Medical Tribune
29. Jan. 2014Angstsymptome bei Diabetespatienten

Wenn der Diabetes zu viel Angst auslöst

Angststörungen kommen in der Bevölkerung mit einer Lebenszeitprävalenz von 15 % vor. Unter Diabetespatienten weisen sogar etwa 20  % Angstsymptome auf. Eingeteilt werden diese psychischen Störungen nach der internationalen Klassifikation ICD (s. Kasten).

Einteilung der Angststörungen

    • Agoraphobie mit und ohne Panikstörung (F40.0)
    • soziale Phobie (F40.1)
    • spezifische Phobie (F40.2)
    • Panikstörung (F41.0)
    • generalisierte Angststörung (F41.1),
    • Angst und depressive Störung, gemischt (F41.2)
    • Anpassungsstörung, Angst und depressive Reaktion, gemischt (F43.22)
    • Quelle: Einteilung nach ICD-10 der WHO


Beim Diabetiker kann sich z.B. eine soziale Phobie in der Furcht äussern, beim Blutzuckermessen oder Insulinspritzen in der Öffentlichkeit unangenehm aufzufallen. Als spezifische Phobie stellt die Angst vor Spritzen bei insulinpflichtigen Patienten ein ernstes Problem dar.

Bei schlechtem HbA1c auch nach Hypo-Angst fragen!

Eine Hypoglykämie-Angst lässt manche deutlich überhöhte Glukosespiegel in Kauf nehmen, um ja nicht in die Unterzuckerung zu geraten.

Diese Störung wird entweder zu den generalisierten Angststörungen, den Panikstörungen oder den Phobien gezählt, heisst es in der aktualisierten Leitlinie "Psychosoziales und Diabetes". Hat jemand bereits schwere Hypoglykämien durchgemacht, erhöht dies das Risiko für die Störung.

Einige Betroffene entwickeln eine pathologische Angst vor Diabetesfolgen oder vor der Progredienz der Erkrankung. Dieses Symptom kann je nach Ausprägung Zeichen einer generalisierte Angststörung sein oder die Kriterien für gemischte Störungen aus Angst und Depression oder eine Anpassungsstörung mit Angst und Depression erfüllen.

Psychische Störung lässt Diabetiker Insulin-Therapie ablehnen

Wenn Diabetiker eine Insulintherapie ablehnen, steckt in den meisten Fällen keine echte psychische Störung dahinter. Während in internationalen Studien die Patienten vom Insulin eher negative Wirkungen erwarten, hat sich in Deutschland gezeigt, dass Zuckerkranke das Hormon als durchaus wirksames Medikament ansehen.

Allerdings gibt es Befürchtungen im Hinblick auf Hypoglykämien, Stigmatisierung und Überforderung. Injektionsängste im Sinne von echten Phobien kommen nur selten vor, so die Autoren. Um echte Angststörungen zu erkennen, raten sie zu einem gezielten Screening.

Gezielt nach Ängsten fragen!

So sollte man sich nach einer Hypoglykämieangst erkundigen und z.B. nachfragen, in welcher Höhe der persönliche "Wohlfühlglukosespiegel" des Patienten liegt. Zur Abklärung der sozialen Komponente eignet sich die Frage: "Kommt es vor, dass Sie aus Angst vor Unterzuckerung das Haus nicht verlassen oder bestimmte Situationen vermeiden?"

Auch nach Sorgen über den Verlauf des Diabetes gilt es zu forschen, um Progredienzängste zu erkennen. Eine somatische Differenzialdiagnostik kann körperliche Angstursachen, wie Hyperthyreose, KHK, Asthma oder Migräne, ausschliessen.

Ohne begründeten Verdacht aber wird nach ersten negativen Hinweisen keine weitergehende somatische Diagnostik initiiert. Damit würden nur hypochondrische Ängste geschürt, warnen die Autoren.

"Nur" Angst oder auch Depression und Sucht?

Für ein primäres Screening eignet sich auch der Gesundheitsfragebogen für Patienten (PHQ-D). Weist dieser auf eine Pathologie hin, wird mittels strukturierter Gesprächsführung der Verdacht bestätigt oder widerlegt.


Wichtig ist zu wissen, dass neben einer Angststörung häufig noch andere psychische Pathologien auftreten. Daher sollte immer ein Screening z.B. auf Depression und Substanzabusus erfolgen.

Zur Therapie der Angststörung bei Diabetikern liegen nur wenige Studien vor. In älteren Fallstudien hat sich bei der Insulinspritzenphobie die Psychotherapie als überwiegend positiv erwiesen.

Die Daten zur Verhaltenstherapie oder zum Blutzuckerwahrnehmungs-Training im Kampf gegen Hypoglykämieangst sind für eine Empfehlung unzureichend, heisst es in den Leitlinien.

Insgesamt gelten die allgemeinen Empfehlungen zur Behandlung von Angststörungen. Speziell für Patienten mit Diabetes haben die Leitlinienautoren vier Behandlungsstufen festgelegt (s. Kasten).

In vier Stufen gegen die Angststörung

  • Erste Stufe:
    Diagnose erklären, funktionale Zusammenhänge und die Wechselwirkungen mit dem Diabetes erläutern, Selbsthilfe-Ratgeber empfehlen, bei Phobie zur Exposition ermutigen
  • Zweite Stufe:
    ambulante Psychotherapie, am besten als Verhaltenstherapie, Entspannungsverfahren
  • Dritte Stufe:
    ergänzend Psychopharmaka (SSRI als erste Wahl)
  • Vierte Stufe:
    stationäre oder teilstationäre komplexe psychopharmakologische und psychotherapeutische Behandlung

Quelle: Bernhard Kulzer et al., Diabetologie 2013; online first