Medical Tribune
25. Apr. 2013Therapie von Parkinson

Botulinumtoxin hilft auch bei Parkinson

Die Sialorrhö ist für knapp 60 % der Parkinsonpatienten ein Problem. Der vermehrte Speichelfluss gilt zudem als Warnzeichen für eine Schluckstörung; beide zusammen erhöhen das Aspirationsrisiko, erklärte Professor Dr. Andrés Ceballos-Baumann, Schön Klinik München Schwabing. Therapeutisch sind Anticholinergika wegen ihrer negativen Effekte auf Kognition, Darm und Blase praktisch tabu. Kaugummikauen oder Bestrahlung der Speicheldrüsen scheitern an Compliance und Praktikabilität.

Detrusor-Injektionen sind nicht sehr beliebt

Eine erste Arbeit zu Botulinumtoxin (BoTN)-Injektion bei Sialorrhoe stammt von Pal et al. aus dem Jahr 2000. Nach Injektion von 7,5 bis 10 E BoTN/A in die Speicheldrüsen besserten sich Schwere und Häufigkeit des Speichelflusses bei sechs der neun teilnehmenden Parkinsonpatienten deutlich. Nebenwirkungen traten nicht auf. Friedman und Potulska hatten 2001 den Effekt von BoTN/A mittels Wattebäuschen bestimmt. Jeweils 5 E, in beide Parotiden injiziert, reduzierten die Speichelproduktion bei fünf von elf Parkinsonpatienten auf das Niveau gesunder Kontrollen. Kalf et al. erkannten 2007 in einer Pilotstudie, dass der Effekt von BoTN grösser ist, wenn es in die submandibulären Drüsen injiziert wird als bei Injektion in die Parotiden.

Unter Blasenstörungen leiden drei von vier Parkinsonpatienten. Typischerweise, so Prof. Ceballos-Baumann, beginnt die Symptomatik mit Nykturie, gefolgt von häufigem imperativem Harndrang tagsüber. Kulaksizoglu et al. verabreichten Patienten mit überaktiver Blase und Inkontinenz unter starker Sedierung 500 Einheiten BoTN/A, wobei die Substanz in 30 Stellen des Detrusors injiziert wurde. Dies bewirkte, dass die  funktionelle Blasenkapazität von im Mittel 198 auf 319 ml zunahm. Giannantoni et al. spritzten 100 Einheiten BoTN/A an zehn Stellen in den Detrusor. Sie erreichten damit eine Abnahme der Miktionsfrequenz und Zunahme der funktionellen Blasenkapazität. Allerdings mussten zwei Patienten vorübergehend katheterisiert werden.
Nach Ansicht von Prof. Ceballos-Baumann kann man diese Behandlung dem einen oder anderen jüngeren Patienten mit Multisystem-Atrophie (MSA) anbieten. Sein Kommentar: "Ich habe viele Patienten, die es probiert haben, aber nur wenige, die es wieder haben wollen".

BoTN verbessert Blepharospasmus

Der Blepharospasmus bringt insbesondere bei atypischen Parkinsonsyndromen und nach tiefer Hirnstimulation eine intermittierende funktionelle Blindheit und erhöhte Sturzgefahr mit sich, erklärte Dr. Michael Messner, ebenfalls Schön Klinik München Schwabing. "Das Problem wird oft übersehen, weil die Patienten mit offenen Augen in die Praxis kommen." Typisch sind der extrem geringe Lidschlag und der starre Blick. Bittet man die Patienten, die Augen zweimal hintereinander fest zuzukneifen, bekommen sie die Augen nicht mehr auf, die Lidöffnungsstörung wird evident. Auch in diesen Fällen kann Botulinumtoxin helfen. Krack P. et al. injizierten BoTN bei 32 Patienten mit progressiver supranukleärer Blickparese (PSP), dystonischem Parkinsonsyndrom oder idiopathischem Blepharospasmus in den M. orbicularis oculi. Immerhin 83 % der Kranken profitierten deutlich. Voraussetzung für den Erfolg der Therapie ist die richtig in den prätarsalen Bereich des Muskels platzierte Spritze.

Schmerzhafte Fussdystonie kann gestoppt werden

Trotz optimierter Therapie erleiden Parkinsonpatienten immer wieder therapierefraktäre und meist sehr schmerzhafte Fussdystonien, d.h. Verkrampfungen des Fusses mit Streckstellung der Grosszehe und Einwärtswendung des Fusses. Besonders betroffen sind Patienten im späten Krankheitsstadium oder mit atypischem Parkinson. Die Schmerzen richten sich nicht nach der On-Off-Dystonie, sondern treten weitgehend gleichmässig auf. Sie behindern das Gehen und mindern die Lebensqualität erheblich. Auch bei dieser Indikation kann es sich lohnen, mit BoTN zu behandeln. Wichtigster Angriffspunkt scheint der M. flexor digitorum brevis zu sein, erklärte Dr. Messner.

Er berichtete von einem 57 Jahre alten Patienten, bei dem seit 20 Jahren ein idiopathisches Parkinsonsyndrom bekannt war und der unter einer Fussdystonie litt. Dr. Messner behandelte ihn mit Botulinumtoxin, zwei Monate später waren die schmerzhaften Krämpfe verschwunden. Der Mann konnte deutlich besser abrollen, er hatte weniger Druckstellen am Fuss und konnte alle seine Schuhe wieder anziehen.

Quelle: 4. Deutscher Botulinumtoxin-Kongress, München, 2013