Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen: Vorgehen bei Senioren
Knapp ein Viertel der Betroffenen erhält die Diagnose einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung erst jenseits des 60. Geburtstags. Und in naher Zukunft wird jeder dritte Patient mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa älter als 60 Jahre sein. Dabei gibt es entscheidende Unterschiede zwischen jungen und älteren Patienten, die auch Konsequenzen für die Therapie haben.
Unterschiede zwischen jungen und älteren Patienten mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa gibt es bereits im Hinblick auf die Krankheitsmanifestation. Die Colitis ulcerosa betrifft bei älteren Patienten etwa häufiger das linke Kolon, der Morbus Crohn den Dickdarm. Der natürliche Verlauf ist durch eine geringere Progression und Ausdehnung gekennzeichnet.
Operiert werden Ältere aber trotzdem nicht seltener als Jüngere, erklärt Professor Dr. Christian Maaser vom Klinikum Lüneburg (1).
Komorbiditäten und altersbedingte Änderungen bei Immunsystem und Hirnleistung
Die Therapie in höherem Lebensalter wird beeinflusst durch Polypharmazie, Komorbiditäten, nachlassende Immunfunktion, ein verändertes Mikrobiom und Gebrechlichkeit. Komorbiditäten und Gebrechlichkeit sind schwergewichtige Risikofaktoren für Komplikationen im Verlauf einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung und für eine gesteigerte Krankheitsaktivität.
Die Therapie älterer Patienten muss individualisiert erfolgen. Was man bei einem gut beweglichen, schlanken 75-Jährigen ohne Komorbiditäten gut einsetzen kann, kann für einen multimorbiden, schwer behinderten Gleichaltrigen völlig ungeeignet sein. Für die Auswahl der Medikamente braucht man deshalb eine Risikostratifizierung.
Vor allem Kortikosteroide tun älteren Patienten nicht gut. Sie führen zu verlängerten Spitalaufenthalten und zu mehr Osteoporose-bedingten Frakturen. Sie verschlechtern bestehende andere Erkrankungen wie Diabetes und Hypertonie und können die kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigen. Zudem erhöhen sie das Infektionsrisiko. Steroide müssen deshalb kritisch eingesetzt und Langzeittherapien (auch in niedriger Dosis) vermieden werden.
Azathioprin macht im fortgeschrittenerem Alter ebenfalls vermehrt Probleme. Das Risiko für Lymphome, Hautkrebs und Infektionen ist erhöht. Die Interaktion mit Allopurinol und Vitamin-K-Antagonisten muss bedacht werden.
Ältere sprechen weniger gut auf Vedolizumab an
Ein gesteigertes Infektions- und Mortalitätsrisiko bringt bei Senioren auch der Einsatz von Anti-TNF-alpha-Therapien mit sich. Für den Integrinantagonisten Vedolizumab lassen retrospektive Langzeitdaten erkennen, dass das Infektionsrisiko bei Menschen ≥ 65 Jahren vergleichbar mit dem bei jüngeren ist. Allerdings sprechen Ältere nicht ganz so gut an wie Jüngere, vor allem bei der Colitis ulcerosa. Eine aktuelle Metaanalyse von Studien mit TNF-a-Blockern, Vedolizumab und Ustekinumab konnte wiederum einen Unterschied zwischen den Substanzgruppen im Infektionsrisiko nicht bestätigen.
Das grössere Problem in der Praxis stellt die Kombinationstherapie dar, so Prof. Maaser. Kombiniert man Steroide mit Anti-TNF-a-Blockern, verdoppelt sich das Risiko für opportunistische Infektionen. Solche Kombinationen kommen für ältere Patienten deshalb nicht in Betracht.
JAK-Inhibitoren muss man bei schwerer Nierenfunktionsstörung in der Dosis angepassen. Bisher mangelt es an Daten mit diesen Wirkstoffen bei älteren Patienten. Es gibt Hinweise darauf, dass JAK-Inhibitoren das Risiko für schwere Infektionen, thromboembolische Ereignisse und Malignome erhöhen können. Beachtet werden müssen auch Interaktionen, z.B. mit Ketoconazol oder Clarithromycin.
Nicht jeder Durchfall ist ein Krankheitsschub
Begrenzt ist die Datenlage bei älteren Patienten auch für den S1P-Modulator Ozanimod, der deshalb nur mit Vorsicht nach Abklärung von Komorbiditäten eingesetzt werden sollte. Ozanimod kann intermittierend Bradykardien verursachen. Kontraindiziert ist es nach Myokardinfarkt in den letzten sechs Monaten sowie bei schwerer Herzinsuffizienz, einem Schlaganfall oder einem AV-Block 2. oder 3. Grades.
Um die Medikamente gegen chronisch-entzündliche Darmerkrankungen im Einsatz bei Senioren sicherer zu machen, braucht jeder über 60-Jährige einen Impfschutz gegen Influenza, Pneumokokken und Herpes zoster. Hüten muss man sich vor Verschreibungskaskaden. Nicht jeder Durchfall ist ein Krankheitsschub, der eine Eskalation der Therapie erfordert.
Die chirurgische Behandlung kann sinnvoll sein, wenn es Probleme mit der Medikation gibt. «Aber nicht therapieren ist niemals eine Alternative», so Prof. Maaser. Denn eine chronische Entzündungsaktivität verschlechtert auch andere Erkrankungen.
Quelle
- Viszeralmedizin 2022, 12.-17. September 2022, Hamburg