Periphere und zentrale Ursachen des Schwindels klinisch unterscheiden
Was Ihnen in dieser Situation bei der Entscheidungsfindung hilft, erläuterte ein Neurologe an einer Fortbildungsveranstaltung von Medical Tribune.
Schwindel ist ein häufiges Leitsymptom von Patienten in der hausärztlichen Praxis mit einer Lebenszeitprävalenz von 30 %. Ätiologisch kommen vestibuläre und nichtvestibuläre Ursachen infrage. Handelt es sich um einen vestibulären Schwindel, kann dieser weiter nach zentraler oder peripherer Genese differenziert werden. Diese Unterscheidung kann sehr wichtig sein. «Im klinischen Alltag geht es darum, den Schlaganfall als gefürchtetste Form des zentralen Schwindels zu erkennen und den Patienten sofort ins Spital einzuweisen», erklärte PD Dr. Andreas Zwergal von der Neurologischen Klinik und vom Deutschen Schwindelzentrum der Universität München. «Ein peripherer Schwindel hingegen ist kein lebensbedrohlicher Notfall und kann bei guter Konstitution des Patienten auch ambulant behandelt werden.»
Sensitiver als eine MRT mit Diffusionsgewichtung
Wie erkennt man nun jene Patienten, deren akuter vestibulärer Schwindel durch einen Schlaganfall verursacht ist? Der Referent stellte die klinische Untersuchungsmethode HINTS vor, die in dieser Situation für die Stroke-Diagnose eine Sensitivität von 100 % und eine Spezifität von 96 % besitzt.1 «Das ist sensitiver als eine frühe diffusionsgewichtete MRT», stellte PD Dr. Zwergal klar. HINTS besteht aus drei klinischen Tests. Folgende Befunde sprechen für eine zentrale Ursache und damit für einen Schlaganfall:
- normaler Kopfimpuls-Test (Head Impulse Test)
- Dissoziation von Spontannystagmus und Blickrichtungsnystagmus
- vertikale Divergenz (Test of Skew).
In welche Richtung schlägt der Nystagmus?
Beim Kopfimpuls-Test sitzt der Arzt dem Patienten gegenüber und fixiert dessen Kopf seitlich mit beiden Händen. Nun soll der Patient die Nasenspitze des Arztes fixieren, während sein Kopf vom Arzt ruckartig und unvorhersehbar nach links oder rechts gedreht wird. Funktioniert der vestibulo-okuläre Reflex, gleicht der Patient diese Drehung mit einer Augenbewegung automatisch aus. Ist der vestibulo-okuläre Reflex gestört – was ein Hinweis auf eine periphere Ursache des Schwindels ist –, geschieht diese Einstellung nicht kontinuierlich und der Patient muss nach der Drehung seinen Blick mit einer Einstell-Sakkade korrigieren. In diesem Fall ist der Kopfimpuls-Test pathologisch und spricht gegen eine zentrale Genese des Schwindels.
Ein Blickrichtungsnystagmus bedeutet, dass sich die Schlagrichtung des Nystagmus abhängig von der Blickrichtung des Patienten ändert. Schaut er beispielsweise nach rechts, schlägt der Nystagmus nach rechts – blickt er dagegen nach links, schlägt der Nystagmus nach links. Im Gegensatz dazu ändert der Nystagmus bei peripherer Ursache des Schwindels seine Schlagrichtung nie. Er schlägt z. B. immer nach links, egal ob der Patient nach rechts, links oder nach oben schaut. Ein Blickrichtungsnystagmus ist somit ein Hinweis auf eine zentrale Ursache.
Vertikale Divergenz mit Abdecken testen
Eine vertikale Divergenz liegt vor, wenn die beiden Augen des Patienten nicht auf gleicher Höhe stehen. Das kann getestet werden, indem der Patient ein Objekt fixiert und dabei abwechslungsweise eines seiner Augen abgedeckt wird. Kommt es nach Aufdecken jeweils zu einer vertikalen Korrekturbewegung des Auges, liegt eine vertikale Divergenz vor. Zudem treten eine Auslenkung der subjektiven Vertikalen des Patienten und eine Kopfneigung auf.
Liefert bei der Durchführung von HINTS mindestens einer der drei Tests einen Hinweis auf eine zentrale Genese des akuten Schwindels, muss von einem Schlaganfall ausgegangen werden und der Patient sollte für weitere Abklärungen schnellstmöglich in ein Stroke-Zentrum eingewiesen werden, erklärte PD Dr. Zwergal. Sprechen hingegen sämtliche drei Untersuchungen für eine periphere Ursache, ist keine notfallmässige Abklärung indiziert. Bei Patienten mit einem peripheren vestibulären Syndrom im Sinne einer Neuritis vestibularis ist allerdings eine frühzeitige Therapie mit Kortikosteroiden entsprechend den Leitlinien indiziert, weil eine Wirkung wohl nur innerhalb von fünf Tagen nach Symptombeginn zu erwarten ist.
1. Kattah JC et al. Stroke. 2009; 40(11): 3504–3510.
Fortbildung «Kopfschmerzen und Schwindel», Mai 2018, Basel.