Medical Tribune
24. Aug. 2015Patient mit Colitis ulcerosa oder M. Crohn

Kann Pflanzliches Ihren Patienten helfen?

Etwa jeder vierte Patient mit Colitis ulcerosa oder M. Crohn hat bereits Phytotherapeutika ausprobiert. Zur klinischen Effektivität der «natürlichen» Heilmittel gibt es allerdings nur wenige belastbare Studiendaten. Was weiss man?

Das Interesse von Patienten mit einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung (CED) an naturheilkundlichen oder komplemen­tärmedizinischen Therapieverfahren  ist gross: 80 % können sich vorstellen, diese Methoden irgendwann einmal auszuprobieren. Doch deren Wirkungen seien oft nicht eindeutig belegt, so Privatdozent Dr. Michael Scharl von der Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie des UniversitätsSpitals Zürich. Auch potenzielle Schädigungen bzw. Nebeneffekte, die von den Wirkstoffen ausgingen, blieben häufig unklar – z. B. bei Präparaten gemäss traditioneller chinesischer Medizin. Der Experte gibt einen aktuellen Überblick zu Phytotherapeutika, nach denen CED-Patienten häufig fragen:

Flohsamen:

Durch Fermentierung zu kurzkettigen Fettsäuren wirken gemahlene Flohsamenschalen antientzündlich. Ausserdem erhöhen sie als Quellmittel das Stuhlvolumen und regulieren die Darmperistaltik. Bei Patienten mit Colitis ulcerosa erwiesen sich Flohsamen in einer prospektiven, randomisierten, Open-Label-Studie zur Remissionserhaltung nach zwölfmonatiger Therapie als ebenso wirksam wie Mesalazin.

Weihrauch:

Der Trockenextrakt aus der Rinde von Boswellia serrata wirkt antientzündlich durch Hemmung der Leukotrien-Synthese und der 5-Lipooxygenase. Das Mittel kann in Tablettenform eingenommen werden; ulzerogene Effekte sind offenbar nicht zu befürchten. Bei Patienten mit chronischer Kolitis bzw. Colitis ulcerosa zeigte das Phytotherapeutikum in puncto Remissionsinduktion vergleichbar gute Effekte wie Sulfasalazin. Dies ging aus zwei offenen, nicht randomisierten Studien hervor. Überprüft wurde die Effektivität des Mittels auch bei Crohn-Kranken: Zur Remissionsinduktion erwies sich eine Therapie mit Weihrauchtabletten als gleich wirksam wie Mesalazin. Doch einer Multicenterstudie zufolge schnitt Weihrauchextrakt dabei nicht besser ab als Placebo.

Myrrhe – Kamille – Kaffeekohle:

Die Kombination aus Myrrheharz, Kamillenblütenextrakt und gemahlenen sowie gerösteten Früchten von Coffea arabica zeigt antidiarrhöische, antimikrobielle und antiphlogistische Effekte (u. a. durch COX-2-Hemmung). Bei Colitis-ulcerosa-Patienten schnitt die Kombination zur Remissionserhaltung nach zwölf Monaten etwa genauso gut ab wie Mesalazin, wie eine prospektive, randomisierte, doppelblinde Studie ergab.

Blutwurz:

Adstringierend, antiseptisch und antioxidativ wirkt der getrocknete Extrakt aus dem Tormentill-Wurzelstock. Er ist reich an Tanninen und als Tee, Tinktur oder Fertigpräparat erhältlich. Eine Open-Label-Dosis-Eskalationsstudie mit Kolitis-Patienten zeigte, dass der Colitis-Activity-Index (CAI) nach Einnahme des Extrakts signifikant abfiel.

Gelbwurz:

Der Trockenextrakt aus der Curcumalonga-Wurzel enthält Curcuminoide und ätherische Öle. Antiinflammatorische, antioxidative und tumorprotektive Effekte konnten demonstriert werden. Erhältlich ist das Phytotherapeutikum als Tinktur oder Fertigpräparat. Komplementär zu Mesalazin oder Sulfasalazin bei Colitis-ulcerosa-Patienten eingesetzt, zeigte sich in einer prospektiven, randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie nach sechsmonatigem Therapieregime eine signifikante Reduktion der Rezidivhäufigkeit.

Wermut:

Das getrocknete Kraut von Artemisia absinthium enthält Bitterstoffe. Sie fördern die Speichel- und Magensaftproduktion, steigern den Tonus und regen die Darmperistaltik an. In einer doppelblinden, randomisierten Studie überprüfte man die Effekte dieses Mittels bei Crohn-Patienten. Durch komplementäre Gabe von Wermut zur Steroidtherapie konnten Kortiko­steroide eingespart werden, ausserdem führte das Regime teilweise zur Remissionsinduktion.

Aloe-vera-Gel:

Bei Patienten mit leichter bis mässiggradiger Colitis ulcerosa prüfte man die Effekte einer oralen Applikation von Aloe-vera-Gel. Darunter fanden sich signifikante Verbesserungen in puncto Remissionsinduktion und klinischem Ansprechen. Allerdings muss beachtet werden, dass nach oraler Gabe gastrointestinale Symptome und Elektrolytentgleisungen auftreten können.

Weizengrassaft:

Der frisch gepresste Saft aus den reifen Sprossen von Triticum aestivum scheint antioxidative Effekte zu haben. Bei Patienten mit aktiver, distaler Colitis ulcerosa wurde die Effektivtität in einer doppelblinden, randomisierten, placebokontrollierten Studie geprüft. Täglicher Konsum von 100 ml frisch gepresstem Weizengrassaft über einen Zeitraum von vier Wochen führte dazu, dass der Symptom-Score signifikant sank und auch rektale Blutungen deutlich nachliessen.

Heidelbeeren:

Die Früchte von Vaccinium myrtillus sind besonders reich an Anthocyanen. Sie wirken antiinflammatorisch, antioxidativ, adstringierend und mild antiseptisch. Sowohl Heidelbeersaft als auch getrocknete Früchte bzw. Anthocyan-extrakt können verwendet werden.

Tierexperimentell wies man nach, dass nach Applikation des Phytotherapeutikums die Kolitis-Aktivität nachliess. Eine offene, prospektive Pilotstudie wurde bei Patienten mit leichter bis mässig aktiver Colitis ulcerosa durchgeführt: Sie erhielten komplementär zur Standardmedikation Müsliriegel auf Heidelbeerbasis (600 g frische Beeren pro Tag, sechs Wochen lang). 64 % der Behandelten kamen in klinische Remission (CAI < 4), und 91 % der Teilnehmer sprachen generell auf das Phytoregime an (Reduktion des CAI um mindestens drei Score-Punkte). Nach Absetzen der heidelbeerhaltigen Kostform fiel der Mayo-Score um durchschnittlich drei Punkte (6,5 auf < 3,6). Die Studienteilnehmer wurden ausserdem vor und nach der Ernährungsintervention koloskopiert. Dabei wies man sowohl makroskopisch als auch mi-kroskopisch eine Abnahme der Entzündungsaktivität nach. Bei der Stuhldiagnostik bestätigten sich diese Befunde: Der Calprotectin-Wert fiel von initial durchschnittlich 778 µg/g Stuhl nach sechswöchiger Heidelbeer-Diät bis auf 305 µg/g Stuhl. Als Wirkmechanismus von Heidelbeerextrakt vermuten die Experten eine Hemmung der IFN-gamma-vermittelten, entzündungsfördernden Effekte in Immunzellen. Geplant ist eine Studie zur oralen Applikation von Heidelbeeren bei Patienten mit Pancolitis ulcerosa.

Spermidin:

Verschiedene Nahrungsmittel, z. B. Pilze, Cashewkerne und Erbsen, enthalten grosse Mengen Spermidin. Als natürlicher Zellbestandteil ist das Polyamin an verschiedenen zellulären Vorgängen beteiligt, z. B. Regeneration, Proliferation und Überleben. Experimentell konnte gezeigt werden, dass Spermidin im Darm bei chronischer Kolitis vermindert ist. Im Mausmodell besserten Spermidin-Applikationen die Kolitis-Symptomatik, auch makroskopisch und his­tologisch wies man weniger pro-entzündliche Effekte nach. Geplant ist eine Studie zur rektalen Applikation von Spermidin bei Patienten mit distaler Colitis ulcerosa.

26. Interdisziplinäres Symposium «Chronisch entzündliche Darmerkrankungen» der Falk Foundation im Rahmen des 121. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin