Medical Tribune
27. Feb. 2017

Rücksichtslose Gewalt gegen Ärzte

GENF – Ob Afghanistan, Syrien, Jemen oder Südsudan. Immer wieder werden Spitäler und medizinische Einrichtungen in Konfliktgebieten bombardiert. Für Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen ist das ein unhaltbarer Zustand. Mit einer Kampagne macht die internationale Hilfsorganisation auf diesen Missstand aufmerksam.

Das Genfer Universitätsspital HUG ist am 3. Oktober 2016 vor einer Zuschauermenge in Licht-Flammen aufgegangen. Auf das Genfer Spitalgebäude wurde ein Lichtspiel projiziert, das Kampfflugzeuge zeigte, die Bomben abwerfen sowie Bilder von Explosionen und Patienten, Ärzten und Pflegern hinter zerbrochenen Fenstern.
Mit dieser Aktion hat Ärzte ohne Grenzen dem Angriff auf das Spital im afghanischen Kundus ein Jahr zuvor gedacht. «Wir sind hier, um unsere Traurigkeit und Bestürzung, aber auch unsere Empörung auszudrücken. Der 3. Oktober bleibt ein schwarzer Tag», sagte die internationale Präsidentin von Ärzte ohne Grenzen Joanne Liu vor der versammelten Menge. Kerzen wurden entzündet.

Spital in Flammen

Beim einstündigen Angriff von US-Kampfflugzeugen am 3. Oktober 2015 auf das Traumatologie-Spital in Kundus kamen 42 Menschen ums Leben. Darunter 14 Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen. Eine Ärztin, die den Angriff damals überlebte, ist Dr. Kathleen Thomas, Sydney. Sie arbeitete in Afghanistan zum ersten Mal für Ärzte ohne Grenzen.
Als die Bomben in den frühen Morgenstunden einschlugen und das Hauptgebäude in Feuer aufging, war Dr. Thomas in einem Schutzraum im Nebengebäude des Spitals. «Nur zwei Stunden zuvor hatte ich meine Intensivpatienten noch gesehen und ihnen versichert, dass das Spital der sicherste Ort sei. Nun wusste ich, dass sie hilflos in ihren Betten verbrannten», so Dr. Thomas.
Das US-Verteidigungsministerium sprach von einem irrtümlichen Angriff und machte dafür menschliche Fehler und Materialversagen verantwortlich. Eine unabhängige Untersuchung des Vorfalls hat bis heute nicht stattgefunden.

Kein Einzelfall

Alleine seit dem 3. Oktober 2015 wurden in Syrien und im Jemen 75 von Ärzte ohne Grenzen unterstützte medizinische Einrichtungen angegriffen. Hinzu kommt, dass Bombardierungen aus der Luft nur ein Teil der Gewalt sind, denen Gesundheitseinrichtungen und deren Mitarbeiter heutzutage in Kriegsgebieten ausgesetzt sind. Exekutionen im Patientenbett, Schüsse, Plünderungen und Todesdrohungen schränken die medizinische Hilfe immer stärker ein – und damit auch den Raum für Menschlichkeit.
«Jedes Mal, wenn wieder ein Spital angegriffen wird, erinnert mich das an meinen überwältigenden Schmerz, als bei noch einem und noch einem Freund, Kollegen und Patienten nur noch der Tod festgestellt werden konnte, während ich mich darauf zu konzentrieren versuchte, den vielen anderen schwerverletzten Menschen zu helfen», sagt Dr. Thomas.

Folgen für die ganze Bevölkerung

Wenn Spitäler nach einem Angriff geschlossen werden müssen, sind Hunderttausende von einem Tag auf den anderen von der Gesundheitsversorgung abgeschnitten. Menschen sterben an einfach behandelbaren Krankheiten oder bleiben ihr Leben lang verstümmelt, weil eine Verletzung nicht rechtzeitig versorgt werden konnte. Als einzige Überlebenschance bleibt vielen Menschen nur noch die Flucht.
Um auf die Thematik der Angriffe auf medizinische Einrichtungen vermehrt aufmerksam zu machen, hat Ärzte ohne Grenzen deshalb die Kampagne mit dem Namen 
#NotATarget ins Leben gerufen. Mit Veranstaltungen, Filmprojekten und Diskussionen thematisiert die Organisation die Angriffe und ihre Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung. «Ein Arzt macht keinen Unterschied, egal zu welcher Partei oder Gruppe ein Patient gehört», sagt Bruno Jochum, Generaldirektor von Ärzte ohne Grenzen in der Schweiz. «Dieser fundamentale Grundsatz wird derzeit aber infrage gestellt. Wir müssen erreichen, dass sich Länder und Konfliktparteien wieder an den Grundsatz halten: Der Arzt Deines Feindes ist nicht Dein Feind. Auch ist es notwendig, dass solche Angriffe öffentlich bekannt und von unabhängigen Instanzen untersucht werden.»
Ärzte ohne Grenzen ist eine internationale, unabhängige, humanitäre Hilfsorganisation, die medizinische Nothilfe für Menschen leistet, die von bewaffneten Konflikten, Epidemien, mangelhaften Gesundheitssystemen oder Naturkatastrophen betroffen sind. Die Einsätze beruhen auf den Grundsätzen der medizinischen Ethik sowie den Prinzipien der Neutralität und Unparteilichkeit. Ärzte ohne Grenzen hilft Menschen in Not – ungeachtet ihrer ethnischen Herkunft, Religion, politischen Überzeugung oder ihres Geschlechts.
Die gemeinnützige Organisation wurde im Jahr 1971 von Ärzten und Journalisten in Paris gegründet. Die medizinische Hilfe steht im Zentrum von Ärzte ohne Grenzen, daneben berichtet die Organisation aber auch über humanitäre Missstände, auf die sie bei ihrer Hilfeleistung stösst. 1999 erhielt sie den Friedensnobelpreis.

Bild: Bei den US-Luftangriffen 2015 wurde das Hauptgebäude des Spitals von Ärzte ohne Grenzen in Kundus zerstört, das Spital ist seither nicht mehr in Betrieb. Foto: Andrew Quilty