Medical Tribune
12. Jan. 2017Angst vor sexuellen Aktivitäten

Schwacher Herzmuskel kann zu Flaute im Bett führen

Gegebenenfalls kann aber auch ein Wechsel der Medikation angezeigt sein. Und manche bringt ein PDE-5-Hemmer wieder in Form. 52% der Männer und 38% der Frauen mit Herzinsuffizienz gaben in Studien an, dass Sex für sie wichtig ist und sexuelle Gesundheit ihre Lebensqualität beeinflusst. Aber 60–87% berichteten über sexuelle Probleme – das sind deutlich mehr als ihre herzgesunden Altersgenossen. Etwa ein Viertel der Herzinsuffizienten gibt an, sexuelle Aktivitäten völlig aufgegeben zu haben. Nach Studiendaten weist nur ein Drittel der unter 70-jährigen Patienten ein normales Sexualleben auf.

Thema mehr als nur einmal ansprechen

Viele haben ein vermindertes sexuelles Interesse, Angst vor sexuellen Aktivitäten und/oder Orgasmusschwierigkeiten. Ausserdem kommt vermehrt eine erektile Dysfunktion (ED) hinzu. Die ED trifft zwar insgesamt bis zu 50 % aller 60-jährigen Männer – bei Herzkranken steigt der Anteil aber über 80%.
Auch viele Frauen mit Herzinsuffizienz haben ein beeinträchtigtes Sexualleben – hier stehen der Verlust des sexuellen Interesses, verminderte sexuelle Erregung, Orgasmusschwierigkeiten und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr im Vordergrund, schreibt Professor Dr. Tiny Jaarsma von der Universität Linköping in Schweden. In einer Untersuchung berichteten 80% der Herzinsuffizienz-Patientinnen von Scheidentrockenheit und 76% von häufig nicht erfolgreichen Kohabitationsversuchen.

Sexuelle Probleme können zwar auch schon vor Beginn der Herzinsuffizienz bestehen – oft entwickeln sie sich aber erst im Krankheitsverlauf. Daher sollte das Thema auch nicht nur einmal zu Beginn, sondern immer wieder angeschnitten werden, rät die Kollegin.

Oftmals bestehen Komorbiditäten

Die Ursachen der sexuellen Schwierigkeiten bei Herzinsuffizienz sind komplex: Zum einen sind Symptome wie Kurzatmigkeit, Abgeschlagenheit und Belastungsintoleranz beeinträchtigend. Zum anderen gesellen sich zur Herzinsuffizienz oft zahlreiche Komorbiditäten wie COPD, Diabetes oder KHK, die per se schon mit gehäuften sexuellen Problemen einhergehen.

Ein weiterer kritischer Punkt sind die Nebenwirkungen der bei Herzinsuffizienz eingesetzten Medikamente, die nach Lektüre des Beipackzettels auch von den Patienten häufig angeschuldigt werden. Von Thiaziddiuretika ist z. B. bekannt, dass sie die erektile Funktion vermindern – Digoxin und Mineralokortikoidrezeptor-Agonisten können die sexuelle Leistungsfähigkeit und die Libido beeinträchtigen. Auch Betablocker gelten als nicht gerade förderlich für das Sexualleben – auch wenn die Daten für die neuen Substanzen der dritten Generation in dieser Hinsicht verschieden ausfallen, wie die Wissenschaftlerin schreibt.

Einige Patienten berichteten sogar über eine Besserung der Sexualfunktion nach Einnahme von Betablockern. Die psychologische Erwartungshaltung spiele hier eine grosse Rolle – manchmal helfe schon ein Medikamentenwechsel innerhalb der jeweiligen Substanzgruppe. Wesentlich ist auch die Angst, das kranke Herz durch Sex körperlich zu stark zu stressen. Die Belastung bei einem normalen Geschlechtsverkehr sei etwa so stark wie beim Ersteigen von drei Treppenabsätzen oder bei üblicher Haus- bzw. Gartenarbeit, erklärt die Autorin.

Wechsel zu passiven Praktiken sinnvoll

Hochrisikopatienten sollten sich daher ggf. mit dem Sex zurückhalten, bis sie optimal eingestellt seien und sich die Erkrankung stabilisiert habe. Auch der Wechsel zu passiveren Sexualpraktiken könne in manchen Fällen sinnvoll sein. Für ED-Patienten gelten PDE-5-Hemmer allgemein als geeignete Therapeutika, schreibt die Expertin. Wie bei Bluthochdruck oder stabiler KHK gälten diese Substanzen auch bei kompensierter Herzinsuffizienz als sicher und effektiv. Bei mittlerem kardialem Risiko rät sie aber zur Zurückhaltung bei PDE-5-Hemmern. Und Patienten mit hohem Risiko oder solche, die Nitrate erhalten, sollten gar nicht damit behandelt werden.

Jaarsma T. ESC Heart Failure 2016; online first.