Medical Tribune
23. Jan. 2024Was bei der Verordnung von Hormonpräparaten zu beachten ist

Mit der «Pille» gegen menstruelle Migräne

Die menstruelle Migräne ist unter anderem auf Schwankungen des Östrogenspiegels zurückzuführen. Daher ist es naheliegend, Hormone als therapeutische Massnahme einzusetzen. Allerdings sind sowohl Migräne als auch Östrogene unabhängige Risikofaktoren für Schlaganfälle, weshalb eine sorgfältige Abwägung von Nutzen und Risiken erforderlich ist.

Die menstruelle Migräne ist unter anderem auf Hormonschwankungen zurückzuführen.
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Die menstruelle Migräne ist unter anderem auf Hormonschwankungen zurückzuführen.

Die rein menstruelle Migräne bezeichnet Kopfschmerzattacken, die in mindestens zwei von drei Menstruationszyklen ausschliesslich am ersten Tag der Blutung (±2 Tage) auftreten.

Von dieser Form abzugrenzen ist die menstruationsassoziierte Migräne, bei der die Betroffenen auch zu anderen Zeitpunkten Kopfschmerzen haben können.

Menstruelle Migräne durch Östrogenschwankungen

Beide Formen können mit oder ohne Aura auftreten, wie Experten in einer aktuellen Übersichtsarbeit berichten (1). Mehr als die Hälfte der Frauen mit Migräne gibt an, dass ihre Schmerzen auch im Zusammenhang mit der Regelblutung auftreten. Es ist jedoch möglich, dass einige Frauen diesen Zusammenhang überbewerten. Um hier Klarheit zu schaffen, kann die Dokumentation der Attacken mithilfe einer Migräne-App oder eines Schmerztagebuchs hilfreich sein.

Im Menstruationszyklus steigt der Östrogenspiegel um den Eisprung herum an und fällt dann kurz vor der Blutung abrupt ab. Dieser Hormonentzug ist zumindest bei einigen Frauen mit menstrueller Migräne die Ursache für die Schmerzen. Aber auch das Absetzen von Hormonen kann Kopfschmerzen auslösen.

Östrogen wirkt auf das endogene Opioidsystem

Für die Entstehung der Migräne spielt wahrscheinlich eine erhöhte Aktivität im nozizeptiven trigeminovaskulären System eine wichtige Rolle. Dadurch wird unter anderem Calcitonin Gene-Related-Peptide (CGRP) freigesetzt, eine Substanz, die bei Migräne eine entscheidende Rolle spielt.

Östrogen kann die CGRP-Spiegel reduzieren und somit vor Migräne schützen. Das wichtigste Östrogen, 17-Estradiol, überwindet passiv die Blut-Hirn-Schranke, wird im Gehirn lokal synthetisiert und findet dort zahlreiche Östrogenrezeptoren vor. Im Trigeminusganglion gibt es besonders viele Östrogenrezeptoren bei Frauen, deren Aktivierung möglicherweise Schmerzreize beeinflusst.

Östrogenrezeptoren werden aber auch von anderen Hirnstrukturen exprimiert, die ebenfalls bei Migräne oder der allgemeinen Schmerzmodulation eine Rolle spielen. Neben verschiedenen Neurotransmittersystemen beeinflusst Östrogen auch das endogene Opioidsystem, wodurch mehr Enkephalin, ein körpereigenes «Schmerzmittel», produziert wird.

Hormonelle Interventionen gegen die menstruelle Migräne

Zusammenfassend lässt sich sagen: Östrogen schützt nicht direkt vor Migräne, beeinflusst aber verschiedene Mechanismen, die bei der Entstehung der Migräne eine Rolle spielen.

Vor diesem Hintergrund kommen hormonelle Interventionen zur Therapie der menstruellen Migräne infrage. Das Ziel ist es, die Hormonschwankungen auszugleichen und dem schnellen Östrogenabfall entgegenzuwirken. Untersuchungen haben gezeigt, dass die hormonell induzierte Amenorrhö deutlich wirksam bei der Behandlung der menstruellen Migräne ist. Auch Gestagen-Monopräparate und kombinierte Kontrazeptiva haben positive Effekte gezeigt.

Laut den aktuellen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft könnten zur Kurzzeitprophylaxe neben Naproxen oder einem Triptan auch die kontinuierliche Einnahme kombinierter oraler Kontrazeptiva oder von Desogestrel in Betracht gezogen werden. Perkutane Präparate werden eher nicht empfohlen und gelten nur als Zweitlinientherapie.

Bei der Verschreibung ist insbesondere das kardiovaskuläre Risiko der Frauen zu beachten: Migräne, insbesondere in Verbindung mit Aura, gilt als eigenständiger Risikofaktor für Schlaganfälle. Die Einnahme kombinierter oraler Kontrazeptiva mit einem Ethinylestradiolgehalt von mehr als 35 µg erhöht dieses Risiko zusätzlich

Kardiovaskuläres Risiko ist ausschlaggebend

Für Frauen mit normalem kardiovaskulärem Risikoprofil und Migräne ohne Aura empfehlen europäische Fachgesellschaften die kontinuierliche Einnahme eines kombinierten oralen Präparats mit einem Ethinylestradiolgehalt von weniger als 35 µg.

Kombinierte Hormone werden nicht empfohlen für Migränepatientinnen mit Aura und für diejenigen ohne Aura, die weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren haben. Bei einer hochaktiven Migräne mit Aura und einem erhöhten kardiovaskulären Risiko sind kombinierte orale Kontrazeptiva eindeutig kontraindiziert. In solchen Fällen können nicht-hormonelle Verhütungsmethoden oder reine Gestagenpräparate in Betracht gezogen werden.