Leitlinen Zöliakie – Erkrankung ohne Biopsie diagnostizieren?
Zöliakie ist eine immunologisch vermittelte glutenabhängige Multiorganerkrankung, so die Definition. Experten gehen in Deutschland von einer Prävalenz zwischen 0,5 %–1 % aus. Genetisch disponiert sind über 25 % der Bevölkerung. Doch 96 % dieser Menschen entwickeln eine orale Toleranz.
Neben der klinischen Symptomatik gibt es bei einer Zöliakie drei diagnostisch relevante Kriterien: die HLA-Typisierung bezüglich DQ 2/8, Antikörpertests TG2 / EMA (Transglutaminase 2 / Endomysium) und den histologischen Befund (Mukosaveränderungen nach Marsh**). Doch bei welchen Kindern sind welche diagnostischen Massnahmen notwendig?
Nur jeder fünfte zeigt klassische Symptome der Zöliakie
Gemäss der neuen Leitlinie wird zwischen symptomatischen Kindern und asymptomatischen Risikopatienten unterschieden (siehe Kasten). Klinisch zu berücksichtigen ist dabei, dass sich klassische Symptome – etwa Gedeihstörung, Gewichtsverlust und Diarrhö – nur bei etwa jedem fünften Zöliakiepatienten finden.
Doch eine Durchfallerkrankung muss nicht zwingend vorliegen, auch eine Obstipation kann auf das glutenabhängige Leiden hinweisen. Dies betonte Professor Dr. Klaus-Peter Zimmer vom Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin der Justus-Liebig-Universität Giessen auf der 107. Jahrestagung der DGKJ.
Als Zöliakie-gefährdet gelten sogenannte asymptomatische Risikopatienten, z.B. Kinder mit Down- oder Turner-Syndrom (s. Kasten). Die Zöliakierate beträgt in diesen Kollektiven 5–10 %. Betroffene sollten nach dem zweiten Lebensjahr auch ohne Symptomatik serologisch gescreent werden, so Prof. Zimmer. Alternativ sei auch ihre genetische Disposition auf Zöliakie prüfbar.
HLA-Typisierung schafft Klarheit bei der Zöliakie
Als neuer Marker wurde die genetische HLA-Typisierung hinsichtlich DQ 2/8 in die neue Leitlinie aufgenommen. Praktisch ist das von grosser Bedeutung: Wenn sich z.B. bei einem asymptomatischen Risikopatienten mittels First-line-Screening auf DQ 2/8 negative Befunde zeigen, kann man der Mutter sagen, dass die Wahrscheinlichkeit einer künftigen Zöliakie-Erkrankung bei ihrem Kind "geradezu null beträgt", hob der Experte hervor.
Wen schicken Sie zur Darm-Diagnostik?
Symptomatische Kinder und Jugendliche (20 % der Zöliakie-Patienten) mit:
- chronisch intermittierender Diarrhö
- Gedeihstörung / Kleinwuchs
- Gewichtsverlust
- Pubertas tarda
- Amenorrhö
- Eisenmangelanämie
- Übelkeit / Erbrechen
- chronischen Bauchschmerzen
- Koliken / Blähungen
- chronischer Obstipation
- Müdigkeit
- rezidivierender Stomatitis
- Dermatitis herpetiformis Duhring
- Osteoporose / Osteopenie
- Transaminasenerhöhung Asymptomatische Kinder und Jugendliche mit:
- insulinabhängigem Diabetes mellitus
- Down-Syndrom
- Autoimmunthyreoiditis
- Turner-Syndrom
- Williams-Beuren-Syndrom
- selektivem IgA-Mangel
- Autoimmunhepatitis
- Verwandten ersten Grades
Mit der serologischen Diagnostik liesse sich diese Aussage nicht treffen. Auch bei Kindern mit Verdacht auf eine latente Form schafft die HLA-Typisierung Klarheit: Ein negativer Befund schliesst eine glutensensitive Enteropathie weitestgehend aus. Somit bietet sich dieser Marker bei bestimmten Patientengruppen an, um ohne duodenale Biopsie eine Zöliakie auszuschliessen, betonte Prof. Zimmer.
Darüber hinaus wurden in der ESPGHAN-Leitlinie* neue Kriterien zur histologischen Beurteilung von Gewebeproben definiert. So gelten fortan Mukosa-Veränderungen Typ 2 nach Marsh als ausreichend, um bioptisch die Kriterien einer Zöliakie zu erfüllen. Bisher war der Nachweis einer Zottenatrophie gefordert. Bei der Endoskopie sollten grundsätzlich mehrere Gewebeproben entnommen werden, weil nicht jeder Teil der Schleimhaut gleich ausgebildet ist, hob Prof. Zimmer hervor. So gebe es klinisch durchaus Fälle, bei denen eine Zöliakie nur im Bulbus histologisch nachweisbar war.
Duodenalbiopsie nach Standard berurteilen
Die Standardbeurteilung der Duodenalbiopsie richtet sich fortan auch nach einem neuen Grenzwert für intraepitheliale Lymphozyten (IEL): Als pathologisch gelten > 25 IEL pro 100 Enterozyten (früher 40). Der Experte empfahl, bei den Pathologen grundsätzlich eine Immunhistochemie für CD3 oder gamma-delta-TCR anzufordern.
Doch Schleimhautbefunde sind vielfältig: Für sich allein haben sie eine schlechtere Treffsicherheit als die Serologie, sagte Professor Dr. Sibylle Koletzko vom Dr. von Haunerschen Kinderspital, Ludwig-Maximilians-Universität München. Gemäss der neuen Leitlinie empfehlen Experten als Suchtest den Anti-TG2-IgA-Test (Nachweis von Transglutaminase-2-Antikörpern der Klasse IgA) kombiniert mit der Bestimmung des Gesamt-IgA.
Antikörpersuche im Stuhl nicht mehr empfohlen bei der einheimischen Sprue
Weitere Tests sind bei Verdacht auf eine Zöliakie als Initialdiagnostik nicht nötig, weil sie keine zusätzlichen Informationen bieten, erklärte Prof. Koletzko. Der Endomysium-Antikörper-Test (EMA) kommt als Bestätigungstest in Betracht, wenn man auf eine Biopsie verzichten will. Von allen drei Zöliakie-spezifischen Antikörpern, also TG2, EMA und DGP (deamidiertes Gliadin-Peptid), gibt es IgG-basierte Tests. Auf sie muss man zurückgreifen, wenn Patienten einen IgA-Mangel aufweisen, so die Expertin.
Als diagnostisch ungeeignet gelten Tests auf Antikörper gegen natives Gliadin der Klassen IgA und IgG. Auch Antikörpermessungen im Stuhl oder Speichel werden nicht mehr empfohlen. Schnelltests mittels Vollblut, sogenannte "Point of Care"-Tests, erscheinen vom Konzept her zwar gut, doch in der Hand von Laien – aufgrund der Subjektivität und fehlenden Quantifizierbarkeit – doch eher problematisch, mahnte Prof. Koletzko. Um das diagnostische Dilemma bei Zöliakie – nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig – in den Griff zu bekommen, gibt es Vorgaben zum praktischen Vorgehen (siehe Tabelle). Immer drei der vier folgenden diagnostischen Kriterien sollten erfüllt sein, bevor mit einer glutenfreien Ernährung begonnen wird:
• eindeutige klinische Symptome
• HLA-Typisierung bezüglich DQ 2/8
• spezifische Antikörper TG2/EMA
• Histologie
Zöliakie-Abklärung:
Praktische Tipps
- keine glutenfreie Ernährung vor Biopsie-Entnahme
- zeitliche Nähe zur Serologie
- Biopsie im Rahmen jeder Gastroskopie (Nachweis bzw. Ausschluss Zöliakie)
- tangentiale Einbettung (bei Queranschnitt wird ggf. fälschlicherweise eine Zottenminderung diagnostiziert)
- "unspezifische Duodenitis" als Diagnose des Pathologen sollte hinterfragt werden (Referenzpathologe!)
Hervorzuheben ist dabei, dass in besonderen Fällen, wenn alle anderen Kriterien – einschliesslich hoher Antikörper-Titer – die Diagnose Zöliakie stützen, optional auf eine Biopsie verzichtet werden kann, hob Prof. Koletzko hervor. Beim diagnostischen Vorgehen spielt fortan nicht nur die Histologie eine massgebliche Rolle, sondern auch Serologie, Genetik und klinische Zeichen, unterstrich der Experte.
* European Society for Paediatric Gastroenterology, Hepatology and Nutrition
** Klassifizierung der Zöliakie nach dem britischen Pathologen Michael N. Marsh
Quelle: 107. Jahrestagung der DGKJ, 2011, Bielefeld