Medical Tribune
8. Feb. 2014Die chronische Obstipation

Laxanzien: Abhängigkeit nicht zu befürchten

Mit einer Prävalenz von 5–15 % gehört die chronische Obstipation zu den häufigen Gesundheitsstörungen in Deutschland. Dennoch findet sie nur wenig Akzeptanz als relevantes Problem, bemängeln die Leitlinienautoren um Dr. Viola Andresen vom Israelitischen Krankenhaus in Hamburg.

Dabei ist der Leidensdruck der Patienten oft erheblich und die Beeinträchtigung der Lebensqualität lässt sich durchaus mit der bei anderen chronischen Erkrankungen wie Hypertonie, Diabetes oder Depression vergleichen. Die Häufigkeit nimmt mit dem Alter zu und Frauen sind etwa doppelt so oft betroffen wie Männer.

Chronische Obstipation bei dreimonatiger unzureichender Stuhlentleerung

Eine chronische Obstipation liegt vor, wenn Patienten seit mindestens drei Monaten über unzureichende Stuhlentleerungen berichten und wenigstens zwei der folgenden Symptome aufweisen:

  • starkes Pressen,
  • klumpiger oder harter Stuhl,
  • subjektiv unvollständige Entleerung,
  • subjektive Obstruktion oder
  • manuelle Manöver zur Erleichterung der Defäkation (bei ≥ 25 % der Entleerungen) oder
  • < 3 Stühle pro Woche.

Ein Zusammenhang mit faserarmer Kost, mangelnder Bewegung, Unterdrückung des Defäkationsreizes oder abrupter Änderung der Lebensumstände lässt sich durch Daten nicht belegen. Man muss eher davon ausgehen, dass eine Obstipationsneigung durch diese Faktoren evident wird.

Medikamente können Verstopfung hervorrufen

Zu den möglichen Auslösern der Obstipation zählen intestinale Passagehindernisse und anorektale Entleeerungsstörungen (z.B. durch Rekto-/Enterozele). Auch eine Beckenbodensenkung und eine paradoxe Anspannung des Schliessmuskels können die Entleerung behindern. Als weitere Ursachen kommen Medikamente und Erkrankungen (z.B. M. Parkinson, Hypothyreose, Neuropathie) infrage.

Basis der Diagnostik ist die genaue Anamnese mit Analyse des Stuhlverhaltens, der Medikamenteneinnahme sowie von Begleitsymptomen und Erkrankungen. Die körperliche Untersuchung umfasst die Inspektion des Anus ebenso wie eine rektal-digitale Austastung inklusive der Prüfung von Sphinkterruhetonus und Kneifdruck sowie einen Defäkationsversuch.


Gezielte Fragen zu Stuhlfrequenz, -konsistenz und Problemen bei der Entleerung können Hinweise liefern, ob eher eine Transitstörung (Slow Transit Constipation, STC) mit seltenem, hartem Stuhlgang oder eine Entleerungsstörung vorliegt.

Begleitende Schmerzen deuten auf ein Reizdarmsyndrom hin. Ausserdem sollte man den Patienten gezielt nach Warnsymptomen (s. Kasten) fragen, die weitere Untersuchungen erforderlich machen.

Bei unauffälliger Basisdiagnostik und fehlenden Alarmsymptomen kann zunächst eine probatorische Therapie durchgeführt werden.

Deren Erfolg sollte nach vier Wochen überprüft werden, fordern die Leitlinienautoren.

Paraffinöl und Glaubersalz sind heute obsolet

Alarmsymptome gezielt erfragen!

Bei folgenden Symptomen ist weitere Diagnostik erforderlich:

  • Blutung
  • Anämie
  • unerklärlicher Gewichtsverlust > 10 %
  • gastrointestinale Tumoren in der Eigen- oder Familien-Anamnese
  • Lymphknotenvergrösserungen
  • tastbare Resistenzen
  • Malnutrition
  • Blut im Stuhl
  • paradoxe Diarrhöen
  • Alter > 50 Jahre
  • progredienter Verlauf und kurze Anamnese mit starken Beschwerden

Die Behandlung basiert auf einem Stufenschema. Am Anfang stehen allgemeine Massnahmen wie ballaststoffreiche Ernährung (evtl. zusätzliche Einnahme von Flohsamenschalen oder Weizenkleie), Trinkmenge von 1,5–2 l täglich und körperliche Bewegung. Ausserdem sollte der Patient den Stuhldrang möglichst nicht unterdrücken.

Wenn diese Massnahmen nicht ausreichen, schliesst sich die konventionelle medikamentöse Therapie an. Als Arzneimittel der ersten Wahl nennen die Leitlinienautoren Macrogol, Natriumpicosulfat und Bisacodyl. Sie eignen sich auch für Schwangere.

Wichtiger Hinweis: Eine Gewöhnung stellt auch bei jahrelangem Gebrauch eine Rarität dar, es gibt also keinen Grund, die Einnahmedauer zu begrenzen. Als zweite Wahl gelten Anthrachinone und Zuckerstoffe wie Lactulose.

Von salinischen Laxanzien (z.B. Glaubersalz, Magnesiumhydroxid) raten die Experten wegen der Gefahr der Intoxikation bei Überdosierung und problematischer Anwendung bei Herz- und Niereninsuffizienz ab.

Auch Paraffinöl sollte wegen der Gefahr der Lipidpneumonie durch Mikroaspiration und gestörter Resorption fettlöslicher Vitamine nicht eingesetzt werden. Bei unzureichender Wirkung oder schlechter Verträglichkeit kann man auf eine andere Wirkstoffklasse wechseln, auch Kombinationen – z.B. Bisacodyl und Macrogol – sind möglich.

Neue Wirkstoffe bereichern die Therapie

Als rektale Entleerungshilfen empfiehlt die Leitlinie bisacodyl- oder CO2-freisetzende Zäpfchen. Phosphathaltige Klysmen zeigen zwar eine gute Wirksamkeit, für den Dauergebrauch eignen sie sich wegen drohender Elektrolytstörungen jedoch nicht, so die Experten. Führt auch dies nicht zum Ziel, steht mit Prucaloprid eine neue Option zur Verfügung. Der 5-HT4-Agonist mit prokinetischer Wirkung punktet v.a. bei transitabhängiger Obstipation. Am ersten Tag muss mit Kopfschmerzen, Übelkeit und Durchfall gerechnet werden, ab dem zweiten Tag liegen die Nebenwirkungen auf Placeboniveau. Die Substanz ist bisher nur für Frauen zugelassen, nach derzeitigem Kenntnisstand profitieren aber auch Männer. Bleibt die Obstipation auch unter Prucaloprid refraktär, kann ein Versuch mit Lubiproston lohnen, das allerdings aus den USA oder der Schweiz bezogen werden muss und Übelkeit verursachen kann.

  • Medikamente, die eine Obstipation auslösen können

    Verstopfend wirken unter anderem:
    • Opiate
    • Anticholinergika
    • trizyklische Antidepressiva
    • Neuroleptika
    • Monoaminooxidase-Hemmer
    • Antiepileptika
    • Antihistaminika
    • kalziumhaltige Antazida
    • Antihypertensiva
    • Spasmolytika
    • Sympathomimetika
    • Diuretika
    • Cholestyramin

Seit Ende 2012 ist in Europa der Guanylatzyklase-C-Agonist Linaclotid zur Behandlung des obstipationsdominanten Reizdarmsyndroms zugelassen. Laut Leitlinie kommt er auch bei hartnäckiger chronischer Verstopfung anderer Genese infrage.

Er induziert die Wasser- und Chloridsekretion ins intestinale Lumen, dadurch erhöht sich das Volumen und der Stuhl wird weicher. Als einziger Unterschied zu Placebo fand sich eine erhöhte Durchfallrate (mild bis moderat bei etwa 20 % der Behandelten).

Biofeedback bei Beckenbodensynergieen

Liegt eine Beckenbodendyssyn­ergie vor, raten die Autoren zum Biofeedbacktraining. Schwere therapierefraktäre Slow-Transit-Obstipationen reagieren oft auf die Sakralnervenstimulation.

Probiotika haben als ergänzende Massnahme teilweise gute Erfolge gezeigt, bei Slow-Transit helfen sie allerdings weniger. Als komplementärmedizinische Massnahmen kann man Kolonmassage oder Mittel aus der traditionellen asiatischen Medizin in Betracht ziehen, die Akupunktur dagegen "floppte". In Einzelfällen kommen chirurgische Verfahren (Ileostomie, Kolonresektion) infrage.

Quelle: Viola Andresen et al., Z Gastroenterol 2013; 51: 651-672