Medical Tribune
15. Juni 2023Sexuell übertragbare Erkrankungen sind auf dem Höhenflug

Syphilis & Co. erkennen und adäquat behandeln

Zur erfolgreichen Therapie der Syphilis, Gonorrhö oder anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen gehört neben einer adäquaten Medikation eine Beratung zum Thema Prophylaxe. Essenziell ist es zudem, dass Betroffene ihre Sexualkontakte zeitnah benachrichtigen.

Fotografie eines männlichen Bauches mit makuloesem exanthem aufgrund Syphilis-Erkrankung.

Das stammbetonte makulöse Exanthem ist ein charakteristischer Befund bei Patienten mit Syphilis im Sekundärstadium.

Die Syphilis (Lues) tritt in 85 Prozent der Fälle bei Männern auf, die Sex mit Männern haben (MSM). Sie kann sich hinter vielfältigen Symptomen verstecken und verläuft in drei Stadien. Zehn Tage bis drei Monate nach der Infektion tritt dabei der Primäraffekt auf. An der Eintrittspforte bildet sich ein scharf begrenztes, induriertes und schmerzloses Ulkus, das meist von selbst abheilt, schreiben deutsche Experten in einer aktuellen Übersichtsarbeit (1).

Grippeähnliche Symptome und Lymphknotenschwellungen nach neun bis zwölf Wochen zeugen hingegen bereits vom Sekundärstadium. Ein klassisches Merkmal ist ausserdem das stammbetonte, nicht juckende Exanthem (siehe Abbildung). An der Mundschleimhaut kann es zu Plaques kommen. Weitere mögliche Kennzeichen sind Condylomata lata und Haarausfall (Alopecia syphilitica). Auch in diesem Stadium bilden sich die Symptome eventuell noch spontan zurück.

Herz- und Hirnbeteiligung erst in späten Stadien

Bei Erregerpersistenz entwickeln sich im Rahmen der Tertiärsyphilis nach Monaten bis Jahren destruierende Granulome, auch Gummen genannt. Ausserdem ist mit einer zerebralen und kardialen Beteiligung zu rechnen. Eine unbehandelte Syphilis bei Schwangeren kann zum Spätabort führen oder eine Syphilis connata des Neugeborenen zur Folge haben.

Die Primärdiagnostik erfolgt in der Regel mit dem TPPA- oder TPHA-Test (siehe Kasten). Positive Befunde werden im Anschluss mit dem FTA-Abs-Test bestätigt. Zur Einschätzung der Krankheitsaktivität dienen zudem VDRL- und RPR-Kontrolle. Die Differenzierung zwischen einer aktiven, therapiebedürftigen und einer ausgeheilten oder behandelten Infektion ist auch mit diesen Verfahren nicht immer möglich und kann nur zusammen mit Anamnese und Vorbefunden gemacht werden.

Gängige Testverfahren zum Nachweis der Syphilis

  • TPPA: Treponema-pallidum-Partikel-Agglutinationstest
  • TPHA: Treponema-pallidum-Hämagglutinationstest
  • FTA-Abs-Test: Fluoreszenz-Treponema-Antikörper-Absorptionstest
  • VDRL: veneral disease research laboratory
  • RPR: rapid plasma reagin

Neurosyphilis mit hohen Penicillin-Dosen kurieren

Zur Therapie der Frühsyphilis (kürzer als ein Jahr) wird die einmalige Injektion von Benzathin-Benzylpenicillin G 2,4 Mio. IE empfohlen (siehe Kasten). Bei einer Allergie können Ceftriaxon oder Doxycyclin verabreicht werden.

Patienten mit Spätsyphilis (länger als ein Jahr oder unbekannte Dauer) sollten das lang wirksame Depot-Penicillin dreimal injiziert bekommen (Tag 1, 8, 15). Alternativ können Ceftriaxon i.v. über 14 Tage oder Doxycyclin oral über vier Wochen appliziert werden. Zur Behandlung der Neurosyphilis werden erheblich höhere Dosen benötigt, beispielsweise Penicillin G 24–30 Mio. IE verteilt auf drei Einzeldosen über 14 Tage.

Therapiemöglichkeiten bei Syphilis

Frühsyphilis (< 1 Jahr):

  • Benzathin-Penicillin G 2,4 Mio. IE einmalig i.m.
  • bei Penicillin-Allergie Ceftriaxon 2 g täglich i.v. über 10 Tage oder Doxycyclin 100 mg 2 × täglich oral über 28 Tage
  • zur Prophylaxe einer Jarisch-Herxheimer-Reaktion Prednisolon 1 mg/kgKG p.o. oder i.v. eine Stunde vor der ersten Penicillin-Gabe

Spätsyphilis (> 1 Jahr):

  • Benzathin-Penicillin G 2,4 Mio IE 3 × i.m. (jeweils an Tag 1, 8 und 15)
  • bei Penicillin-Allergie Ceftriaxon 2 g täglich i.v. über 10–14 Tage oder Doxycyclin 100 mg 2 × täglich oral über 28 Tage

Ausserdem sollte der Patient beim Nachweis einer primären Syphilis alle Sexualpartner der letzten drei Monate informieren, bei sekundärer die der letzten zwölf Monate. Nach einem relevanten Kontakt mit potenziell erregerhaltigem Sekret wird eine Postexpositionsprophylaxe analog der Frühsyphilis-Therapie empfohlen.

Was tun bei Chlamydien und Gonorrhoe?

Weitere häufige Erreger sexuell übertragbarer Erkrankungen sind Chlamydia trachomatis und Neisseria gonorrhoeae. Je nach Sexualpraktik kann sich eine Urethritis oder Proktitis entwickeln, bei Frauen zudem eine Zervizitis. Die Erkrankung macht sich typischerweise mit Brennen und Schmerzen beim Wasserlassen oder bei der Defäkation bemerkbar. Verdächtig ist auch ein glasiger bis eitriger Ausfluss. Oft bestehen aber gar keine Beschwerden, was die Ausbreitung begünstigt.

Aufsteigende Infektionen treten eher selten auf, können aber gravierende Spätfolgen auslösen. Männern drohen Prostatitis, Vesikulitis und Epididymitis. Frauen erkranken möglicherweise an einer Adnexitis, auch «pelvic inflammatory disease» (PID) genannt. Das Spektrum der Symptome reicht von Unterbauchschmerzen, Dyspareunie und atypischen Blutungen bis zu Fieber, Peritonitis und (Peri-)Hepatitis. Zu den Folgen postentzündlicher Verwachsungen zählen chronische Schmerzen, extrauterine Schwangerschaften und Sterilität. Als Spätfolge beider Infektionen kann sich nach Tagen bis Wochen eine reaktive Arthritis entwickeln.

Bei dringender Therapieindikation einmalige Kombinationstherapie empfohlen

Der Erregernachweis erfolgt meist mit dem Nukleinsäure-Amplifikationstest aus Abstrichmaterial, bei Männern auch aus dem Erststrahlurin. Wegen zunehmender Anti­biotika­resistenzen wird bei der Gonorrhö eine Kultur und Resis­tenztestung empfohlen.

Bei Chlamydien­-Infektionen sollte vorzugsweise Doxycyclin (2 × täglich 100 mg oral über sieben Tage) zum Einsatz kommen. Mittel der zweiten Wahl ist Azithromycin (1,5 g als Einzeldosis). Zur Therapie der Gonorrhö eignet sich Ceftriaxon (1–2 g i.v. oder i.m.) als Einmalgabe. Azithromycin sollte als Monotherapie nur noch nach Resistenzkontrolle eingesetzt werden.

Bei akuten Beschwerden (Fieber, Schmerzen, Ausfluss) und (noch) ausstehendem Erregernachweis wird im Fall einer dringenden Therapie­indikation eine einmalige Kombinationstherapie empfohlen. Zum Einsatz kommen Ceftriaxon (1–2 g i.v. oder i.m.) und Azithromycin (1,5 g oral). Sicherheitshalber sollten Patienten nach beendeter Therapie noch eine Woche lang keinen Geschlechtsverkehr haben. Ausserdem wird eine Benachrichtigung aller Sexualpartner der vergangenen sechs Monate angeraten.

Spontanheilungsrate bei Hepatitis B ist hoch

Die überwiegend sexuell übertragene Hepatitis B hat eine hohe Spontanheilungsrate und ist deswegen meist keine Therapieindikation.

Präventiv wirkt die für Säuglinge und Risikopatienten empfohlene Impfung. Nicht immunisierte Personen sollten nach einem HBV-Kontakt eine aktiv-passive Immunisierung mit Immunglobulin plus Impfstoff erhalten. Die nur selten durch Geschlechtsverkehr übertragene Hepatitis C ist mit antiviralen Wirkstoffen heute in über 90 Prozent der Fälle heilbar.

p24-Antigentest ermöglicht frühen HIV-Ausschluss

Nach einer HIV-Infektion können bis zu zwölf Wochen vergehen, bevor Antikörper detektierbar sind. Die Diagnostik erfolgt mit einem Suchtest, der durch einen Immuno­blot bestätigt wird. Moderne Anti­körpertests beinhalten auch einen Nachweis des p24-Antigens. So lässt sich eine HIV-Übertragung schon nach sechs Wochen mit hoher Sicherheit ausschliessen.

Nach sexueller oder anderer par­enteraler Exposition mit HIV kann eine gut verträgliche Postexpositionsprophylaxe (PEP) angeboten werden. Diese erfolgt standard­mässig mit Tenofovir/Emtricitabin plus Integraseinhibitor. Wichtig sind ein frühzeitiger Beginn innerhalb von 72 Stunden und die konsequente Einnahme über vier Wochen.

Personen mit erhöhtem HIV-Risiko wie z.B. Sexarbeiterinnen und -arbeiter oder Menschen, die injizierbare Drogen konsumieren, können von einer Präexpositionsprophylaxe (PrEP) profitieren. Diese erfordert eine dauerhafte tägliche Einnahme von Emtricitabin/Tenofovir-Disoproxil (200 mg / 245 mg). Off label ist auch eine bedarfs­bezogene Anwendung möglich. Zur Sicherheit sollten Patienten, die die PrEP wählen, regelmässig auf andere sexuell übertragbare Erkrankungen untersucht werden.

Im Verdachtsfall vierfach screenen

Bei Patienten mit wechselnden Sexualkontakten oder Verkehr mit Personen aus Hochrisikogebieten sollten auch ohne Symptome vier Untersuchungen durchgeführt werden:

  • HIV-Serologie
  • HBV-Serologie (falls nicht geimpft)
  • Lues-Serologie
  • Diagnostik von C. trachomatis, N. gonorrhoeae, M. genitalium und T. vaginalis