Borreliose: Differentialdiagnose bei Sonnenstichverdacht
Ein Elfjähriger klagt im Sommer über Bauchschmerzen, erbricht, fühlt sich schlapp. Ein Sonnenstich? Wochen später: Notfalleinweisung wegen Verdacht auf Depression. Die Borrelien-Serologie schafft schliesslich Klarheit.
Bei hochsommerlichen Temperaturen hatte sich der Junge sportlich verausgabt. Die Verdachtsdiagnose Sonnenstich lag nahe, als er tags drauf schwächelte und über akute Magen-Darm-Beschwerden klagte.
Fluktuierender Krankheitsverlauf – Zeichen für Borreliose?
Tatsächlich: Im Verlauf von sieben Tagen schien sich sein Zustand zu bessern. Doch das hielt nicht an, in den folgenden drei Wochen kam es zu einem “fluktuierenden Verlauf ohne durchgreifende Besserung”, hiess es auf einem Poster anlässlich der 38. Jahrestagung der Gesellschaft für Neuropädiatrie.
Schliesslich klagte der Junge über heftige Kopfschmerzen und Nackensteife. Da er kein Fieber hatte, verzichtete man zunächst auf eine Liquorpunktion und behandelte symptomatisch mit Analgetika. Doch die Lage spitzte sich zu: Der Elfjährige klagte plötzlich über Gelenkschmerzen, die Gewichtsabnahme betrug nunmehr sechs Kilogramm. Unter der Verdachtsdiagnose “kindliche Depression” erfolgte eine Notfalleinweisung.
Multiple Symptome: Borrelien-Verdacht
Bei der stationären Aufnahme bezifferte der Junge die Stärke seiner Kopfschmerzen auf einer Skala von 0 bis 10 mit einem Schweregrad von 7. Weiterhin klagte er über Bauchschmerzen und bezeichnete seine Knieschmerzen als stechend. Körperlich war er in deutlich reduziertem Allgemeinzustand, ein Exanthem bestand nicht.
Bei der Anamnese stellte sich heraus, dass er zwei Jahre zuvor unter Kopfschmerzen und Müdigkeit gelitten hatte – zeitgleich zur Trennung seiner Eltern. Die neurologische Untersuchung erwies sich als unauffällig, kein Meningismus, normale Hirnnervenfunktion und keine Hinweise auf fokale oder systemische Symptome.
Multiple Symptome: Neuroborreliose in Erwägung ziehen!
Auch labordiagnostisch zeigten sich bei dem Jungen keine pathologischen Befunde, EEG und MRT boten ebenfalls nichts Richtungsweisendes. Aufgrund der multiplen Symptome und des schlechten Allgemeinzustands zogen die Kollegen – trotz fehlender fokal-neurologischer Ausfälle – eine Neuroborreliose in Betracht.
Die weiterführende Diagnostik bestätigte diesen Verdacht:
- Positive Borrelien-Serologie (Borrelien-IgG-ASI* von 18,75 und Borrelien-IgM-ASI von 67,96 – Norm jeweils < 1,5),
- intrathekale Antikörper-Synthese,
- liquordiagnostisch nachgewiesene Schrankenstörung,
- Zellzahlerhöhung.
Nach zweiwöchiger Behandlung mit Ceftriaxon (einmal täglich 2 g) besserte sich der Zustand des Elfjährigen, beschwerdefrei konnte er entlassen werden. Dies schreiben die Autoren des Posters Thomas Becher und Dr. Sabine Weise vom Kinderneurologischen Zentrum Düsseldorf-Gerresheim, Sana-Kliniken Düsseldorf.
Fazialis-Parese kann bei Kindern fehlen
Als klinischer Hinweis auf eine Neuroborreliose wird bei Kindern meist eine Hirnnervenlähmung (insbesondere Fazialis-Parese) erwartet. Doch fokale neurologische Symptome sind nicht zwingend. So zeigte eine niederländische Studie, dass 79 % der Kinder mit Neuroborreliose neurologische Symptome, meist eine Fazialis-Parese, hatten.
Die übrigen Krankheitsverläufe waren jedoch ohne neurologische Symptomatik eher untypisch. Eine norwegische Arbeitsgruppe berichtete, in ihrem Studienkollektiv hätten sich die meisten Neuroborreliose-Kinder mit einer milden Meningitis oder einer Fazialis-Parese präsentiert.
* Antikörper Spezifitäts-Index
Quelle: 38. Jahrestagung der Gesellschaft für Neuropädiatrie