Medical Tribune
15. Okt. 2024Neurodermitis-Therapie im Wandel

Atopische Dermatitis bei Kindern und Erwachsenen

Die atopische Dermatitis («Neurodermitis») betrifft in erster Linie Kinder, tritt aber auch bei Erwachsenen auf. Diese chronisch-entzündliche Hauterkrankung, die mit starkem Juckreiz und Ekzemen einhergeht, hat viele multifaktorielle Ursachen. Dr. Andrea Stillhard, Oberärztin am Institut für Dermatologie und Venerologie des Stadtspitals Zürich, erläutert in einem Vortrag die wichtigsten Herausforderungen bei der Diagnosestellung und Therapie.

Bei Kindern, jungen und älteren Erwachsenen kann die atopische Dermatitis unterschiedlich aussehen.
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Die atopische Dermatitis (AD) ist eine chronisch-rezidivierende Hauterkrankung, die etwa 20 Prozent aller Kinder betrifft. Bei den meisten Kindern heilt die Erkrankung im Laufe der Zeit aus.

Unter den Erwachsenen sind rund vier bis fünf Prozent betroffen.

«Interessanterweise hat sich die Prävalenz der atopischen Dermatitis in den letzten 30 Jahren verdoppelt», so Dr. Stillhard.

Ursachen der atopischen Dermatitis

Atopische Dermatitis ist eine multifaktorielle Erkrankung.

Eine wichtige Rolle spielt die genetische Veranlagung, auch als Atopie bezeichnet, bei der eine Überempfindlichkeit gegenüber Umweltallergenen besteht. Wenn beide Elternteile eine Atopie aufweisen, liegt das Risiko für das Kind, ebenfalls eine atopische Erkrankung zu entwickeln, bei über 50 Prozent.

Ein weiterer Schlüsselfaktor ist eine gestörte Hautbarriere. Diese wird die durch genetische Mutationen verursacht, und geht etwa aus einem Filaggrinmangel hervor. Diese Störung führt zu erhöhter Hauttrockenheit und einer geschwächten Schutzfunktion, was das Eindringen von Allergenen erleichtert. Zusätzlich können neurogene Faktoren wie Stress sowie hormonelle Einflüsse, etwa in der Schwangerschaft oder in bestimmten Lebensphasen, die Symptome verschlimmern.

Auch das Immunsystem spielt eine wesentliche Rolle, insbesondere gewisse Zytokine (z.B. IL-4 und IL-13), die in den letzten Jahren intensiv erforscht wurden.

Umweltfaktoren wie Hausstaubmilben oder das Tragen von Wolle gelten ebenfalls als mögliche Triggerfaktoren, die den Juckreiz verstärken und den Krankheitsverlauf verschlechtern können.

Klinische Anzeichen und Diagnose

Je nach Alter können sich die betroffenen Hautbereiche bei der atopischen Dermatitis unterscheiden. Während bei Kleinkindern häufig der gesamte Körper betroffen ist, sind es bei Kindern und Erwachsenen vor allem Arme und Beine, bei Erwachsenen zusätzlich das Gesicht und die Hände (siehe Grafik).

Die atopische Dermatitis betrifft je nach Alter unterschiedliche Körperbereiche.
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Die atopische Dermatitis betrifft je nach Alter unterschiedliche Körperbereiche.

Die Diagnose der atopischen Dermatitis basiert auf einer Kombination aus Haupt- und Nebenkriterien. Zu den Hauptkriterien zählen

  • Starker Juckreiz,
  • Die typische Morphologie und Verteilung der Ekzeme
  • Ein chronisch-rezidivierender Verlauf
  • Eine positive Familienanamnese für atopische Erkrankungen (Asthma, allergische Rhinitis, atopisches Ekzem)

Die Nebenkriterien umfassen unter anderem

  • Trockene Haut
  • Erhöhte IgE-Werte
  • Palmare Hyperlinearität
  • Trockene Lippen (Cheilitis),
  • Doppelte Lidfalten (Dennie-Morgan-Falte)
  • Pityriasis alba (weisse Flecken, häufig bei Kindern)
  • Laterale Rarifizierung der Augenbraue (Hertoghe-Zeichen)
  • Juckreiz beim Schwitzen
  • Unverträglichkeit gegen Wolle
  • Weisser Dermographismus

Für die Diagnosestellung sollten zumindest drei der Hauptkriterien sowie drei Nebenkriterien erfüllt sein.

Differentialdiagnosen

Die atopische Dermatitis ist leicht mit anderen Hauterkrankungen zu verwechseln, darunter Psoriasis, Skabies (Krätze) oder Kontaktdermatitiden, wie etwa Windeldermatitis bei Kindern. Bei Säuglingen und Kleinkindern sollte man auch an Hautinfektionen denken, oder in sehr seltenen Fällen an hereditäre Dermatosen.

Komplikationen und schwere Verläufe

Zu den schwereren Verlaufsformen und Notfällen bei atopischer Dermatitis zählen das Ekzema herpeticatum (verursacht durch das Herpes-simplex-Virus [HSV]), sowie die Impetigo contagiosa, eine bakterielle Superinfektion mit honiggelben Krusten. Diese Komplikationen treten vor allem im Kindesalter auf und erfordern sofortige ärztliche Behandlung.

Atopische Dermatitis im Kleinkindalter

Bei Kleinkindern präsentiert sich die atopische Dermatitis häufig als eine weitflächige Beteiligung des gesamten Körpers, mit Ausnahme der Windelregion, da hier ein feuchteres Milieu herrscht, das den Ausbruch der Ekzeme verhindert. Charakteristisch für das frühe Kindesalter sind nässende Ekzeme, insbesondere im Gesicht, die durch Speichel oder Nahrungsreste zusätzlich verschlimmert werden können.

Im Schulalter wandelt sich das Erscheinungsbild: Die Ekzeme treten dann verstärkt an den Beugen der Arme und Beine auf. Eine besondere Form der AD bei Kindern ist der sogenannte «atopische Winterfuss», bei den hartnäckigen und schmerzhaften Ekzemen an den Füssen auftreten. Obwohl dies eine Minimalform der Neurodermitis ist, kann sie zu erheblichen Beschwerden führen und sollte ernst genommen werden.

Atopische Dermatitis bei älteren Erwachsenen

Auch im höheren Alter kann atopische Dermatitis auftreten, wenn auch seltener. Studien schätzen eine Prävalenz von etwa zwei bis drei Prozent bei über 60-Jährigen.

Bei älteren Menschen kann sich die AD oft unspezifisch zeigen, wobei Juckreiz und trockene Haut (Prurigo) im Vordergrund stehen. In einigen Fällen kann eine Erythrodermie, eine generalisierte Rötung und Entzündung der Haut, auf eine atopische Dermatitis hinweisen.

Da die Symptome bei älteren Erwachsenen oft schwer von anderen Hauterkrankungen zu unterscheiden sind, ist eine gründliche Differenzialdiagnose unerlässlich. Besonders an Erkrankungen wie das T-Zell-Lymphom oder allergische Kontaktdermatitiden sollte man denken, weshalb Dr. Stillhard empfiehlt, in unklaren Fällen grosszügig Biopsien durchzuführen.

Therapieansätze und Prognose

Die Behandlung der atopischen Dermatitis richtet sich nach dem Schweregrad der Erkrankung. Eine grundlegende Massnahme ist die Basistherapie zur Rückfettung der Haut, um die Hautbarriere wiederherzustellen.

Dabei kommen Cremen und Lotionen zum Einsatz, die neben einer Fettkomponente auch juckreizlindernde Inhaltsstoffe wie Polidocanol oder hautstabilisierende Stoffe wie Milchsäure enthalten können. Pflanzliche Öle wie Kokosnussöl oder Sonnenblumenöl können unterstützend wirken, jedoch wird von Olivenöl aufgrund seiner austrocknenden Eigenschaften abgeraten.

Bei leichten, moderaten bis schweren Fällen werden zusätzlich topische Steroide und Calcineurin-Inhibitoren eingesetzt.

Ein spezifisches Therapieschema, insbesondere bei Kindern, sieht eine mehrtägige Anwendung von kortikosteroid-haltigen Cremen vor, gefolgt von einer Pause. Dr. Stillhard betont, dass die Anwendung von Kortison-Cremen am Körper (Klasse III) für drei bis vier Tage pro Woche auch langfristig sicher ist. Bei Säuglingen und Kleinkindern können die Cremes verdünnt oder Okklusiv (unter Verbänden) angewendet werden, um die Wirksamkeit zu steigern.

Bei unzureichender Wirkung kommen Lichttherapie und Systemtherapien wie Biologika oder JAK-Inhibitoren zum Einsatz. Dupilumab, ein Biologikum, das als Spritze verabreicht wird, hat sich als wirksame Therapie erwiesen.

Vor Beginn einer Systemtherapie sollte man die Impfungen des Patienten auffrischen. Besonders entscheidend ist die Herpes-Zoster-Impfung ab 50 Jahren, die vor einer Therapie mit JAK-Inhibitoren unbedingt durchgeführt werden muss. Während einer Biologika-Behandlung sind Lebendimpfstoffe kontraindiziert.

Prävention, neue Therapien und Ausblick

Die Prävention spielt eine zentrale Rolle bei der atopischen Dermatitis. Eine frühzeitige, breite Einführung von Nahrungsmitteln ab dem fünften Lebensmonat kann zur Toleranzentwicklung beitragen und das Risiko von Nahrungsmittelallergien minimieren. Studien deuten auch darauf hin, dass das Halten eines Hundes (der nach Draussen darf) in der Familie eine schützende Wirkung haben kann, während Katzen weniger empfehlenswert sind.

Dr. Stillhard hebt hervor, dass derzeit intensiv an der Erforschung von Umweltallergenen, dem Hautmikrobiom, sowie genetischen und epigenetischen Faktoren geforscht wird, um neue, bessere Therapien zu entwickeln. Zu den vielversprechenden neuen Ansätzen zählen unter anderem die Injektionstherapien mit einem weiteren IL-13-Rezeptor-Antagonisten sowie Anti-OX40-Antikörpern, die sich noch in klinischen Studien befinden.