Medical Tribune
23. Sept. 2012Starke Luftnot, aber Diagnose unbekannt

Herzinsuffizienz bei Senioren wird alarmierend oft übersehen

Dass bei multimorbiden Senioren gern etwas übersehen wird, ist eigentlich nichts Neues. Was das Herz angeht, ergaben Untersuchungen schon vor Jahren Raten um die 20 % für eine nicht erkannte Herzinsuffizienz in bestimmten Patientengruppen, etwa bei COPD-Kranken. Nun haben zwei aktuellere Studien aber noch weit höhere Raten offengelegt: Bei sehr alten Menschen und bei Diabetikern liegt der Anteil übersehener Pumpfunktionsstörungen sogar über 50 %.

Die "Newcastle 85+"-Studie1 bezog 376 Personen zwischen 87 und 89 Jahren ein. Die britischen Forscher besuchten ihre betagten Probanden zu Hause, fragten nach entsprechenden Symptomen und führten mit einem mobilen Schallgerät eine Echokardiographie durch. Dann wurden die erhobenen Daten mit den Befunden in der Patientenakte beim Hausarzt verglichen.

Zwei ältere Paare sitzen im Park
iStock/freemixer

Starke Luftnot, aber Diagnose unbekannt

Wie sich im Verlauf der Echo-Untersuchungen herausstellte, war bei weniger als 50 % der Senioren die Pumpe vollständig in Ordnung. 32 % des Kollektivs wiesen eine systolische und 20 % eine diastolische Ventrikelfunktionsstörung auf. Von den 87 Patienten, die unter so ausgeprägter Luftnot litten, dass ihre Alltagsaktivitäten eingeschränkt waren, hatten 84% "keinen Schimmer" von der zugrunde liegenden Erkrankung, sprich, auch dem behandelnden Arzt  war die Diagnose nicht bekannt.

Von der hohen Prävalenz der systolischen Herzinsuffizienz sowie der Ahnungslosigkeit des Hausarztes in so vielen Fällen waren die Kollegen der Newcastle University selbst überrascht, wie sie in "Heart" berichten.

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Ähnlich alarmierende Nachrichten liefern Wissenschaftler der Universität Utrecht, die in einem Kollektiv von rund 600 älteren Typ-2-Diabetikern nach unerkannter Herzschwäche fahndeten. Von den über 60-jährigen Studienteilnehmern wiesen 27,7 % eine vorher nicht diagnostizierte Myokardinsuffizienz auf, unter den Frauen waren es sogar über 30 %. Wenn man auch subklinische LV-Funktionsstörungen mit einbezog, so blieben vom gesamten Kollektiv nur 45 % übrig, die über eine normale Herzleistung verfügten.

Bei den Diabetikern mit neu entdeckter kardialer Störung handelte es sich in den meisten Fällen (82%) um eine diastolische Herzinsuffizienz, wie die Kollegen berichten.2 Die Prävalenz übersehener Herzinsuffizienz erweist sich nach Angaben der niederländischen Forscher als besonders hoch unter Übergewichtigen (BMI ≥ 30 kg/m2) sowie Patienten mit Dyspnoe, Fatigue oder behandelter Hypertonie.

Diese Erkenntnisse stellen Kliniker ebenso wie niedergelassene Hausärzte vor eine neue Herausforderung. Ärzte sollten konstant sehr wachsam sein, um keine Beschwerden oder klinischen Zeichen zu übersehen, die auf eine Herzinsuffizienz hinweisen, betonen die Niederländer. Was die von ihnen untersuchte Risikogruppe – die Typ-2-Diabetiker – angeht, so halten sie gar ein jährliches Screening mit EKG, Echo und NTproBNP-Messung für erwägenswert.

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Auch die britischen Autoren der "Newcastle 85+"-Studie mahnen zu erhöhter Wachsamkeit in Bezug auf Herz-Symptome – nicht nur im Hinblick auf eine Myokardinsuffizienz. Luftnot, Erschöpfung oder Brustbeklemmungen können auch auf eine unkontrollierte Hypertonie hinweisen, eine plötzliche Einschränkung der Belastbarkeit auf eine ischämische Herzerkrankung.

Was die therapeutischen Konsequenzen angeht, geben sich die britischen Kollegen allerdings noch skeptisch. Zwar gibt es mittlerweile ein gut etabliertes Medikamenten–Armamentarium zur Therapie der systolischen Herzinsuffizienz. Doch müsse man gerade bei den sehr alten Menschen aufpassen, dass ihre Lebensqualität durch die Pharmakotherapie nicht noch stärker leidet als durch die Erkrankung selbst. Real-world-Studien in der zunehmend älter werdenden Bevölkerung seien daher dringend erforderlich.

Auch für das Problem der diastolischen Herzinsuffizienz – also der Pumpstörung bei erhaltener systolischer Funktion – gibt es bisher keine Lösung. Ein wirksames Therapiekonzept muss erst noch gefunden werden.

  1. F. Yousaf et al., Heart 2012; online first
  2. L.J.M. Boonman-de Winter et al., Diabetologia 2012; 55: 2154-2162