Medical Tribune
12. Juli 2015

Schutz vor Infektion: wie sinvoll ist Postexpositions-Prophylaxe?

Tier- und Menschenbisse sind Situationen, bei denen man mit einer Antibiotika-Prophylaxe relativ grosszügig sein sollte, schreibt Dr. Marc Fabian Küpper von der Abteilung Infektiologie des Universitätsklinikums Freiburg. Auf jeden Fall ist sie indiziert bei:

  • Knochen- und gelenknahen Bissen (v.a. Hände und Füsse) und Genitalien
  • Menschen- und Katzenbissen
  • Bisswunden, die erst nach > 8-12 Stunden oder unzureichend chirurgisch versorgt werden können
  • Immunsuppression einschliesslich Asplenie

Mittel der Wahl bei Hunde-, Menschen- und Katzenbissen ist Amoxicillin/Clavulansäure für die Dauer von 3-5 Tagen. Haben andere Tiere zugeschnappt, sollte man sicherheitshalber einen Infektiologen oder Mikrobiologen um Rat fragen. Auch unter Antibiotika-Prophylaxe muss die Wunde regelmässig kontrolliert werden, insbesondere auf Osteomyelitis-Anzeichen ist zu achten.

Stichverletzungen
Die häufigste Form der beruflichen Exposition ist die Nadelstichverletzung oder der Kontakt mit infektiösen Körperflüssigkeiten. Gefürchtet sind hier vor allem Hepatitis B und C und die HIV-Infektion. 

Hepatitis B: Das Risiko ist relativ hoch – abhängig von der Art der Verletzung. Bei HBs-AG negativer Indexperson gibt es eine Entwarnung – ist der Status nicht zu ermitteln, wird verfahren wie bei einem positiven Nachweis. Hier kommt es ganz auf den Antikörperstatus des Nadelstichopfers an: 

  • Anti-HBs ≥ 100 IE/l: keine Massnahmen
  • Anti-HBs ≥ 10-99 IE/l: Aktivimpfung
  • Anti-HBs < 10 IE/l: aktive und passive Immunisierung

All das sollte möglichst innerhalb von 48 Stunden nach dem Ereignis passieren.

Eine spezielle HCV-PEP gibt es nicht – hier werden die Betroffenen nur auf Zeichen einer akuten Hepatitis C untersucht.

HIV-Infektion: Das Risiko hängt von der Art der Exposition und der Viruslast der Indexperson ab. Eine PEP wird empfohlen bei hoher Viruslast (über 50 Kopien/ml oder unbekannt) und Inokulation von > 1 ml Blut oder anderen Körperflüssigkeiten mit hoher Viruskonzentration, blutenden perkutanen Stichverletzungen mit zum Beispiel kontaminierten Nadeln oder Skalpellen.

Bei oberflächlichen, nicht blutenden Verletzungen oder Kontakt mit Schleimhäuten oder verletzter Haut kann eine PEP angeboten werden. Keine PEP ist indiziert, wenn über Hautkontakt mit anderen Körperflüssigkeiten (zum Beispiel Urin oder Speichel) berichtet wurde oder bei Kontakt von intakter Haut mit Blut.

Im Falle einer niedrigen Viruslast wird eine PEP nur bei massiver Inokulation empfohlen, bei blutenden Nadelstichverletzungen sollte sie zumindest angeboten werden.

Schnelles Handeln gilt auch hier: Am besten erfolgt die Prophylaxe innerhalb von zwei Stunden, maximal dürfen 72 Stunden vergehen.

Amoxiclav Standard bei Hunde- und Katzenbissen

Eine antivirale Prophylaxe kann bei speziellen Konstellationen indiziert sein. Beispielsweise durch Bisse von Altweltaffen (Zootiere) ist eine Übertragung des Hepatitis-B-Virus möglich – beim Menschen drohen in diesen Fällen schwer verlaufende Enzephalitiden. Generell gehören auch Menschenbisse zur Indikation, etwa wenn der Akteur eine aktive Hepatitis B hatte.

Was ist mit Tollwut? Deutschland gilt seit 2008 bei Landtieren als tollwutfrei – genau wie unsere Nachbarländer (bis auf einige sporadische Fälle in Polen). Eine Ausnahme sind Fledermäuse. Hier sollte man bei möglichen Bissen oder Kratzern sehr “freizügig” mit einer Tollwut-Postexpositionsprophylaxe sein.

Keine Tollwut in Deutschland

Theoretisch können tollwütige Tiere auch eingeschleppt worden sein. Wie lässt sich das Infektionsrisiko abschätzen? Simple Regel: Falls Hund oder Katze nach dem Biss noch zehn Tage leben, waren sie mit Sicherheit zum Zeitpunkt des Bisses nicht infektiös.

Grundsätzlich sollte jede Bissverletzung Anlass sein, auch den Tetanus-Impfstatus zu überprüfen und ggf. nachzuimpfen oder eine passive Immunisierung durchzuführen. Nach ungeschützten oder auch erzwungenen sexuellen Kontakten steht vor allem die Frage nach einer möglichen HIV-Infektion im Raum. Am grössten ist das Risiko bei rezeptivem Analverkehr mit einem virämischen HIV-positiven Partner, schon deutlich geringer bei Vaginal- und minimal bei Oralverkehr.

Nach jedem Biss den Tetanus-Impfstatus überprüfen

Falls möglich, sollte man potenziell infektiöses Sekret rasch mit Seife oder durch Mundspülung entfernen. Küssen oder Kontamination der intakten Haut mit HIV-haltigen Sekreten stellen keine wesentliche Gefahr dar – das Gleiche gilt für Sex mit HIV-Patienten, bei denen die Viren seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze liegen.

Nach einem (bekannten) Risikokontakt oder gemeinsamen Spritzengebrauch sollte möglichst innerhalb von zwei Stunden nach dem Ereignis eine HIV-PEP mit Raltegravir (400 mg 1-0-1) plus Tenofovir-DF/Emtricitabin (245/200 mg 1-0-0) erfolgen. Der Schutzeffekt liegt bei etwa 80 % – serologische Kontrollen müssen also trotzdem durchgeführt werden. Nach mehr als 72 Stunden ist es für die Prophylaxe zu spät.

HIV-Prophylaxe zurückhaltend einsetzen

Sehr häufig ist der HIV-Status vom Sexualpartner unbekannt – hier sollte man mit der Prophylaxe eher zurückhaltend sein. Nach einem sexuellen Missbrauch gilt es auch an eine mögliche antibiotische Prophylaxe zum Schutz vor Gonokokken- und Chlamydieninfektionen zu denken. Auch enger Kontakt zu Personen mit Infektionskrankheiten kann ein Grund für eine Prophylaxe sein.

Postexpositionsbehandlung: Wer erhält was – und wann?
Meningokokken-Infektion:

  • Wer? Bei Kontakt zu oropharyngealen Sekreten des Erkrankten, zu Kontaktpersonen in Einrichtungen für unter sechsjährige Kinder, Haushaltsmitgliedern und engen Kontaktpersonen in Gemeinschafts­einrichtungen
  • Was? Rifampicin 2 x 10 mg/kg Körpergewicht über zwei Tage, alternativ bei Erwachsenen und Jugendlichen Einmalgabe 500 mg Ciprofloxacin Bei passendem Serotyp ggf. zusätzlich Meningokokken-Impfung
  • Wann? Relevante Kontaktperiode sieben Tage vor Erkrankung bis 24 Stunden nach Behandlungsbeginn 

Masern:

  • Wer? Ungeimpfte, nur einmal Geimpfte oder Personen mit unklarem Impfstatus nach jedem möglichen Kontakt
  • Was? MMR-Lebendimpfung (unter Beachtung der Kontraindikationen)
  • Wann? Möglichst innerhalb von drei Tagen nach Exposition

Varizellen:

  • Wer? Ungeimpfte ohne Erinnerung an eine Windpockenerkrankung mit relevanter Exposition zu Windpockenpatienten (Haushaltskontakt, 1 Stunde in einem Raum mit einem Infizierten, “Face-to-face”-Kontakt); Risikopersonen (z.B. ungeimpfte Schwangere, Immundefiziente)
  • Was? Bei Nicht-Risikopersonen Lebendimpfung, bei Risikopersonen Varizella-Zoster-Immunglobulin
  • Wann? Lebendimpfung innerhalb von fünf Tagen nach Exposition, Immunglobuline innerhalb von 96 Stunden 

Influenza:

  • Wer? Ungeimpfte Personen mit hohem Erkrankungs- und Komplikationsrisiko (Früh- und Neugeborene, Hochbetagte, Immundefiziente, bei schweren Lungenerkrankungen) mit direktem Kontakt zu Erkrankten
  • Was? Oseltamivir (1 x 75 mg/d) über zehn Tage
  • Wann? Innerhalb von 48 Stunden nach dem Kontakt

Quelle: Marc Fabian Küpper et al., Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 485-488; DOI: 10.1055/s-0041-101188