Medical Tribune
17. Mai 2017

Abzocke bei Makuladegeneration

Die drei Seniorinnen waren über die Website ClinicalTrials.gov auf eine private Klinik in Florida aufmerksam geworden, die mit einer Studie zur Stammzellinjektion bei Makuladegeneration gelistet war. Die Frauen wollten sich der Behandlung unterziehen und zahlten der Klinik jeweils 5000 US-Dollar. Eine der Damen dachte, dass sie an der Studie partizipieren würde.
Doch hiervon stand nichts in der Einverständniserklärung, die alle unterschrieben hatten. Laut dieser wurden sie auch auf das Risiko einer Erblindung hingewiesen. Das berichten die Augen­ärzte um Professor Dr. Ajay E. Kuriyan­ vom Flaum Eye Institute am University of Rochester Medical Center in Rochester, die die Patientinnen nach der missglückten Therapie behandelten.1
Die Ärzte in der privaten Klinik entnahmen den Frauen Stammzellen aus dem periumbilikalen Fettgewebe. Dieser Zelltyp ist laut Autoren leicht zu isolieren – was vermutlich einer der Gründe sei, warum die Klinikärzte darauf zurückgriffen. Danach wurden die Stammzellen mit Thrombozyten-Plasma der jeweiligen Patientin gemischt. Die Mixtur injizierte man ihnen danach in die Glaskörper beider Augen.
Vor dem Eingriff hatte das Sehvermögen der Frauen nach Snellen-Index noch zwischen 20/30 und 20/200 gelegen. Ein Jahr später betrug der Wert 20/200 bis «keine Wahrnehmung». Der dramatische Verlust war teilweise mit okulärer Hypertension, proliferativer Vitreo­retinopathie, Glaskörperblutung und rhegmatogener Netzhautablösung einhergegangen.

Ohne vorherige Studie direkt am Menschen ausprobiert

Das Vorgehen der Klinik sei «untypisch und unsicher», urteilen die Autoren. Denn die Behandlungsweise wurde bisher in keiner Studie überprüft und für sicher befunden. Prof. Kuriyan­ und Kollegen weisen zudem darauf hin, dass bisher sogar unklar sei, ob sich Stammzellen aus dem Fettgewebe überhaupt zu Pigmentzellen oder Photorezeptoren entwickeln könnten. Ausserdem sei es fahrlässig, beide Augen gleichzeitig zu behandeln. Im Rahmen seriö­ser Studien würden Patienten auch nicht zur Kasse gebeten, betonen die Ophthalmologen.

Abseits des medizinischen Leitgedankens

Ebenfalls vernichtend ist das Urteil vom Stammzellenexperten Professor Dr. George Q. Daley von der Pediatric Hematology-Oncology Division am Boston Children’s Hospital in Boston. In einem begleitenden Editorial2 schreibt er, dass eine grobe Verletzung der «professionellen, vielleicht sogar der legalen Standards» stattgefunden hat. Er konstatiert, dass die Stammzellkliniken in den USA zu lax überwacht werden. Denn etliche der angebotenen und beworbenen Therapien seien wenig erprobt und damit unsicher.

1. Kuriyan AE et al. N Engl J Med 2017; 376: 1047–1053.
2. Daley GQ; a. a. O., 1075–1077.