Migräne kann intrazerebrale Blutung auslösen
Mehr als 20 Jahre leidet ein Patient mittleren Alters an Migräne. Dann ändert sich plötzlich der Schmerzcharakter. Der Grund: eine intrazerebrale Blutung. Begonnen hat die Veränderung nach dem Genuss von Eiscreme. Kurze Zeit später setzt ein dumpfer, schwerer Kopfschmerz ein und im Anschluss an die Attacke klagt der Mann über passagere Seh- und Hörstörungen.
Diese Defizite, teilweise begleitet von Verwirrtheit, treten seitdem in Attacken von weniger als einer Minute Dauer häufiger auf. Dazu kommen Episoden, in denen der sonst gesunde Patient Schwierigkeiten beim Lesen, Schreiben und Verstehen von Sprache hat. Sie halten zwischen 15 Minuten bis zu über einer Stunde an. Anfälle von Kopfschmerzen, die sich von der früheren Migräne unterscheiden, können folgen oder vorausgehen.
Migräne: Vasokonstriktion löchert Gefässwände
Seit dem ersten derartigen Ereignis vor zwei Jahren erhält der 54-Jährige Phenytoin und Levetiracetam. Bei der genaueren Abklärung bringt das CT eine Blutung im linken Parieto-Okzipitallappen ans Licht. Arteriovenöse Malformationen können ausgeschlossen werden. Die wahrscheinlichste Diagnose ist somit eine mit Migräne assoziierte intrazerebrale Hämorrhagie, schreiben Dr. Sankalp Gokhale von der Neurologischen Abteilung am Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston und Kollegen in den "Archives of Neurology".
Pathophysiologisch ist davon auszugehen, dass die der Migräne zugrunde liegende Vasokonstriktion auch Ischämien in kleinen zerebralen Gefässen auslöst. Infolge der Minderdurchblutung können die Gefässwände schwach und porös werden. Setzt nach der Kopfschmerzattacke der Blutfluss wieder ein, sind Hämorrhagien möglich. Diese Theorie passt auch zu der Beobachtung, dass eine mit Migräne assoziierte Blutung mit Verzögerung einsetzt.
Welche Rolle spielen vasoaktive Medikamente?
Einschliesslich des vorliegenden Falls wurden bisher zehn Beispiele einer solchen Komplikation beschrieben. Nach Ansicht der Autoren werden die Hämorrhagien aber wahrscheinlich unterschätzt und demzufolge zu selten publiziert. Eine interessante Rolle könnten in diesem Zusammenhang vasoaktive Medikamente gegen die Migräne spielen. In hohen Dosen fördern sie u.U. die Vasokonstriktion, wodurch das Blutungsrisiko steigen könnte.
Bei dem 54-Jährigen sind die kurz dauernden Anfälle von Seh- und Hörstörungen Ausdruck eines Anfallsgeschehens, das durch die Blutung ausgelöst wurde. Diese Attacken lassen sich durch Antikonvulsiva stoppen. Die prolongierten Episoden dagegen, die am ehesten als kassische Migräne mit Aura zu deuten sind, so die Autoren, bleiben von der Medikation unbeeinflusst.
Quelle: Sankalp Gokhale et al., Arch Neurol 2012; 69: 1500-1503