig normal, mit ihrem Hausarzt über Sexualität und Prävention zu sprechen. 91 Prozent wollen sogar explizit von ihm dazu befragt werden. Nur 15 Prozent wären solche Gespräche eher peinlich. Was also steht einer offenen Kommunikation entgegen – vor allem vor dem Hintergrund, dass die Prävalenzen von Chlamydien-Infektionen, Syphilis und Gonorrhö seit Jahren wieder steigen?
Viele Kollegen scheinen mit dem Thema sexuell übertragbare Infektionen überfordert, meinte Dr. Armin Wunder, Institut für Allgemeinmedizin der Universitätsklinik Frankfurt am Main und niedergelassener Hausarzt, vorsichtig. Es fehle an substanziellem Wissen, aber auch schlicht an Erfahrung in der Gesprächsführung selbst. Wie fragt man zum Beispiel die gut betuchte Dame, ob sie sexuell aktiv ist und wie sie verhütet? Dazu gab er einige Ratschläge, die in solchen Situationen weiterhelfen können.
Zunächst sei wichtig, sich darüber klar zu werden, welche normativen Vorstellungen man selbst verfolgt. Lehne ich homosexuellen Verkehr grundsätzlich ab? Wie stehe ich zu Polygamie oder ausgefallenen Sexualpraktiken? Hinzu kommen Annahmen über Sexualität im Allgemeinen («Luxusthema», «Privatsache») oder bestimmte Patientengruppen, die man vielleicht hat. Sex im Alter zum Beispiel. Dabei stellt sich die Frage: Ist man bereit, hinter seine Grundsätze zurückzutreten, um Patienten unvoreingenommen zu beraten?
Schon auf einem Anamnesebogen können beispielsweise Fragen zu sexueller Orientierung oder regelmässigem Geschlechtsverkehr stehen. Zudem sei es hilfreich, weniger Fachjargon zu benutzen und sich stattdessen der Sprache des Gegenübers anzupassen. «Geben Sie ihm das Gefühl, auf Augenhöhe zu kommunizieren», sagte Dr. Wunder.
Auf Andeutungen des Patienten eingehen
Natürlich spielen auch äussere Faktoren eine grosse Rolle, führte der Experte aus. Zum Beispiel kommt es auf den Zeitpunkt an, wann man sensible Themen anspricht. So ist es vielleicht keine gute Idee, einen Patienten nach potenziellen Risikokontakten zu fragen, während er sich gerade anzieht. Schaffen Sie angenehme Umgebungsbedingungen.
Planen Sie ausreichend Zeit ein und sorgen Sie darfür, dass niemand ungebeten ins Zimmer kommt. Cave: Auch Sie müssen sich bereit für das Gespräch fühlen. Sie werden vermutlich wenig erreichen, wenn Sie gedanklich bereits beim nächsten Patienten oder in der Mittagspause stecken.
Als Einstiegshilfe bietet es sich an, auf Andeutungen oder Meinungsäusserungen der Patienten einzugehen, etwa «Sex ist nicht mehr so das Thema für mich» oder «Ich verstehe gar nicht, dass so viele Leute keine Kondome mehr benutzen». Auch gern genutzt – die Inspektor-Columbo-Technik: «Eine Frage hätte ich da noch ...»
Nur ein Angebot – niemand wird gezwungen
Im Gespräch helfen dann meist offene Fragen, wodurch das Gegenüber ausführlicher antworten muss («Wie gut fühlen Sie sich über sexuell übertragbare Krankheiten informiert?»). Zudem sollte man darauf achten, möglichst wertungsfrei zu formulieren («Leben Sie in Partnerschaft, mit einer Frau oder einem Mann?», «Hatten Sie in letzter Zeit Sex mit Frauen, Männern oder beiden?»).
Am Ende merkte Dr. Wunder noch an, dass Patienten zwar oft einem Gespräch über Sexualität und den damit einhergehenden Risiken aufgeschlossen gegenüberstehen. Tatsächlich möchte aber eben doch nicht jeder mit seinem Hausarzt darüber reden. Zwingen Sie sie also nicht, sondern formulieren Sie es als Angebot und geben Sie gegebenenfalls Tipps, wo man sich alternativ informieren kann. Kurze Aufklärungsgespräche bewirken meist auch schon einiges, sagt der Experte. Ziel sei es, Betroffene zu unterstützen, ein möglicherweise problematisches Sexualverhalten zu hinterfragen und gemeinsam zu planen, wie sie es ändern können.
Quelle: 43. practica