Rückenschmerz im Alter – drei typische Fälle
Während bei jungen Menschen chronische Rückenschmerzen in erster Linie Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit haben, steht bei Älteren die Selbstständigkeit auf dem Spiel. Die Beschwerden haben aber oft klar definierte Ursachen und es existieren wirksame therapeutische Ansätze. Ein Schweizer Kollege schildert drei typische Beispiele.
Lumbale Spinalkanalstenose: Schmerzen ziehen bis ins BeinFall 1: Eine 73-jährige Patientin leidet seit Jahren rezidivierend unter lumbalen Schmerzen. Neu ist ein belastungsabhängiger tief lumbal und rechts gluteal sitzender Schmerz, der ins rechte Bein ausstrahlt und die Gehstrecke auf knapp zehn Minuten limitiert, dazu kommt ein Schwächegefühl in beiden Beinen. Klinisch findet sich eine deutlich eingeschränkte und lokal schmerzhafte Extension der LWS, Inklination und Lateralflexion verursachen keine Beschwerden. Das Schwächegefühl und die Beinschmerzen lassen sich durch forcierte Extension nach circa 20 Sekunden provozieren. Neurologisch ist die Patientin bis auf beidseits fehlende Achillessehnenreflexe unauffällig. |
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Dieses Beschwerdebild sollte den Verdacht auf eine lumbale Spinalkanalstenose wecken, schreibt Dr. Patric Gross von der Klinik St. Katharinental in Diessenhofen. Im Röntgenbild der Frau sind multisegmentale degenerative Veränderungen mit Osteochondrosen, Spondylophyten und Spondylarthrosen sichtbar, das MRT bestätigt eine mehrsegmentale zentrale Einengung des Spinalkanals in den Segmenten L3/4 und lumbosakral.
Analgetika und Pysiotherapie lindern Rückenschmerzen
Die degenerativ bedingte Spinalkanalstenose ist eine häufige Ursache für Rückenschmerzen beim Älteren, erklärt Dr. Gross. Die Schmerzen lassen sich meist mit Analgetika, evtl. kurzfristig NSAR, lindern. Auch lokale Infiltrationen zeigen oft eine lang anhaltende Wirkung.
Von grosser Bedeutung ist die Physiotherapie (entlordosierende Massnahmen, lumbal stabilisierende Übungen). Mit all diesen Interventionen gelang es, die 73-Jährige praktisch beschwerdefrei zu bekommen, bei therapieresistentem Verlauf wäre auch eine Operation infrage gekommen.
Fall 2: Eine 82-jährige Patientin klagt über seit Jahren bestehende, langsam progrediente Kreuzschmerzen. Medikamente und Infiltrationen brachten nur vorübergehende Besserung. Inzwischen treten die Beschwerden schon beim morgendlichen Aufstehen und bei sämtlichen Bewegungen der Wirbelsäule auf.
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Die ältere Dame kann sich nur noch mit Gehstöcken fortbewegen und braucht zunehmende Hilfe im Alltag. Klinisch fällt eine ausgeprägte Fehlstatik mit rechtskonvexer Torsionsskoliose und Kyphosierung auf, radikuläre Zeichen sind nicht vorhanden. Das Röntgenbild zeigt eine deutliche degenerative Skoliose mit foraminaler Kompression der Wurzel L3 links. Solch eine adulte Skoliose kann primär oder z.B. nach Frakturen degenerativ entstehen, aber auch aus einer progressiv idiopathischen Form, die bereits in der Jugend beginnt, resultieren. |
Skoliose kann auch im Alter operiert werden
Zur Diagnostik gehört die Prüfung von Gangbild und Standsicherheit ebenso wie das Erfassen von Komorbidiäten wie Adipositas, Diabetes, kardiopulmonale Krankheiten, Osteoporose und lokale Faktoren (Cox-/Gonarthrose, Polyneuropathie). Neben Röntgenbildern der LWS sind WS-Ganzaufnahmen sowie Funktionsbilder (seitlich und frontal) sinnvoll.
Die konservative Behandlung umfasst Analgetika (NSAR), Muskelrelaxanzien, schmerzmodifizierende Antidepressiva, Antikonvulsiva, muskuläres Aufbautraining, gezielte Infiltrationen und Orthesen.
Bei therapieresistenten Schmerzen, progressiver Fehlhaltung, Gang- und Standunsicherheit oder neurogener Beinsymptomatik können auch ältere Patienten mit Komorbiditäten von einer Operation profitieren (in spezialisierten Zentren).
Fall 3: Ein 84-jähriger Mann kommt mit stärksten lumbalen Scherzen notfallmässig in die Klinik. Diese hatten einige Wochen zuvor begonnen, sich aber zunächst unter NSAR gebessert. Bis auf eine (nicht therapierte) chronisch lymphatische Leukämie ist der Mann gesund, Rückenschmerzen waren ihm bis dato fremd. Durch die Beschwerden leidet er auch an Appetitlosigkeit und hat in den letzten Wochen 6 kg verloren.
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Bei der Untersuchung zeigt sich die gesamte Wirbelsäule stark klopf- und druckdolent, die Beweglichkeit des Rückens ist erheblich eingeschränkt. Im Labor fallen massiv erhöhte Entzündungswerte auf (CRP 110 mg/l, Leukos 45 000/µl). Alles spricht für eine Spondylodiszitis, die sich im MRT (Segment L1/2) bestätigt. Neu auftretende Ruheschmerzen, Begleitsymptome wie Appetitmangel und Gewichtsverlust plus mögliche Immunschwäche durch die Leukämie – in diesem Fall verlangten gleich mehrere “red flags” die rasche Abklärung. Fieber fehlt bei der Spondylodiszitis in hohem Alter oft. |
Spondylzystitis kommt oft von den Herzklappen
Ausgelöst wird die Erkrankung meist durch hämatogene Streuung, seltener durch Wirbelsäulen-Op., Infiltrationen oder Weichteilinfekte in der Umgebung. Es gilt daher, nach Harnwegsinfekten, septischer Arthritis oder Bursitis und v.a. bei hochbetagten, polymorbiden Patienten nach einer Endokarditis zu fahnden.
Zur Labordiagnostik gehören Blutkulturen – auch bei afebrilen Patienten. Nach Diagnosesicherung mittels MRT sollte vor Therapiebeginn eine CT-gesteuerte Biopsie (mit Kultur) erfolgen. Die – initial intravenöse – Antibiotikagabe dauert 6–12 Wochen. Bleibt die klinische Besserung aus, besteht ein grosser Abszess oder eine epidurale Entzündung mit neurologischen Defiziten, muss eine chirurgische Sanierung diskutiert werden.
Auch bei dem 84-Jährigen stieg nach primärer Besserung unter der Antibiotikatherapie das CRP wieder an, die Schmerzen kehrten zurück. Das Verlaufs-MRT zeigte eine zunehmende Sinterung von LWK 2 mit Vorwölbung der Hinterkante in den Spinalkanal, sodass eine Op. erforderlich wurde.
Quelle: Patric Gross, Therapeutische Umschau 2013; 70: 523-528