Blackout: So werden Heime und Spitäler, Ärzte und Apotheker krisenfit
Not-Speisepläne in Spitälern, Trillerpfeifen für Pflegepatienten, Arzneilisten auf Papier – doch bei einem Blackout hilft das alles nichts, wenn das Personal oder gar der Chef wegbleibt, sagen Dr. Sandra Kreitner, Notfall- und Krisenmanagerin in Bayern, und Herbert Saurugg, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV). Das A und O ist daher die persönliche Vorsorge. Wie dann auch die organisatorische Vorbereitung samt Sicherheitsthemen leichter gelingt, erklären die inzwischen sehr gefragten Fachleute im Doppelinterview, nicht ohne zu verraten, wo sie selbst schon in die Gewohnheitsfalle tappten.
Hinweis: Im folgenden Interview werden verschiedene Blackout-Szenarien angesprochen – mit durchaus überraschenden Erkenntnissen. Am Ende finden Sie Checklisten für eine möglichst einfache, aber effiziente Vorsorge (mit Update: "NEU: Arbeitsvorlage Kliniken –Vorsorge Stromausfall").
Frau Dr. Kreitner, Sie sind GfKV-Botschafterin für Bayern, können Sie kurz skizzieren, wieso Sie sich für die Blackout-Vorsorge engagieren?
Sandra Kreitner: Das war bei mir eher Zufall, ich bin Chemikerin und promovierte Biophysikerin. Vor zwei Jahren habe ich «Blackout» von Marc Elsberg und noch zwei andere Fachbücher in die Hand bekommen und gemerkt: Oh, das wäre ja wirklich eine grosse Katastrophe – sind wir überhaupt vorbereitet? Ich bin wissenschaftlich immer mehr eingestiegen, habe die Technikfolgenabschätzung von Thomas Petermann et al. gelesen und angefangen, selber vorzusorgen. Dann habe ich gedacht, allein bringt das nichts, habe einen Vortrag für meine «Nachbarsmädels» erstellt und immer mehr recherchiert: Wie sind wir vor Ort, hier in Hohenpeissenberg, aufgestellt? Das war ziemlich ernüchternd… Dann bin ich immer eine Stufe höher, war irgendwann beim Landamtsrat, dort gab es schon eine Arbeitsgruppe für das Thema. Das war eigentlich der Zeitpunkt, wo ich dachte, ich muss jetzt auch loslegen. Ich habe den Notfall- und Krisenmanager gemacht, auch die Arbeitsvorlagen von Herbert Saurugg gelesen und beschlossen, das möchte ich auch hier in Bayern machen: sensibilisieren und Vorlagen erstellen, damit die Leute ein bisschen krisenfitter werden.
Und jetzt machen Sie das hauptberuflich?
Kreitner: (lacht) Ja, das war gar nicht geplant, aber der Bedarf ist so gross und ich habe so viele Nachfragen. Aber ich muss dazusagen, ich habe drei kleine Kinder, es ist eh nur Teilzeit möglich.
Herr Saurugg, wie war das bei Ihnen?
Herbert Saurugg: Ich habe schon immer einen gewissen Sicherheitszugang gehabt, mit 12 Jahren zur Jugendfeuerwehr, Bundesheer mit 14 und dann auch noch Notfallsanitäter beim Roten Kreuz. 2010 bin ich durch ein berufsbegleitendes Studium auf das Thema Stromversorgung gestossen und habe aus der systemischen Perspektive gesehen, es gibt nicht sehr erfreuliche Entwicklungen. Und auch niemanden, der sich für konkrete Vorbereitungen zuständig gefühlt hätte. Daher habe ich 2012 beschlossen, auszusteigen und auf eigene Faust das Thema weiterzubetreiben. Ich habe mir sehr viel Wissen angeeignet, vor allem auch durch sehr viele Projekte und Kontakte mit unterschiedlichen Ebenen, von kleinen Gemeinden bis zur Präsidentschaftskanzlei, und auch im Gesundheitswesen. Daher glaube ich, dass ich einen sehr breiten Einblick in die Gesellschaft habe, was das Thema Blackout-Vorsorge betrifft – was Wirklichkeit und was Marketing ist.
Apropos: Politik und Institutionen versichern einmal mehr, so wie am Beginn der Corona-Pandemie, wir sind für Krisen gut vorbereitet. Sie haben das damals anders eingeschätzt, auch dass es unser Gesundheitssystem hart treffen könnte (siehe unser Interview am 25.02.2020). Wie gut sind jetzt Österreichs Spitäler, Pflegeheime, Arztpraxen, Apotheken, mobile Dienste auf ein Blackout, also einen überregionalen längeren Stromausfall, vorbereitet? Hat sich was verändert?
Saurugg: Es gab schon vor Corona, Anfang 2019, eine Veränderung, da ist merklich mehr Interesse und auch Nachfrage entstanden. Ich kann es nicht zuordnen, warum das so war. Die Jahre davor war das ein Nischenthema. Dann kam die Pandemie, die bewusst gemacht hat, solche Ereignisse treten ein. Seit heuer ist mit dem Krieg in der Ukraine das Thema nochmals klarer geworden, auch weil die Energieprobleme offensichtlicher sind und auch stärker angesprochen werden. Die Aussage in Österreich ist jedoch noch immer: Es gibt zwar immer mehr Probleme, aber eine Blackout-Gefahr ist jetzt nicht absehbar. Ein Blackout ist aber wie jede Katastrophe etwas, dass durch eine Kumulation von – beherrschbaren – Einzelereignissen entsteht und daher immer überraschend ist. Zu behaupten, es gibt keine Gefahr, unterschätzt, was dahinter passiert. Das Gesundheitssystem ist aus meiner Sicht überhaupt nicht vorbereitet, so wie der restliche Teil der Gesellschaft auch nicht.
Aber es gibt ja einige Spitäler, die Sie bei der Blackout-Vorsorge begleitet haben?
Saurugg: Es geht nicht nur um einzelne Krankenhäuser, sondern auch um soziale Dienste, Behindertenbetreuung, Pflegedienste. Ich habe letztens auf einer Veranstaltung von der Pflegeverantwortlichen des Hauses gehört: Mir ist jetzt ziemlich anders geworden, weil ich jetzt weiss, nach einer halben Stunde Stromausfall geht es los mit dem Sterben, weil die Sauerstoffversorgung nicht notstromversorgt ist. Die ersten Patienten liegen auch sehr schnell wund, weil die Dekubitus-Betten nicht mehr funktionieren.
Für den Pflegebereich ist ein Blackout die Katastrophe schlechthin, weil die Einrichtungen keine Vorschriften für eine Notstromversorgung haben und eine Evakuierung in ein Krankenhaus wie bei lokalen Ereignissen nicht möglich sein wird. Aber auch die Medikamentenversorgung ist nicht abgesichert und wird oft nur für wenige Tage von den Apotheken bereitgestellt.
Und Spitäler, die behaupten, sie sind vorbereitet, haben eigentlich nur ihr Notstromaggregat gecheckt. Doch welche Bereiche werden überhaupt notstromversorgt? Wie lange reicht der Treibstoff? Und noch nie – das ist auch die Selbstkritik – ist das Notstromaggregat mehrere Stunden oder sogar länger gelaufen, keiner weiss, was dann wirklich passiert. Wir haben 2019 in Berlin gesehen, wo nach sieben Stunden das Notstromaggregat ausgefallen ist. 23 Intensivpatienten mussten aufwendigst evakuiert werden, was bei einem Blackout nicht möglich sein wird. Man glaubt, man ist vielleicht eh 72 Stunden notstromversorgt, aber am zweiten Tag ist schon oft keine OP mehr möglich, weil Bekleidung und Utensilien fehlen, keine Reinigung mehr möglich ist, die Küchen nicht auf der Notstromversorgung hängen oder die Lebensmittel nur für ein paar Tage reichen. Denn auch wenn der Strom wieder da ist, geht es nicht normal weiter, sondern es müssen erst die Logistikketten wieder anlaufen, was frühestens in der zweiten Woche wieder breiter funktionieren wird.
Frau Dr. Kreitner, wie schaut es bei Ihnen in Deutschland aus?
Kreitner: In Deutschland schaut es ganz genau so aus, wir sind da auch nicht weiter. Die Krankenhäuser denken auch, sie haben ja Notstrom und sind deshalb für ein Blackout vorbereitet. Wenn man Vorträge hält, sieht man nach einer Weile die nachdenklichen Gesichter. Das Personal kommt vielleicht gar nicht mehr zur Arbeit, weil sie mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, die ja auch ausfallen. Es gibt keine Notfallpläne, den Krankenhausbetrieb geordnet runterzufahren oder zu schliessen. Ich frage dann: Überlegen Sie mal, wann müssten Sie dicht machen? Ab wie viel Personal, das nicht mehr kommt, oder wenn die Wasserversorgung ausfällt oder wenn keine Lebensmittel für die Patienten mehr da sind?
Bei den Pflegeheimen und Pflegediensten gibt es auch bei uns in Deutschland keine Vorschriften für die Vorsorge. Wenn sie eine Notstromversorgung haben, dann testen sie oft nicht, weil z.B. nach dem letzten Stromausfall alle Lampen kaputt waren. Ein Heimleiter sagte mir: In seiner spezialisierten Einrichtung öffnen sich die Türen für den geschützten Bereich und dann gehen Patienten raus, die eigentlich nicht rausgehen sollen. Medikamente werden in manchen Heimen einmal in der Woche geliefert, und wenn der Blackout am Tag 5 ist, haben sie noch für zwei Tage Medikamente. Abgesehen davon, dass viele Patienten relativ bald versterben werden, kann es auch zu Aggressionen kommen, wenn entsprechende Medikamente oder auch Schmerzmittel fehlen.
Der Heimleiter wollte auch wissen: Was ist, wenn ich nicht mehr zur Arbeit komme, kann ich da belangt werden? Das heisst, das ist nicht so wie bei Kapitänen, die am Schiff bleiben müssen, sondern das Hauptpersonal sagt vielleicht auch: Meine Familie daheim ist nicht versorgt, ich komme nicht mehr.
Damit wir uns das besser vorstellen können: Herr Saurugg, wie merkt man in einem Spital einen Stromausfall, z.B. unter der Woche, die OPs sind besetzt, die Ambulanz gesteckt voll, was passiert?
Saurugg: Das kommt auf das Krankenhaus und den Bereich an. In kritischen Bereichen wie OP oder auf der Intensivstation würde man nichts bemerken, diese sind entsprechend abgesichert. In den anderen Bereichen ist das sehr unterschiedlich. Die Techniker werden mal viel zu tun bekommen, weil die unterschiedlichsten Alarme ausgelöst werden. Die Frage ist dann, wie bekommt der Rest der Belegschaft mit, dass jetzt eine Ausnahmesituation eingetreten ist und wie sind hier die Abläufe vorbereitet, um möglichst alle zu informieren und eventuell auch Aktivitäten einzustellen? Irgendwann wird man dann feststellen, dass die externe Kommunikation nicht mehr funktioniert.
Auch intern könnte es bald Probleme geben, wenn alle an einer hoffentlich definierten Stelle anrufen wollen, was dann wohl auch nicht funktionieren wird. Daher sind hier vorbereitete Abläufe sehr wichtig, damit nicht das Chaos ausbricht.
Bis der grossflächige Ausfall wirklich offiziell bestätigt wird, wird es hoffentlich nicht länger als maximal zwei, drei Stunden dauern. Und auch da die Frage, woher bekommt man diese Information, wenn die externen Kommunikationsmittel nicht mehr funktionieren?
Dann geht es los: Die Ambulanz-Patienten nachhause schicken, Patienten, die nicht unbedingt eine weitere medizinische Betreuung benötigen, entlassen. Oft wird das halt nicht funktionieren: Erstens wollen manche nicht heim, vor allem Alleinstehende, zweitens werden ohne Vorbereitung keine Transportdienste zur Verfügung stehen. Man muss dann den Patienten klarmachen, dass auch die Ressourcen im Krankenhaus endlich sind.
Und nachdem es bei einem grossflächigen Stromausfall immer zu längerfristigen massiven Versorgungsengpässen kommen wird, geht es vor allem um eine rasche Rationierung von Ressourcen, um zumindest 14 Tage mit dem Material vor Ort durchzukommen bzw. solange nicht wieder eine Folgeversorgung absehbar ist. Denn sonst fällt man dann in ein noch schlimmeres Loch und es kommen noch mehr Menschen zu Schaden.
Das bedeutet auch, dass man rasch auf Katastrophenmedizin und Triage umstellen muss, was für viele kaum vorstellbar ist. Das gehört, wie auch andere Dinge in der Gesundheitsnotversorgung, bundesweit einheitlich geregelt. Etwa, was die Einhaltung von Sicherheitsvorschriften und Normen betrifft. In einer solchen Krise werden wir sehr pragmatisch an die Sache herangehen müssen. Auch was Arbeitszeiten etc. betrifft. Sonst werden wir rasch scheitern.
Dr. Sandra Kreitner,
Notfall- und Krisenmanagerin, ist in der Blackout-Vorsorge-Beratung für Gemeinden, Kritische Infrastruktur, Unternehmen und Bevölkerung tätig. Die Chemikerin und promovierte Biophysikerin ist seit Jänner 2022 auch GfKV-Botschafterin für Bayern.
Herbert Saurugg, MSc, Major a.D.,
ist Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV) und als internationaler Blackout- und Krisenvorsorge-Experte bekannt. Der ehemalige Berufsoffizier ruft seit Jahren zu einer generellen Vorsorge auf.
Auch in der Küche?
Ja! Der Beginn und Umfang des Notbetriebs hängt natürlich auch davon ab, ob gerade eine Zubereitung stattfindet. Wichtig ist, mit den Ressourcen, die vor Ort verfügbar sind, möglichst lange durchzukommen. In Wien z.B. ist ein Katastrophen-Speiseplan vorbereitet, man bietet nur mehr eine eingeschränkte Verpflegung an. Zusätzlich muss auch das Personal mitversorgt werden. Ohne Nachschub kann es ziemlich rasch zu Problemen kommen.
Frau Dr. Kreitner, Sie haben sich intensiv auch mit Pflegeheimen und ambulanten Pflegediensten befasst und Checklisten ausgearbeitet. Was sind hier die Szenarien?
Kreitner: Da kommt es ganz darauf an, ob das Pflegeheim eine Notstromversorgung hat. Wenn ja, dann ist es ähnlich wie auch in den Krankenhäusern. Man versucht, erst mal weiterzumachen. Aber viele haben eben keine Notstromversorgung. Und da ist es tatsächlich so, dass innerhalb der ersten Stunden schon Leute sterben könnten, z.B. beatmete Patienten, wenn sie nicht schnellstmöglich in ein Krankenhaus gebracht werden. Aber das muss koordiniert und vorbereitet sein. Die Rettungsdienste wissen oft gar nicht, wo die heimbeatmeten Patienten sind, die Kommunikation fällt relativ schnell aus und dann ist auch der Notruf nicht mehr möglich. Je nachdem, ob der Akku vom Beatmungsgerät noch länger hält oder ein Zweitakku vollgeladen ist, kann es relativ schnell kritisch werden.
Ähnlich ist es bei Personen, die elektrische Geräte zur Versorgung haben, wie elektrische Spritzenpumpen oder auch bei Heimdialyse. Und wie gesagt, Türen gehen auf oder zu, Lifte bleiben stecken, Leute stürzen, weil es dunkel ist.
Die Patienten sind auch psychisch im Ausnahmezustand, es kann zu Verhaltensänderungen kommen, z.B. bei dementen Menschen oder bei Menschen, die Kriegszeiten erlebt haben, kommt vielleicht ein Trauma hoch. Ohne Strom können sie den Alarm nicht drücken. Es wird ziemlich chaotisch, wenn da nicht vorgesorgt wurde, z.B. mit Handalarmen und Trillerpfeifen.
Bei den ambulanten Pflegediensten ist es so, dass es relativ schnell zu Verzögerungen kommt, weil versucht wird, die Pflege noch irgendwie aufrecht zu erhalten. Wenn da vorher kein Triage-System da ist, welche Patienten sofort versorgt werden müssen und um welche sich vielleicht auch Angehörige kümmern können, wird es bei Stromausfällen bereits innerhalb von acht Stunden zu Verzögerungen kommen, wie Beispiele aus Schweden zeigen. Das Licht ist aus, die Leute sind verunsichert, es gibt vielleicht kein Wasser, die elektronischen Systeme fallen auch bei ambulanten Diensten aus. Wenn die Daten nicht auf Papier vorhanden sind, wissen die Pflegedienste teilweise nicht, welche Medikamente gegeben werden müssen. Und wenn nicht gleich rationalisiert wird, wird es sehr schnell kritisch, auch bei überlebenswichtigen Medikamenten.
Bei mobilen Diensten kommt auch noch der Verkehrsstau dazu, weil viele Leute nachhause wollen.
Kreitner: Ja, nach zwei, drei Stunden geht es los mit dieser Heimfahrwelle, die einige Stunden anhält. Die Leute fahren von der Arbeit erst mal heim, weil keine PCs usw. mehr funktionieren. Dazu kommt das Verkehrschaos durch ausgefallene Ampeln. Die ambulanten Dienste kommen genauso schwer hin wie Rettungsdienste, die zu einem Unfall fahren möchten.
Saurugg: Dann ist die Frage, wie kommen die mobilen Pflegedienste überhaupt ins Haus rein? Häufig gibt es elektronische Zutrittssysteme, also keine Schlüssel mehr. Oft wissen die Mitarbeiterinnen gar nicht, wo sie hinfahren müssen, weil sie die Dienstpläne online bekommen, und sie können auch nicht mehr tanken. Daher ist es so wichtig, die Versorgung dezentral zu organisieren, im nachbarschaftlichen Umfeld, in der Gemeinde. In Feldbach in der Steiermark ist es z.B. so geplant, dass die Pflegedienste die Daten von den aktuell Versorgten an die Leiter der sogenannten Selbsthilfe-Basen übergeben, die dann dezentral eine Notversorgung organisieren.
Was ist mit Arztpraxen und Apotheken? Erst jüngst meldete der Deutsche Apothekerverband (DAV), dass aktuell über 250 Arzneimittel nicht lieferbar seien – ganz ohne Blackout.
Saurugg: Ja, und das Problem ist, dass eine Apotheke im städtischen Umfeld bis zu achtmal pro Tag beliefert wird, weil heute alles «just-in-time» ist. Sie hätten zwar angeblich Arzneimittel für 14 Tage vor Ort, aber das ist Fiktion, meistens sind die Medikamente im Lager des Grosshandels. Sogar manche Krankenhäuser haben kaum mehr Medikamente vor Ort. Viele Apotheken haben Roboterlager, wo man gar nicht dazukommt.
Dann die Frage, wie mache ich es abrechnungstechnisch? Oder was ist, wenn ich substituierte Patienten nicht mehr betreuen kann? Wann wird generell die Hemmschwelle überschritten, dass Menschen auch mit Gewalt versuchen, an Medikamente zu kommen? Apotheken haben in der Regel auch kein Notstromaggregat, weshalb auch die Kühlung von Medikamenten ausfällt. Und auch hier funktionieren die Lieferketten noch länger nicht, auch wenn der Strom bereits wieder da ist. Das heisst, ich kann nur abgeben, was vor Ort verfügbar ist. Auch hier muss überlegt werden, wie man rationieren kann, damit möglichst viele Menschen noch versorgt werden können. Ziel aller Massnahmen muss sein, den gesellschaftlichen Kollaps möglichst lange hinauszuschieben.
Die niedergelassenen Ärzte haben in der Regel auch keine Notstromversorgung oder Notfallplan, elektronische Geräte fallen aus, abrechnungstechnisch geht auch nichts mehr. Hausärzte müssen daher auch in die kommunale Krisenvorsorge eingebunden werden, damit hoffentlich möglichst lange eine dezentrale Notversorgung aufrechterhalten und eine Überlastung der Spitäler verhindert werden kann. Das betrifft auch Ärzte, die in einem anderem Bereich tätig sind, aber aufgrund ihrer generellen medizinischen Ausbildung helfen können: Etwa, weil der Arbeitsplatz nicht erreichbar ist oder das Fachgebiet in diesem Augenblick nicht so relevant ist, man aber trotzdem im eigenen Umfeld oder einem Hausarzt helfen kann. Wir benötigen hier ein völlig unkonventionelles Vorgehen.
Sie haben jetzt vieles angesprochen, aber was sind die wichtigsten zwei, drei Punkte in der Vorbereitung?
Saurugg: Das Erste ist, das Personal sensibilisieren und zur Eigenvorsorge auffordern sowie die Personalverfügbarkeit abklären. Es gibt Krankenhäuser, wo 95 Prozent des Personals von weiter als 50 Kilometer herkommen, und andere, da wohnen 25 Prozent in Fussgehweite und 25 Prozent mit 15 Minuten Autofahrt.
Das andere Thema ist die Sicherheit vor Ort. Wenn mein Krankenhaus mit der Notstromversorgung eine «Lichtinsel» ist und es rundherum finster ist, wird das automatisch hilfesuchende Menschen anziehen. Auch, weil man jetzt fälschlicherweise kommuniziert, dass Krankenhäuser vorbereitet seien. Dieses Thema muss man gemeinsam mit der Gemeinde und der Bevölkerung angehen, damit die, die nur eine gewöhnliche Hilfe suchen, wissen, wo sie hingehen können.
Was auch ganz wichtig ist: Abklärung, ob die Wasserversorgung funktioniert. Wenn nicht, hat sich der Rest auch schnell erledigt. Meine Erfahrung mit Krankenhäusern ist, dass meistens die Technik recht gut aufgestellt ist, aber das Hauptthema ist das Organisatorische: Es geht um interdisziplinäre Arbeit innerhalb des Hauses, aber auch mit externen Partnern, vor allem mit der Gemeinde. Man muss hier aber auch die Gesundheitsbehörden und sonstige Akteure in die Pflicht nehmen, die haben da genauso Koordinierungsaufgaben, die sie derzeit kaum wahrnehmen.
Frau Dr. Kreitner, wie ist das in Pflegeheimen und mobilen Diensten, was ist da das Wichtigste?
Kreitner: Das ist ähnlich wie im Krankenhaus. Das Wichtigste ist, zuerst einmal die Mitarbeiter zu informieren und zu sensibilisieren, damit sie selber vorsorgen und auch weiterhin zur Arbeit kommen können.
Dann empfehle ich dringend eine Notstromversorgung, wenn man noch keine hat, weil sonst wie gesagt Menschen relativ schnell sterben werden. Aktuell sind die Wartezeiten für grössere Notstromaggregate leider relativ lang. Wenn ich mich für diesen Winter noch vorbereiten möchte, muss ich pragmatisch sein, was möglichst schnell und einfach geht. Das kann sein, die Angehörigen zu fragen, ob ein Teil der Pflegebedürftigen nachhause könnte. Dann beim Thema Wasser mit der Gemeinde auch absprechen, wie es mit dem Abwasser ausschaut. Dann die Lebensmittel: Wenn man mit Gas kochen kann, Gasflaschen besorgen, um Suppen, Nudeln oder Reis zu kochen, sonst Lebensmittel kaufen, die man auch kalt essen kann. Dann einen Notfallplan aufstellen, wie viel Personal kann noch kommen? Wo kriegen wir Medikamente her, wenn es Tag 5 oder 6 ist? Mit den Ärzten kann man ausmachen, dass sie einmal pro Tag vorbeikommen usw.
Auch bei ambulanten Pflegediensten ist es wichtig, die Angehörigen zu sensibilisieren, z.B. für Taschenalarm oder ein rotes Blinklicht zu sorgen, damit sie im Notfall auf sich aufmerksam machen können. Oder zu fragen: Könnt ihr ihn mitversorgen, können wir ihn auf der Triage-Liste weiter nach unten setzen? Oder auch mal eine Veranstaltung zu machen, wir bereiten uns als ambulanter Pflegedienst vor, aber es ist wichtig, dass auch daheim vorgesorgt ist, mit Lebensmitteln, Medikamenten, Materialien usw.
Saurugg: Ein Zusatzaspekt bei Lebensmitteln: Wenn es einen lokalen Lieferanten gibt und entsprechende Absprachen und Vorbereitungen getroffen werden, kann das auch funktionieren, was wiederum für eine Stärkung der regionalen Versorgung spricht, welche für eine robuste und krisenfitte Gesellschaft unverzichtbar ist. Wichtig ist die Vorbereitung, weil man dann nicht mehr einfach anrufen und etwas organisieren kann. Es gibt auch überregionale Grosshändler, die Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser automatisch mit einem fertigen Paket beliefern werden. Es ist viel möglich, wenn man die entsprechenden Absprachen und Vorbereitungen sicherstellt. Aber das muss jetzt passieren.
Das heisst, in der «Golden Hour», also die ersten Stunden, wo die Kommunikation noch teilweise funktioniert, gehen sich solche Absprachen nicht mehr aus?
Saurugg: Nein, weil unsicher ist, wie lange die Telekommunikationssysteme überhaupt funktionieren werden, und wenn dann alle gleichzeitig kommunizieren wollen, was zu erwarten ist, kommt es zur Überlastung. Die «Golden Hour» bezieht sich mehr auf das Auslösen von vorbereiteten Massnahmen, um rascher die Chaosphase überwinden zu können. Wenn da noch etwas kommuniziert werden kann, umso besser.
Wie wichtig ist Kreativität? In den Arbeitsvorlagen gibt es das Beispiel mit dem steirischen Pflegeheim Stadl an der Mur mit 35 Stunden Stromausfall wegen der Schneelage, keine Küche, keine Heizung, Schiebetüren offen, es wurde schnell kühler usw. (siehe Chronologie hier). Nach der zweiten Nacht nutzte man ein aufblasbares Whirlpool, gekauft in einem Baumarkt, um 1.200 Liter Wasser aufzuheizen.
Saurugg: Ja, das war der regionale Stromausfall im Bezirk Murau. Hätte der Samariterbund (Heimbetreiber, Anm.) in Graz nicht sofort die Unterstützungsteams mit Notstromaggregaten und Feldküche losgeschickt, wären dort wahrscheinlich Menschen gestorben.
Das Whirlpool-Beispiel zeigt, Improvisieren ist wichtig. Aber das kann ich umso besser, je mehr ich schon vorgedacht habe – es ersetzt nicht die Vorbereitung. Vor allem in einer Situation, wo ich nicht kommunizieren und auch nichts mehr einkaufen kann und mit den vorhandenen Ressourcen auskommen muss.
Man kann natürlich nicht alles vorherplanen. Checklisten sind zwar für einfache Abläufe und vorhersehbare Ereignisse hilfreich und wichtig, aber eine Krise erfordert grosse Flexibilität im Denken und Handeln.
Meine Erfahrung ist auch, wenn ich das Szenario darstelle und was zu tun ist, tritt meistens eine grosse Erleichterung ein, weil man dann feststellt, dass man eigentlich mit einfachen Massnahmen wie der Personalsensibilisierung, der Festlegung von organisatorischen Abläufen usw. schon eine sehr gute Vorbereitung erreichen kann. Da sagen viele, okay, das können wir machen, das gehen wir an.
Kreitner: Das sehe ich genauso. Ich muss pragmatische, einfache Lösungen finden, dazu ist auch Kreativität in der Situation gefragt. Aber ohne Vorsorge hilft die ganze Kreativität dann auch nichts, weil die Situation sehr viel schlimmer ist, wenn man nicht vorgesorgt hat.
Manche Mitarbeiter haben aber die Nase voll von Krisen, wie schaffe ich hier eine Sensibilisierung?
Saurugg: Wenn man das Thema darstellt, was da alles zusammenhängt, dann geht es leichter. Man muss diese persönliche Betroffenheit herstellen und vor allem die familiäre Situation bewusst machen, weil man damit auch ein Eigeninteresse weckt. Das andere: Man muss das Gemeinsame – wir machen das alle – adressieren und auch mit gutem Vorbild vorangehen. In einem Krankenhaus wird man heuer für die Mitarbeiter ein Kurbelradio als Weihnachtsgeschenk verteilen. Man kann dieses Thema durchaus auch mit solchen Incentives verstärken.
Kreitner: Es ist teilweise auch so, dass die Leitungsverantwortlichen Hemmungen haben, ihre Mitarbeiter darüber zu informieren, nicht nur Pflegeheimleiter, teilweise auch Bürgermeister usw., weil sie sagen: Die haben jetzt so viele Krisen gehabt, und wenn ich mit dem Nächsten komme, schürt das ja Panik – was aber nicht der Fall ist.
Wir versuchen es daher eher mit dem Positiven, wie mit der Informationskampagne «Schritt für Schritt – krisenfit». Im infrastrukturkritischen Bereich ist es auch wichtig, daran zu denken, dass Kindergärten und Schulen wahrscheinlich schliessen müssen, sie haben ja auch keine Notstromversorgung. Was mache ich in dem Fall mit den Kindern, kann ich sie vielleicht mitbringen zur Arbeit? Z.B. dass ein Rettungsdienst sagt, wir richten einen Extra-Raum ein.
Wir schauen jetzt auch, dass bei den Katastrophenschutz-Leuchttürmen – in Österreich sind das die Selbsthilfe-Basen – eine Notbetreuung für die Kinder der kritischen Infrastruktur-Mitarbeiter geschaffen wird. Oder auch die organisatorische Vorbereitung: Ist mein Tank immer halb voll, damit ich noch zur Arbeit kommen kann?
Wie haben Sie persönlich vorgesorgt und hat es da schon Szenarien gegeben, wo Sie selber überrascht waren?
Kreitner: Ich habe ganz normal diese persönliche Vorsorge für 14 Tage. Ich habe mehr daheim, muss ich sagen, weil ich im Ort jetzt auch bekannt bin und damit rechne, dass nach einer Weile mehrere Leute vor der Tür stehen werden (lacht).
Wir haben kein Notstromaggregat, weil damit oft auch Unfälle passieren. Wir haben aber einen Kachelofen und einen kleinen Campingkocher und wir haben Stirnlampen, die die Kinder total super finden. Wir haben ja einmal einen Tag stromfrei gemacht, im letzten Dezember, das fanden die Kinder ganz toll.
Was meine grösste Überraschung an unserem Stromausfall-Tag war: Ich habe gefühlt wirklich jede halbe Stunde oder Stunde aufs Handy geschaut, obwohl ich wusste, dass da nichts ist. Das hat mich etwas erschreckt, weil ich mich nicht als so abhängig eingeschätzt habe. Wenn es mir schon so geht, dann denke ich, wird es ganz vielen in der Situation psychisch ganz schwierig gehen. Weil wir über diese Kanäle ganz viele Kontakte nach aussen haben, und das fällt dann flach. Da muss man sich am Anfang wirklich umstellen.
Saurugg: Bei mir ist es ganz ähnlich. Ich habe auch kein Notstromaggregat und rate auch dringend davon ab. Wir wohnen in der Stadt, wo das sowieso keine wirkliche Option ist. Ich habe Lebensmittel für mehrere Wochen, aber an zwei Standorten, das heisst, es gibt auch einen Fluchtplan aufs Land zum Schwiegervater. Ich würde versuchen, bei mir im Grätzl die Ordnungsstruktur aufrecht zu erhalten, und wenn es nicht gehen sollte, fahre ich mit dem Rad nach.
Technisch habe ich vielleicht zu viele Taschenlampen (lacht), ein Radio und ein paar Hilfsmittel. Auch einen Feuerlöscher und Löschdecken, da der Brandschutz in einem solchen Fall sehr wichtig ist, wenn kein Notruf mehr funktioniert.
Das Wichtigste sind wirklich die Lebensmittel und Medikamente. Wenn man Kleinkinder oder Haustiere hat, muss man natürlich zusätzliche Überlegungen anstellen. Etwa bei Aquarien. Und meine überraschende Situation: angekündigte Wasserabschaltung, dann ist Mittagszeit, ich nehme den Wasserkocher – und es ist kein Wasser da. Man ist ein Gewohnheitstier, so wie aufs Handy schauen, Lichtschalter drücken, man macht die Dinge wie auch sonst immer…
Hätten Sie noch etwas, das Sie unseren Leserinnen und Leser vor allem aus dem Gesundheitsbereich ans Herz legen möchten?
Saurugg: Die persönliche Vorsorge ist wirklich das Um und Auf. Gerade im Gesundheitsbereich, wo ich noch länger handlungsfähig bleiben muss und anderen helfen können sollte, ist das die wesentliche Basis. Und das andere: Wir müssen einfach versuchen, es gemeinsam zu schaffen und daher auch dieses interdisziplinäre Herangehen in der Vorbereitung, aber auch zu mobilisieren, dass dann die Nachbarschaftshilfe und die Notnetzwerke funktionieren. Das muss man bewusst ansprechen, weil wir nicht mehr gewohnt sind, Hand anzulegen, sondern es kommt immer irgendwer, der das Problem löst und das wird da nicht funktionieren.
Kreitner: Ja, dem kann ich mich absolut anschliessen. Persönliche Vorsorge, auch organisatorische Vorsorge, gerade in den kritischen Infrastrukturen. Und anfangen, sich einfach mal Gedanken zu machen, was passiert, wenn bei mir daheim der Strom weg ist oder auch in der Praxis oder in der Apotheke? Was funktioniert noch, was nicht mehr und was möchte ich eigentlich noch gern, das weiterhin geht? Oder wie kann ich dann in einen Notbetrieb übergehen? Und bei der persönlichen Vorsorge mal mit einem kleinen Vorrat anfangen, nicht alles auf einmal, sondern Schritt für Schritt beim Einkaufen z.B. einmal einen Kasten Wasser mitnehmen, beim nächsten Mal einen zweiten.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Web-Tipps Blackout-Vorsorge im Gesundheitssystem
Bundesamt für Bevölkerungsschutz. Wenn der Strom ausfällt.
Leitfaden «Mein Krankenhaus auf einen weitreichenden Strom- und Infrastrukturausfall vorbereiten»:
https://www.saurugg.net/krankenhaus
Leitfäden für die persönliche und organisatorische Vorsorge:
https://www.saurugg.net/leitfaden
Masterarbeit von Florian Frühwirth, Blackout im Krankenhaus:
https://www.saurugg.net/wp-content/uploads/2022/09/masterarbeit_fruehwirth-blackout-im-krankenhaus.pdf
Informationsplattform von Dr. Sandra Kreitner:
https://www.stromausfall-wm-sog.de/
Informations-Kampagne des Bayerischen Verbandes für Sicherheit in der Wirtschaft (BVSW): https://www.schritt-fuer-schritt-krisenfit.de/
Arbeitsvorlagen mit Checklisten für Pflegeheime, ambulante Pflege, Kliniken (neu) etc. unter: https://www.schritt-fuer-schritt-krisenfit.de/downloads-und-links/