Stottertherapie: Wie wird das Sprechen flüssig?
Bis zum 5. Lebensjahr stottern etwa 5 % aller Kinder. Den Fehler zu identifizieren, ist gar nicht so leicht, denn in ihrer Sprache finden sich oft noch andere "Unflüssigkeiten".
Man sollte daher nach dem ersten Verdacht etwa ein Jahr abwarten, ob sich der Sprachfehler tatsächlich manifestiert, betont Professor Dr. Harald Euler, Evolutionspsychologe i.R. der Universität Kassel, im Gespräch mit Medical Tribune. Die Spontanremissionsrate liegt bis zum 8. Lebensjahr bei etwa 80 %, von einer bleibenden Störung sind Jungen etwa viermal häufiger betroffen.
Um spätere soziale Probleme zu verhindern, sollten anhaltende oder schwere Stotterer (ca. 1 %) eine gezielte Therapie erhalten. Aber: "Es reicht nicht aus, das Kind einfach zum Logopäden zu schicken", mahnt Prof. Euler. Denn es gibt nur wenige etablierte Verfahren, die einer speziellen Ausbildung bedürfen.
Grösste Erfolge erzielt man bis zum 6. Lebensjahr
Den grössten Erfolg verspricht die Lidcombe-Methode aus Australien, sie ist allerdings hierzulande noch nicht sehr weit verbreitet. Die grössten therapeutischen Effekte lassen sich mit dem Verfahren bis zum 6. Lebensjahr erzielen.
Die Lidcombe-Behandlung basiert auf der Tatsache, dass kein Betroffener immer stottert. "Mit seinem Hund z.B. redet er völlig normal", erklärt Prof. Euler. Das heisst, die Muster für flüssiges Sprechen sind vorhanden und werden durch positive Rückmeldung immer weiter trainiert.
Bei flüssigen Äusserungen gibt es eine Bekräftigung, gestotterte Wörter ignoriert man anfangs. Später werden die Kinder zur Korrektur aufgefordert. Dabei spielen die Eltern eine entscheidende Rolle: Unter Anleitung eines ausgebildeten Sprachtherapeuten lernen sie in der Behandlungsphase 1, diese Rückmeldungen an ihre Kinder vorzunehmen – bis das Stottern erheblich nachlässt oder sistiert. Die sich anschliessende Phase 2 von mindestens zwölf Monaten dient der Erhaltung.
Grösste Evidenz für verhaltenstherapeutischen Ansatz
Zur Stotterbehandlung von Erwachsenen eignet sich in erster Linie das "Fluency shaping", das auf verhaltenstherapeutischen Prinzipien gründet. Es beginnt mit einer ca. 10- bis 12-tägigen stationären Intensivtherapie, gefolgt von einer einjährigen Erhaltungsphase. Über Sprechübungen und Rollenspiele erlernen die Patienten eine durchgängige, weiche Sprechweise.
Für dieses Verfahren liegt die grösste Evidenz vor: Etwa 50 % der Betroffenen schaffen es, danach dauerhaft kontrolliert zu sprechen, ein Viertel profitiert zumindest deutlich. In Kassel werden auch 6- bis 12-Jährige behandelt, was die Mitarbeit der Eltern erfordert. "Da gibt es oft ein doppeltes Compliance-Problem", berichtet Prof. Euler.
In Deutschland sehr populär, aber mit wenig wissenschaftlichen Belegen gesegnet, ist die sogenannte Stottermodifikation, die in jedem Alter zum Einsatz kommen kann. Hier dürfen die Menschen stottern, sie lernen aber, es flüssiger zu tun. Dieses Training erfolgt meist in Gruppen (Wochenendintervalle).
Befragungen deuten darauf hin, dass die Erfolge und die Zufriedenheit in etwa denen des "Fluency shaping" entsprechen. Für welche Variante man sich entscheidet, bleibt letztlich eine Frage der Neigung, so der Experte.
Hypnose & Co sind unwirksam
Gemeinsam mit der Techniker Krankenkasse hat das Institut der "Kasseler Stottertherapie" eine Online-Therapie entwickelt, die auf dem "Fluency shaping" basiert. Über ein Jahr lang treffen sich Betroffene mit ihrem Therapeuten allein oder mit anderen in einer virtuellen Sprechstunde. Anfangs üben sie drei bis sechs Stunden täglich, später ein bis drei Stunden pro Woche.
In Australien liessen sich mit diesem Vorgehen bereits grosse Erfolge erzielen – Prof. Euler hofft, daran anknüpfen zu können. Von allen anderen Behandlungsversuchen wie unspezifische Logopädie, Atemtherapien oder Hypnose rät der Psychologe ab, sie haben sich alle als unwirksam erwiesen.
Quelle: Medical-Tribune-Bericht