Medical Tribune
16. Juni 2015

Aortendissektion wird zu selten erkannt

Die akute Aortendissektion betrifft Männer wesentlich häufiger als Frauen, aber Letztere haben die schlechtere Prognose. Aufgrund atypischer Symptome wird die Diagnose bei ihnen oft verspätet gestellt. Als wichtigster Risikofaktor hat sich eine langjährige, schlecht eingestellte Hypertonie erwiesen (bis 75 %), auch hereditäre Erkrankungen (jüngere Patienten), Rauchen und Unfälle spielen eine wichtige Rolle (s. Kasten), schreiben Dr. Christoph A. Nienaber vom Herzzentrum der Universität Rostock und seine britische Kollegin.

Erstes Zeichen der Dissektion ist meist ein plötzlich einsetzender, heftiger Thorax- oder Rückenschmerz (“so schlimm wie nie”), der bis in die Lumbalregion wandern kann. Nicht selten bestehen aufgrund okkludierter Seitenäste bereits initial neurologische Ausfälle. Neu aufgetretene Aorteninsuffizienz, Perikarderguss und Myokardischämie sprechen für eine proximale Lokalisation des Geschehens (s. Kasten).

Differentialdiagnose Thoraxsschmerz

Unter den drei führenden Ursachen akuter Thoraxschmerzen hat die Aortendissektion die niedrigste Inzidenz:

Akutes Koronarsyndrom: 440 Fälle pro 100 000 Einwohner
Lungenembolie: 69 pro 100 000 Einwohner
Akute Aortendissektion: rund 4 Fälle pro 100 000 Einwohner

Aortendissektion bei Frauen oft unerkannt

Angesichts der hohen Mortalität in den ersten 48 Stunden ist eine frühe Diagnose lebensrettend. Doch genau damit hapert es noch: Nur bei 39 % der Patienten wird die Dissektion in den ersten 24 Stunden nach Symptombeginn erkannt. Einer der Gründe für dieses diagnostische Defizit ist das seltene Auftreten der Aortendissektion im Vergleich zu akutem Koronarsyndrom und Lungenembolie (s. Kasten). Besonders häufig übersehen wird die Dissektion bei Patienten mit kardialen Voroperationen (HR 2,81), normalem Blutdruck (HR 2,45) und weiblichem Geschlecht (HR 1,73).

Diagnostisch versucht man bei Patienten mit akutem Thoraxschmerz zunächst eine grobe Einteilung anhand von EKG und Biomarkern. So machen niedrige Werte im D-Dimer-Test eine Aortendissektion oder Lungenembolie unwahrscheinlich. Bleibt der Verdacht auf eine ernste Ursache bestehen, folgt umgehend die CT-Diagnostik, mit der sich die drei häufigsten “Brustschmerzkiller” ACS, Embolie und Dissektion ausschliessen lassen.

Diagnostik: D-Dimer und CT-Angiographie

Bei dringendem Verdacht auf einen Aorteneinriss, aber negativem CT, sollte zusätzlich eine sonographische Abklärung erfolgen, so die Kollegen. Therapeutisch steht bei der akuten Dissektion die Blutdruckkontrolle an erster Stelle, um eine ausreichende Organperfusion zu erhalten bzw. eine Progression zu verhindern (Ziel: 100–120 mmHg systolisch). Gegebenenfalls erfolgt zur Unterstützung eine Opiatanalgesie, die auch den Sympathikus dämpft.

Das weitere Management richtet sich nach der Position des Einrisses, etwaigem Fortschreiten des Gefässschadens bzw. Komplikationen. Patienten mit Befall der Aorta ascendens (Typ A,) müssen möglichst rasch operiert werden: Unbehandelt verstirbt fast ein Drittel der Betroffenen innerhalb von 48 Stunden an typischen Folgen, z.B. Klappeninsuffizienz, Perikardtamponade oder Schlaganfall. Eine frühe chirurgische Versorgung zielt darauf, den Einriss in der Aortenwand umgehend zu verschliessen und das “echte” Lumen mithilfe einer Gefässprothese wiederherzustellen (ggf. mit Reimplantation der Koronarien und valvulärer Reparatur).

Einteilung nach Stanford

Typ A: Alle Dissektionen, die die Aorta ascendens (mit)erfassen, unabhängig von der Lokalisation (betroffene Schicht) des Gefässwandeinrisses

Typ B: Alle Dissektionen, die nicht die A. ascendens betreffen, d.h., auch ein Befall des Aortenbogens (ohne Einbeziehung der A. ascendens) wird als Typ B bezeichnet

Blutdruckkontrolle und Operation

In spezialisierten Zentren lassen sich mit dieser Strategie 30-Tages-Überlebensraten von 65 bis 90 % erzielen. Für ausgewählte Typ-A-Patienten kommt statt der offenen Korrektur auch eine endovaskuläre Versorgung infrage, sie gilt bei dieser Lokalisation aber noch nicht als Standard. Ganz anders bei den sogenannten dis­talen Dissektionen (Typ B), die aber bis in den Aortenbogen reichen können. Patienten mit blandem Einriss werden bisher primär konservativ, das heisst mit einer optimalen medikamentösen Therapie behandelt.

Bei (drohenden) Komplikationen, zu denen bereits anhaltende Schmerzen oder ein therapieresistenter Hochdruck zählen, steht eine Intervention an. Diese erfolgt wegen der besseren Ergebnisse im Vergleich zur offenen Operation vorzugsweise mittels endovaskulärer Reparatur (Nachbildung des Lumens z.B. mit Gefässprothesen, Stenting). Die 30-Tages-Mortalität “geschienter” Patienten mit Endorgan­ischämie und Ruptur liegt mit 11 % etwa so niedrig wie bei medikamentös behandelten Leidensgenossen ohne Komplikationen.

Konservative Behandlung bei Typ-B-Dissektion

Bezüglich der interventionellen Risiken muss man mit Schlaganfällen und retrograder Dissektion rechnen – entsprechende Komplikationsraten betrugen einer Studie zufolge 3 bzw. 2 % in 20 Monaten. Möglicherweise profitieren auch Typ-B-Patienten mit unkomplizierter Dissektion langfristig von einer elektiven endovaskulären Reparatur: In einer 5-Jahres-Studie kam es mit TEVAR (thoracic endovascular aortic repair) seltener zu Progression, Ruptur und Gefässtod. Die Gefässspezialisten bieten die Intervention Patienten, die klinisch dafür infrage kommen, schon heute als Langzeitprophylaxe an.

Als Prädiktoren für Spätkomplikationen gelten Hypertonie, höheres Alter, grosser Aortendurchmesser und ein persistierendes “falsches” Lumen. Entscheidend für die Prognose des Patienten ist neben einer aggressiven Blutdruckkontrolle die engmaschige Nachsorge, um bei Progression, Re-Dissektion, Aneurysmabildung oder Blutungen rechtzeitig intervenieren zu können.

Risikofaktoren
  • Langjährige Hypertonie
  • Rauchen bzw. Drogenabusus (Kokain, Crack, Amphetamin)
  • Dyslipidämie
  • Bindegewebserkrankungen (z.B. Marfan-Syndrom, bikuspide Aortenklappe, Koarktation)
  • Entzündliche Gefässerkrankungen (z.B. Riesenzellarteriitis, Lues, Tuberkulose)
  • Dezelerationstrauma (Verkehrsunfall, Sturz aus grosser Höhe)
  • Katheter, Klappenchirurgie, etc.

 

 

 

 

 

 

 

Quelle:
Christoph A. Nienaber et al., Lancet 2015; online first;
http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(14)61005-9