Medical Tribune
26. Juli 2014Steroide lymphozytäre Zellen

COPD-Therapie: Steroide heiss umstritten

Weil Steroide lymphozytäre Zellen und Eosinophile beeinflussen, wirken sie bei Asthma besonders gut. Was richten sie aber aus gegen COPD, bei der es vor allem um Granulozyten und Alveolarmakrophagen geht? Nach neuen Studien beeinflusst Kortison u.a. auch Makrophagen, unterstrich Professor Dr. Tobias Welte von der Medizinischen Hochschule Hannover. Solche Befunde zeigten auf molekularer Ebene, warum inhalative Kortikosteroide (ICS) bei COPD wirken.

Exazerbationsrate sinkt mit Betamimetika-Steroid-Kombi

Der ersten Langzeitstudie mit Fluticason/Salmeterol über drei Jahre (TORCH1) zufolge bewirken sowohl der Bronchodilatator allein als auch das Steroid jeweils einen Rückgang der Exazerbationsrate, und durch die Kombination resultiert ein additiver Effekt.  

Auch epidemiologische Indizien führte der Referent an: Die allgemeine COPD-Exazerbationsrate – im Jahr 2000 noch zwischen 1,5 und 2 pro Jahr – sank seit Einführung der ersten Betamimetika-Steroid-Kombis. Sie liegt aktuellen Studien zufolge heute nur noch bei etwa 0,8, so Prof. Welte. "Dass diese Rate seit Einführung von LABA* und ICS so stark gesunken ist, spricht dafür, dass wir etwas richtig gemacht haben."

Wenn COPD und Asthma sich überlappen

Bei einer COPD-Prävalenz von 8–10 % und einer Asthma-Prävalenz von 6–8 %, gibt es logischerweise Patienten, die beides haben – und Asthma braucht Steroide, erklärte Prof. Welte. "Ein COPD-Patient mit grosser Atemwegsvariabilität und nächtlicher Symptomzunahme hat sehr wahrscheinlich eine Asthmakomponente und sollte Steroide erhalten."

Erwiesenermassen lasse sich mit ICS zusätzlich zur hochwirksamen dualen Bronchodilatation (LABA plus LAMA**) ein Effekt erzielen. Weitere Reduktionen der Exazerbationsraten auf etwa 0,5/Jahr hält der Experte für realisierbar.

Nur bei Exazerbierern mit Steroiden arbeiten

Man habe Steroide bislang zwar eventuell zu breit eingesetzt, aber an der Tatsache, dass ICS bei COPD zum therapeutischen Arsenal gehören, gibt es für Prof. Welte keinen Zweifel. Als wesentlichen Faktor nannte er die antiinflammatorische Wirkung bei Exazerbation – COPD-Patienten ohne Exazerbationen sollten keine ICS erhalten.

Bei sorgfältiger Indikationsstellung fallen auch die Risiken (Pneumonie) weniger ins Gewicht."Nimmt man nur die Patienten, die exazerbieren, erhält man eine ganz andere Nutzen-Risiko-Relation."

Von Studien der Zukunft erhofft sich der Pneumologe eine genauere Charakterisierung von COPD-Patienten, die von ICS profitieren, sowie mehr Erkenntnisse zum Zusatzeffekt von ICS zur Doppel-Bronchodilatation. Zudem wünscht sich der Kollege präzise Dosis-Wirkungs-Kurven, "denn wir sind sicher bei COPD zu hoch eingestiegen und müssen die Steroiddosen reduzieren".

Zu viel, zu hoch dosiert – selbst bei Low-Risk-Patienten

Die COPD lässt sich wunderbar behandeln ohne antientzündliches Konzept, hielt Privatdozent Dr. Kai Michael Beeh vom Institut für Atemwegsforschung in Wiesbaden dagegen. Es gebe keine prädiktiven Daten, die zeigen, dass "mehr Entzündung" auch "mehr Exazerbationen" bedeutet.

Die experimentellen Befunde zum Effekt von ICS bei COPD seien verwirrend, es gebe sogar Studien, die unter Steroiden eine gesteigerte Aktivität von Makrophagen und Neutrophilen – also einen proinflammatorischen Effekt?– belegen.

Was klinische Aspekte wie Symptome, Exazerbationen und Mortalität angeht, hat der Kollege ebenfalls grosse Zweifel. "In der Praxis handelt es sich bei der Hälfte der Patienten, die ICS erhalten, um Niedrigrisikopatienten hinsichtlich Exazerbationen, da halte ich ICS/LABA für keine gute Kombination." Und bei schwerer COPD bessert laut ILLUMINATE2 die duale Bronchodilatation Kernsymptome wie Dyspnoe wesentlich stärker als ICS/LABA.

Auch die positiven Effekte von ICS-LABA vs. LABA allein ziehen sich nicht konsistent durch alle Studien. Dagegen erreiche man laut INSPIRE3 mit dem heutigen Goldstandard LAMA eine gleich gute Exazerbations-Prävention wie mit ICS/LABA – ohne antiinflammatorische Komponente.

Und bezüglich der Tripletherapie steht man laut Dr. Beeh im evidenzfreien Raum. Für ihn gibt es keinen Grund, die Nebenwirkung Pneumonie zu riskieren, wenn nur ein unsicherer Effekt auf Exazerbationsraten und kein Effekt auf die Mortalität resultiert.

Das INSIPRE-Argument liess Prof. Welte allerdings nicht gelten: Hier wurde Tiotropium gegen das schwächere Salmeterol (plus ICS) getestet: "Wenn dieser LAMA genauso gut abschneidet wie ICS-LABA, muss man einen additiven Effekt der Steroide annehmen."

Klinische Erfahrung zählt!

"Wir sollten eine Therapie, die über zwei Jahrzehnte geholfen hat, nicht kurzerhand verteufeln", protestierte indessen ein Kollege aus dem Auditorium. Man dürfe das Daten-Jonglieren nicht über die klinische Erfahrung setzen: "Wegen ein paar unschlüssiger Studien oder wegen Studien, die wir leider noch nicht haben, darf man eine Therapie nicht abschaffen."

Damit erwiese man den praktisch tätigen Ärzten einen Bärendienst, denn sie geraten in Erklärungsnot, wenn sie COPD-Patienten ICS verschreiben. "Gerade Patienten mit asthmoider Komponente hilft diese Therapie aber sehr gut!"

Natürlich ist das Wohl des Patienten wichtiger als Gauss‘sche Verteilungskurven, gestand Dr. Beeh zu. "Wenn jemand mit LABA/LAMA noch exazerbiert, gebe ich auch ein Steroid drauf – Evidenz dafür gibt es aber nicht."

Nur bei akuter Exazerbation mit systemischen Steroiden behandeln

"Und systemische Steroide?", fragte ein Kollege aus dem Auditorium. Diese haben ihren Platz bei akuter Exazerbation, nicht in der Dauertherapie. Die Gabe von 20–40 mg Prednisolonäquivalent über fünf Tage ist etabliert, dann wird abgesetzt ohne Ausschleichen, so Prof. Welte.Hier spielt ein antiödematöser Effekt eine wichtige Rolle, fügte Dr. Beeh hinzu. Die Exazerbation ist häufig getriggert durch Virus-Infekte, die die Bronchialschleimhaut schwellen lassen. Dieser unspezifische antiödematöser Effekt hat aber mit der ICS-Wirkung in der Dauertherapie nichts zu tun, unterstrich der Kollege.

* long-acting beta-agonist
** long-acting muscarinic antagonist

Quelle: 1. Towards a Revolution in COPD Health 2. QVA149 Versus Fluticasone/Salmeterol in Patients With COPD 3. Investigating New Standards for Prophylaxis in Reduction of Exacerbations