Medical Tribune
19. Sept. 2013Komplizierten Trauerverlauf

Was Sie beim prolongierten Trauer-Syndrom tun können

Nachdem es für den komplizierten Trauerverlauf lange Zeit noch nicht einmal eine "richtige Diagnose" gab, hat man die "Persistent Complex Bereavement Disorder" inzwischen in den DSM* V-Katalog aufgenommen, berichtet Dr. Naomi M. Simon vom Massachussetts General Hospital in Bosten in "JAMA".

Man schätzt, dass etwa 7% der Trauernden unter dieser Störung leiden. Normale Trauer umfasst eine weite Spanne starker Emotionen, wie Schock, Ungläubigkeit, schmerzliche Sehnsucht und die Unfähigkeit, an etwas anderes zu denken als an die verstorbene Person. Der Trauernde akzeptiert den Verlust jedoch im Lauf der Zeit und findet in sein – wenn auch verändertes – Leben zurück.

"Integrierte Trauer" normalerweise nach sechs bis zwölf Monaten

Die genaue Dauer der normalen Trauerreaktion ist nicht definiert, in Longitudinalstudien hat man bei den meisten Menschen eine Periode von sechs bis zwölf Monaten beobachtet. Nach dieser Zeit geht der akute Schmerz in eine "integrierte Trauer" über.

Zwar bleiben Sehnsucht und Schmerz bestehen, aber die Intensität der Gefühle nimmt ab. Es wird wieder möglich Freude zu empfinden, Pläne zu schmieden und Sozialkontakte zu pflegen.

Wie kommt es nun zum Entgleisen des seelischen Heilungsprozesses? Als persönliche Risikofaktoren gelten weibliches Geschlecht, vorangegangene Verlusterlebnisse, Kindheitstraumata, die Art der Beziehung (intensiv, langjährig, lebensbestimmend) sowie psychiatrische Begleiterkrankungen (Depression, Angststörung).

Alkohol und Tabletten steigern Risiko einer komplizierten Trauer

Andere Risikofaktoren haben mit den Todesumständen zu tun (gewaltsamer, plötzlicher Tod, Mord, Selbstmord, quälend prolongiertes Sterben). Auch die Rolle des Hinterbliebenen als Pflegeperson hat Bedeutung – z.B. wenn die Frage "hätte ich den Tod verhindern können?" quälend nagt. Substanzmissbrauch (Alkohol, Tabletten) oder soziale Isolation steigern das Risiko für komplizierte Trauer.

Nach welchen Kriterien stellt man nun die DSM-Diagnose "Persistent Complex Bereavement Disorder"? Die Notwendigkeit einer klinischen Intervention ergibt sich aus hohen Stressleveln und starker Einschränkung der Lebensqualität, so die Autoren.

Inadäquate Trauerbewältigung hat schlechte Prognosen

Denn die inadäquate Trauer-Bewältigung geht mit einer schlechten Prognose einher: Studien ermittelten u.a. erhöhte Raten an Krebs und Herzkreislauf-Krankheiten, Risikoverhalten, Substanzmissbrauch und Suizid – letzteres insbesondere bei begleitender Depression oder Angststörung.

Daher empfehlen die Kollegen ein Screening. Neben dem "Inventory of Complicated Grief"* mit 19 Items zur Selbstbeurteilung steht dafür auch das "Brief Grief Questionnaire" mit fünf Fragen für die schnelle Orientierung in der Praxis zur Verfügung.

Fünf orientierende Fragen:

  • Wie sehr haben Sie Schwierigkeiten, den Tod von …. zu akzeptieren?
  • Wie stark beeinträchtigt die Trauer Ihr tägliches Leben?
  • In welchem Masse haben Sie Bilder oder Gedanken von/an …., als er gestorben ist – oder andere Gedanken über den Tod, die Sie belasten?
  • Gibt es Gewohnheiten, die Sie vermeiden seit …. gestorben ist? Meiden Sie Plätze, an denen Sie gemeinsam waren, oder Aktivitäten die Sie gemeinsam gemocht haben? Vermeiden Sie es, Bilder von ihm anzuschauen oder von ihm zu sprechen?
  • Wie stark fühlen Sie sich von von anderen Menschen entfernt/abgeschnitten seit dem Todesfall?
    0= überhaupt nicht
    1= mässig
    2= sehr stark Das "Brief Grief Questionnaire" verlangt beim Screening nur wenige Minuten Zeit.

Ein Score von 5 oder mehr weist auf eine problematische Trauerverarbeitung hin.

Therapeutisch gibt es verschiedene Ansätze. Sehr gute Unterstützung bieten Selbsthilfegruppen, in denen Betroffene Entlastung und Verständnis finden. Die am besten in Studien untersuchte Behandlung besteht in einer zielgerichteten Psychotherapie, in der u.a. mit kognitiven Strategien Wege zur Trauerverarbeitung und zurück ins Leben gelernt werden.

Viel über den Verstorbenen zu sprechen hilft den Patienten

Ein wichtiger Bestandteil ist die Psychoeduktation, sprich Information über die Erkrankung "prolongierte Trauer" und deren Mechanismen. Die Interventionen umfassen auch das wiederholte Erzählen der Lebensgeschichte des Verstorbenen und Übungen zur "Kommunikation mit dieser Person". Mittels kognitiver Verhaltenstherapie werden gedankliche Irrtümer (Schuldgefühle) korrigiert.

Auch erlernen die Patienten Strategien, sich für heikle Daten (Geburtstag, Weihnachten) innerlich zu wappnen. Mit 14- bis 16-wöchigen Interventionen dieser Art hat man in Studien sehr gute Erfolge erzielt.

Medikamentöse Therapie mit Antidepressiva

Eine psychiatrische Konsultation empfiehlt sich, wenn die Symptome persistieren oder eine medikamentöse Therapie erwogen wird. Zur Anwendung kommen Antidepressiva, vorzugsweise SSRI (z.B. Escitalopram 10-20 mg/die) oder Paroxetin (20-50 mg/die).

Hüten sollte man sich vor der Verordnung von Benzodiazepinen, warnt die Kollegin. Diese bergen nicht nur Suchtgefahr, und legen die Betroffenen, die sich ohnehin oft betäubt oder leer fühlen, zusätzlich lahm.

Sie stören auch Lernfähigkeit und Gedächtnis und behindern damit den Verarbeitungsprozess. Leitlinien für das gemäss DSM "neue" Krankheitsbild gibt es noch nicht. Weitere Studien zur Optimierung der Therapie sind unterwegs. 

Kummer? Angst? Depression?

Der Verlust eines Menschen kann als Stressfaktor eine Major-Depression, eine posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) triggern. Der "Complicated Grief" muss zum einen abgegrenzt werden von den Differentialdiagnose Depression, Angststörung und PTSD, es können aber auch Komorbiditäten vorliegen.

Einer aktuellen Erhebung zufolge wiesen nur 25 % der Patienten mit verstärkter Trauerreaktion keine Begleiterkrankungen auf. Bei 55 % dagegen fanden sich zusätzlich depressive Erkrankungen, bei 49 % eine PTSD und bei 36 % beide Störungen.

*Diagnostic and Statistic Manual of Mental Disorders

Quelle: N.M. Simon, JAMA 2013; 310: 416-423