Medical Tribune
4. Dez. 2013Hypothermie

Unterkühlter Patient–Lage analysieren und korrekt aufwärmen

Die Hypothermie ist definiert als Abfall der Körperkerntemperatur unter 35 °C. Neben der induzierten Unterkühlung – z.B. bei Reanimation oder Operationen – gibt es noch die endogene und die akzidentelle.

Als Ursache endogener Hypothermie (zentrales Regulationsversagen) kommen u.a. Tumoren, Insulte, Schädelhirn-Traumata, Hormonstörungen und Verbrennungen infrage. Bei der akzidentellen Form sinkt die Temperatur durch äussere Einflüsse.

Rettungshubschrauber transportiert einen Menschen
iStock/Destonian

Kompensationsmechanismen bei Schwerverletzten reduziert

Am schlimmsten trifft es schwerverletzte Patienten, bei ihnen sind die Kompensationsmöglichkeiten stark reduziert, schreibt Dr. Christian Macke von der Klinik für Unfallchirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover. Man teilt die Hypothermie in drei Schweregrade ein (s. Kasten).

Traumaopfer haben dabei eigene Grenzwerte. Bis zu 66 % aller Unfallopfer – vor allem eingeklemmte – erleiden eine Hypothermie, diese gehört neben Azidose und Koagulopathie zur "tödlichen Trias" des Traumas. Die Letalität steigt bei Schwerverletzten ab einer Körpertemperatur unter 34 °C signifikant an und beträgt 100 % bei weniger als 32 °C.

Im Vergleich dazu liegt sie bei akzidenteller Hypothermie < 32 °C nicht-traumatischer Ursache bei 23 %. Je nach Schweregrad kommt es in verschiedenen Organsystemen zu charakteristischen Störungen (s. Tabelle). Im milden Stadium mit erhöhter sympathischer Aktivität setzt das Kältezittern ein, bei vorliegender Verwirrtheit lässt sich oft ein paradoxes Entkleiden beobachten.

Reduktion der Enzymaktivität um 10%

Bei Vasokonstriktion (Versuch des Körpers, weitere Auskühlung zu verhindern) werden alle metabolischen/enzymatischen Prozesse pro 1 °C (bezogen auf 37 °C) um 10 % reduziert. Das Kältezittern lässt nach, es kommt zur Muskelrigidität. Im EKG sieht man eine verminderte Sinusaktivität, verlängerte PQ-Intervalle, eine negative T-Welle und eine J-Welle (positiver Ausschlag nach dem QRS-Komplex).

Die initiale Hypokaliämie wird durch die entstehende Azidose verstärkt, es drohen Herzrhythmusstörungen. Als prognostisch schlechtes Zeichen gilt mit weiterer Abkühlung die Entwicklung einer Hyperkaliämie bei Azidose.

Verbrennungs-Opfer in Wärmedecken packen

Liegt eine endogene Hypothermie vor, gilt es als Erstes die Ursachen zu beseitigen. Die Autoren mahnen dazu, bei mehr als 20 % verbrannter Körperoberfläche die Brandwunden nicht mehr zu kühlen, sondern Wärmedecken, sterile Verbände und ggf. Hydrogel zu nutzen. Die Räume sollten warm sein, auch wärmende Infusionen kommen in Betracht.

Die akzidentelle Hypothermie kann leicht übersehen werden, zumal bei zunehmendem Temperaturabfall Zeichen wie Zittern, Blässe oder Tachykardie sistieren – insbesondere bei alten Menschen.

Hypothermie auch in warmer Wohnung möglich

Wird ein älterer Mensch nach längerer Liegezeit (z.B. nach Sturz oder Insult) zu Hause gefunden, muss trotz eventuell gut beheizter Wohnung an die Möglichkeit der Unterkühlung gedacht werden.

Bei Intoxikation (Alkohol, Barbiturate, Benzodiazepine) sind ebenfalls Hypothermien zu befürchten, die Prognose ist hier durch die langsamere Auskühlung im Vergleich zu einer schnellen (z.B. Ertrinkungsunfälle) schlechter.

Primäres Behandlungsziel ist es, weitere Auskühlung zu verhindern. Nasse Kleidung wird entfernt und der Patient in eine warme Umgebung gebracht. Rettungsdecken verhindern noch mehr Wärmeabstrahlung.

Bei schwerer Unterkühlung Patienten immobilisieren!

Bei moderater und schwerer Hypothermie müssen die Betroffenen immobilisiert werden, sonst droht der Bergungstod. Denn durch die Zentralisation sammelt sich in der Peripherie extrem kaltes, azidotisches und hyperkaliämisches Blut. Durch Bewegungen kann dieses Blut die Temperatur rapide weiter senken – mit der Gefahr des plötzlichen Herzstillstandes.

Zur Infusion eignen sich vor allem angewärmte Vollektrolytlösungen. Wird der Patient beatmungspflichtig, bevorzugt man Feuchtsysteme mit angewärmter Luft. Darüber hinaus gibt es grundsätzlich drei Möglichkeiten, die Patienten zu erwärmen, die je nach Schweregrad zum Einsatz kommen.

Luftgebläse an Stamm, Leisten und Axilla

Warme Luft wird heutzutage meist über speziell perforierte Decken zugeführt. Um nicht einen ähnlichen Mechanismus wie beim Bergungstod mit Absinken der Kerntemperatur (Afterdrop) zu riskieren, empfehlen viele Autoren, damit nur Körperstamm, Axilla oder Leisten zu versorgen.

Herz-Lungen-Maschine sichert Organperfusion

Die schnellste und effektivste Methode bietet die Herz-Lungen-Maschine (HLM) oder die extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO). Durch die zentrale Erwärmung sinkt die Gefahr des Afterdrops. Ausserdem können die Maschinen bei Herzstillstand die Organ- und Hirnperfusion gewährleisten. Es gibt inzwischen zahlreiche Beispiele von Patienten, die auf diese Weise ohne neurologische Schäden wieder erwärmt werden konnten.

Für viele Traumapatienten kommen die Verfahren aber nicht infrage, weil bei ihnen keine Antikoagulation möglich ist. Dennoch sollte man an diese Möglichkeit denken und notfalls unter Reanimation verlegen, betonen die Unfallchirurgen. Internes Erwärmen wird heute nur noch eingesetzt, wenn externe Massnahmen nicht greifen und keine zirkulatorischen Methoden verfügbar sind.

Am effektivsten, weil am nächsten zum Myokard, ist die Spülung der linken Pleurahöhle durch zwei Thoraxdrainagen. Was die Erwärmungsgeschwindigkeit betrifft, raten die Autoren bei stabilen Patienten zum langsamen Aufwärmen mit etwa 0,5 °C pro Stunde.

Bei schnellem und aggressivem Vorgehen ist zwar eine geringere Frühmortalität zu verzeichnen, dafür steigt die Spätmortalität, meist aufgrund eines akuten Lungen­versagens

Quelle: Christian Macke et al., internist. prax. 2013; 53: 793-802