Passagere Sehstörung: Droht Gefahr für Augenlicht und Leben?
“Gestern war es kurz dunkel”, berichtet Ihr Patient. Droht ein Schlaganfall? Liegt ein retinaler Arterienverschluss vor – oder nur ein trockenes Auge? Ein Experte fasst das diagnostische Vorgehen zusammen.
Wenn ein Patient über passagere Sehstörungen berichtet, heisst es erst einmal Detektivarbeit leisten. Auf der Suche nach der Ursache ist die genaue Anamnese oft wegweisend, erklärt Professor Dr. Helmut Wilhelm von der Augenklinik der Universitätsklinik Tübingen in der “Zeitschrift für Augenheilkunde”. Fragen Sie, wie oft die Beschwerden auftreten und wann der Patient sie zum ersten Mal bemerkt hat. Und lassen Sie sich die Sehstörung genau beschreiben, rät der Experte.
Waren es Blitze, Schwarzsehen oder eher ein Flimmern? Oder sind nur Teile des Gesichtsfeldes ausgefallen? Besonders wichtig ist auch die Frage nach der Dauer der Symptome. So verursacht ein Zug am Glaskörper blitzartige Erscheinungen. Ein trockenes Auge wird schon durch den nächsten Lidschlag wieder befeuchtet und die Sehstörung bessert sich. Transitorische ischämische Attacken (TIA) halten kaum länger als eine Minute an, während eine Migräneaura sich durchaus eine Viertel- bis eine halbe Stunde erstrecken kann.
Mithilfe der Anamnese lässt sich der Ort des Krankheitsgeschehens meist nur grob lokalisieren. Liegt das Störfeld in der Peripherie, einschliesslich des Tractus opticus und des Chiasmas, wird der Patient eher über ein einseitiges Geschehen berichten. Beidseitige Ausfälle deuten hingegen auf eine Ischämie in der Sehrinde hin.
Schatten, der sich auflöst: typisch für die TIA
Bei einer TIA berichten Betroffene oft von einem Schatten, der sich wieder aufgelöst hat. Manchmal stehen auch andere neurologische Symptome, etwa Schwäche, Ataxie oder Sensibilitätsstörungen, im Vordergrund. Beim Verdacht auf einen Schlaganfall muss der Patient sofort in eine Klinik mit Stroke Unit eingewiesen werden.
Stellt sich heraus, dass eine TIA die Sehstörungen verursacht hat, sollten potenzielle Risikofaktoren, z.B. Hypertonie, Diabetes mellitus und/oder eine Hypercholesterinämie, überprüft werden. Auch der Raucherstatus ist abzuklären. Ausserdem sind frühere TIA, KHK oder Vorhofflimmern zu erfragen.
Mittels Duplexsonographie, EKG und Echokardiographie können Herz- und Gefässgefahren abgeschätzt werden. Schliesslich gilt es, bestehende Risikofaktoren unter Kontrolle zu bringen. Doch wann muss der Patient zum Augenarzt? Wenn Blitze gesehen wurden, sollte eine Untersuchung des Fundus erfolgen, um eine periphere Netzhautablösung oder andere Retinaerkrankungen auszuschliessen. Auch Hypertoniezeichen oder Symptome einer Vaskulitis können bei der ophthalmologischen Diagnostik abgeklärt werden.
Mit Gesichtsfeldausfall in die Stroke Unit
Cotton-Wool-Herde weisen auf fokale Ischämien oder einen Embolus hin. Ein Netzhautödem zeigt, dass eine grössere Arteriole verschlossen ist. Bei einem Flimmerskotom, etwa während einer Migräneaura, steht diagnostisch eine Perimetrie an. Wird ein persistierender Gesichtsfeldausfall nachgewiesen, muss der Patient ebenfalls sofort in eine Stroke Unit. Die Perimetrie ist auch bei der Amaurosis fugax angezeigt, um einen retinalen Arterienverschluss auszuschliessen.
Grundsätzlich können auch eine Polyglobulie oder ein Schlafapnoesyndrom Ursache für Sehstörungen sein, gibt der Autor zu bedenken. Zum Ausschluss einer Arteriitis temporalis, die als anteriore ischämische Optikusneuropathie auftreten kann, werden CRP und BSG bestimmt. Selten äussern sich auch visuelle Halluzinationen als passagere Sehstörungen. Hier kommen der Posteriorinsult, Parkinsonmedikamente, das Charles-Bonnet-Syndrom oder halluzinogene Drogen als Auslöser infrage.
Der beidseitige Ausfall der rechten oder linken Gesichtsfeldhälfte kommt bei der Migräne sehr häufig im Rahmen einer Aura vor. Charakteristisch: Wanderung des Gesichtsfeldausfalles bei einer Dauer von 15 bis 30 Minuten. Verschwindet die Störung nach dieser Zeit, kann man die Patienten meist beruhigen. Weiterführende Gefässdiagnostik ist notwendig, wenn der Ausfall weniger als fünf Minuten oder über eine Stunde dauert oder nicht wandert. Auch bei Patienten, die beim ersten Auftreten eines Gesichtsfeldausfalles älter als 40 Jahre sind oder zuvor nie eine Migräne hatten, sind weitere Untersuchungen erforderlich. Betroffene haben ein hohes Apoplex-Risiko. Direkt in die Stroke Unit sollte man Kranke überweisen, deren Gesichtsfeldausfall nach einer Stunde immer noch besteht. |
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Quelle: Helmut Wilhelm, Z. prakt. Augenheilkd. 2012; 33: 383-386