Medical Tribune
2. Nov. 2013Asymptomatische Bakteriurie

Selbst Eiter im Urin beweist keinen Infekt

Eine asymptomatische Bakteriurie (ASB) findet sich bei 15–20 % der über 80-Jährigen. Doch die Bakterien lösen nur selten eine symptomatische Zystitis oder Pyelonephritis aus, im Gegenteil: Sie scheinen sogar davor zu schützen, schreibt das Team um den Infektiologen Privatdozent Dr. Philip Tarr vom Kantonsspital Baselland in Bruderholz.

Für eine Antibiotikatherapie gibt es bei der asymptomatischen Bakteriurie daher in der Regel keinen Grund. Eine Ausnahme bilden bei Älteren bevorstehende urologische Eingriffe.

Dauerkatheter führen immer zur asymptomatischen Bakteriurie

Müssen Patienten einen Dauerkatheter erhalten, entwickelt sich ausnahmslos eine asymptomatische Bakteriurie. Das Risiko für die ASB beträgt 3–8 % pro Tag Liegedauer, egal ob es sich um einen urethralen oder suprapubischen Katheter handelt.

Selbst eine Pyurie mit trübem oder übelriechendem Urin stellt bei diesen Patienten kein sicheres Zeichen für einen Harnwegsinfekt (HWI) dar, betonen die Autoren.

In Alten- und Pflegeheimen gibt es nun zwei wesentliche – und vermeidbare – urologische Probleme. Zum einen werden Dauerkatheter, die mit Abstand den wichtigsten Risikofaktor für Harnwegsinfekte darstellen, zu häufig gelegt.

Inkontinenz ist kein Grund, einen Katheter zu legen

Zum anderen werden aber auch asymptomatische Bakterien regelmässig als "Harnwegsinfekt" missdeutet und fälschlicherweise behandelt.

Die Schweizer Kollegen raten daher, die Indikation für eine Harnableitung gründlich zu prüfen (s. Kasten). Zudem sollte man den Katheter so rasch wie möglich wieder entfernen. Etwa die Hälfte aller Auslassversuche verläuft erfolgreich.

Indikationen für einen Dauerkatheter:

  • Akuter Harnverhalt  
  • Restharn 200–300 ml verbunden mit entsprechenden Beschwerden  
  • Inkontinenz verbunden mit Mazerationen oder sakralem Dekubitus nach Ausschöpfen anderer Massnahmen (Kondomkatheter, nicht ausreichende oder akzeptierte Einlagen)  
  • Bilanzkontrolle auf Intensivstation  
  • Koma, Sedierung, schwere motorische/kommunikative Beeinträchtigung  
  • perioperativ (nach Eingriffen in Bauch, Becken, Oberschenkel, 48 Std.), postoperativ Indikation prüfen  
  • Patienten mit Epiduralanästhesie  
  • Komforttherapie bei terminalen Patienten

Harninkontinenz stellt per se keinen Grund dar, einem Patienten einen Blasenkatheter zu legen. Auch die Notwendigkeit einer Bilanzkontrolle bei Patienten, die gewogen werden, ist noch kein Grund für eine Harnableitung, betonen die Autoren. Auch bei – eventuell vorübergender – Immobilität sollten nach Möglichkeit Alternativen wie Bettpfanne, Urinflasche oder Kondomkatheter bevorzugt werden.

"Kein Katheter" bedeutet nicht nur ein "geringeres Infektrisiko". Der Verzicht auf die Harnableitung reduziert auch lokale Beschwerden und das Auftreten urethraler Verletzungen. Ausserdem besteht ein geringerer Sedationsbedarf und der Patient hat mehr Bewegungsfreiheit, so die Autoren.

Fieber und CRP-Erhöhung, das muss die Blase sein ...

Zum zweiten Problem "Antibiotika-Fehlgebrauch": Es sei eine weit verbreitete Unsitte, bei Dauerkatheterträgern mit Fieber, verschlechtertem Allgemeinzustand oder CRP-Erhöhung in Kombination automatisch von einem Harnwegsinfekt auszugehen und antibiotisch zu therapieren, kritisieren die Autoren.

Diese nutzlose Pharmakotherapie fördert die Entwickung von Resistenzen und birgt die Gefahr toxischer Nebenwirkungen. Ausserdem lassen sich Faktoren wie Urininkontinenz und Restharn, die einen Harnwegsinfekt begünstigen, durch die Gabe von Antibiotika nicht beeinflussen, erinnern die Infektiologen.

HWI: Erst Katheterwechsel, dann Bakterienkultur

Zwar kann sich eine Zystitis bei Katheterträgern mit Fieber, Schüttelfrost, reduziertem Allgemeinzustand oder neu auftretendem Delir äussern. Aber die Diagnose "Harnwegsinfekt" sollte erst nach sorgfältigem Ausschluss anderer möglicher Ursachen der Symptome gestellt werden.

Fieber hat – insbesondere bei den älteren Patientinnen – oft andere Auslöser und verschwindet innerhalb von 24 Stunden. Kommt es bei Bewohnern von Alten- oder Pflegeheimen jedoch tatsächlich zu einem Harnwegsinfekt, so ist wegen der zunehmenden Resistenzen eine Urinkultur von grosser Bedeutung. Der Katheter sollte zunächst gewechselt und die Probe dann aus dem neuen System entnommen werden, da in den alten Schläuchen regelmässig kolonisierende Keime wachsen.

Harnwegsinfekte stellen im Alten- und Pflegeheim die zweithäufigste Infektion nach Pneumonien dar. Sie führen regelmässig zu Krankenhauseinweisungen. Umgekehrt betreffen nosokomiale Infektionen in erster Linie den Harntrakt, wobei wiederum ein Dauerkatheter (80 %) den grössten Risikofaktor darstellt. 

Quelle: Philip Tarr et al., Schweiz Med Forum 2013; 13: 472-475